Literaturfest:"Zukunft jetzt!"

Literaturfest: An Ständen im Literaturhaus stellt sich die Münchner Szene vor - wie Momentos, die auf Foto- und Textinstallationen spezialisiert sind.

An Ständen im Literaturhaus stellt sich die Münchner Szene vor - wie Momentos, die auf Foto- und Textinstallationen spezialisiert sind.

(Foto: Pierre Jarawan)

Erstmals wurde beim Literaturfest in einer "Münchner Schiene" verstärkt die heimische Szene eingebunden. Eindrücke von drei sehr unterschiedlichen Abenden.

Von Bernhard Blöchl, Antje Weber und Magdalena Zumbusch

Der Moment, in dem man eine Absage für ein Manuskript im Posteingang finde, sei einfach schrecklich, sagt Markus Ostermair. Am vergangenen Dienstag sitzt er auf einem Podium im Literaturhaus, das sich im Rahmen der "Münchner Schiene" des Literaturfests für einen Szenetreff geöffnet hat. Das Gefühl der Machtlosigkeit sei mit wenig vergleichbar, sagt Ostermair, der an seinem ersten Roman "Der Sandler" acht Jahre geschrieben hat.

Mit der Schriftstellerin Dagmar Leupold und dem Comicautor Dominik Wendland tauscht sich der Münchner Autor über den manchmal schwer aushaltbaren und immer schwer berechenbaren Literaturbetrieb aus. Über Ohnmachtsgefühle und das Gefühl, alles hinwerfen zu wollen. Aber auch über die Zwischenstadien zwischen der einsamen Arbeit am Text und der Veröffentlichung als großer Hürde, über die oft nicht genutzten Möglichkeiten, die sich zwischen dem Schreiben und der oft erst nach langer Zeit gelingenden Veröffentlichung böten.

Auf das große Angebot in der Münchner Szene, das Schreibenden Hilfestellungen bieten kann, werfen die an diesem Abend im Literaturhaus aufgebauten Stände einiges Licht. Schreibwerkstätten wie zum Beispiel die "Prosathek" oder "Shut up and write", Literaturzeitschriften wie Krachkultur oder Zarte Horizontale und Lesereihen wie "Meine drei lyrischen Ichs" oder das "Treffen im Zwischenraum" stellen sich vor. Für Schreibende und solche, die es werden wollen, ist es sicher lohnend, mit der vollständigen Liste der Stände zu recherchieren und sich mit passend wirkenden Veranstaltungen vertraut zu machen.

Einen Eindruck von der Arbeit der Zusammenschlüsse geben kurze Workshops und Lesungen kleiner Textproben Münchner Autorinnen und Autoren. In einer zweiten Podiumsdiskussion mit dem Titel "Bildet Banden" tauschen sich Kabarettist Bumillo, Lyriker Tristan Marquardt und die Autorin Sophia Klink über den Wert treuer Gleichgesinnter aus. Diesen Wert scheinen auch viele andere Teilnehmer zu leben: Alle scheinen sich zu kennen und tauschen Neuigkeiten zu Schreibprojekten und Privatleben aus. Die Schattenseiten des Literaturbetriebs sind hier in weiter Ferne. Und man wäre gleich gerne selbst ein Teil von dem allen, auch ohne Schreibprojekt in der Schublade. Magdalena Zumbusch

"Ich stepp' in die Kunst"

Kunst auf Zuruf - kann das funktionieren? Im Zirka Space im Kreativquartier steht am Donnerstagabend der Autor Benedikt Feiten und freut sich sichtlich auf das, was nun kommen soll. Der Abend sei wie ein "Brennglas" für das, was er sich als Kurator der "Münchner Schiene" vorgestellt habe, sagt er in seiner Begrüßung - die Begegnung verschiedener Sparten an ungewöhnlichen Orten, das "Kreieren von Momenten, die man so nur ein Mal erleben kann".

Einmalig ist tatsächlich, was er sich zusammen mit unterschiedlichen Künstlern unter dem Titel "Abgefahren" ausgedacht hat. Die Autorin und Filmemacherin Jovana Reisinger liest als eine Art Keynote einen Text über "Die subversive Kraft der Tussi" vor. Die Musikerin Inga gibt dann die Beats und Atmosphäre vor, der Autor und Rapper Roger Rekless improvisiert dazu, die Comiczeichnerin Lisa Frühbeis sitzt daneben am Laptop und zeichnet, und der Tänzer Alfonso Fernández Sánchez setzt alles in Bewegung um.

Literaturfest: Autor Benedikt Feiten hat die "Münchner Schiene" kuratiert.

Autor Benedikt Feiten hat die "Münchner Schiene" kuratiert.

(Foto: Pierre Jarawan)

Das klappt schon bei diesem ersten Set hervorragend - bestechend ist vor allem, wie gut es Roger Rekless gelingt, Reisingers Text über Zuschreibungen und Vorurteile aufzugreifen und in etwas Eigenes zu verwandeln. "So einer wie du wird niemals studieren", heißt es dann bei ihm, oder: "Mein ganzes Leben hab ich nicht dazugehört", das "hat mich nie gestört". Denn: "Ich stepp' in die Kunst - auf einmal gehört alles uns."

Auch bei drei weiteren Sets erweist sich Rekless als Meister der Improvisation: Er liest auf einem Bildschirm wechselnde Begriffe zu Themen rund ums Ich und die Welt, die das überwiegend junge Publikum ihm auf Zetteln vorgibt - und macht sich einen immer stimmigen und sinnigen Reim darauf. Selbst Begriffe wie "Daunenjackenbasar" oder "Schmarrnkopf" bringt er locker unter. Und so sehr wirklich alle Künstlerinnen und Künstler diesen Abend bereichern, so fein Inga die Akzente und Frühbeis die Striche setzt, so gelenkig Sánchez seine Gliedmaßen durch die Halle schlenkert: Augen und Ohren sind doch vor allem bei Rekless. "Irre" findet das Gesamtkunstwerk nicht nur Feiten als sympathischer Zeremonien- und Meister aller Zettel, der vielleicht nur noch an der Kunst feilen könnte, im richtigen Moment aufzuhören. Alles in allem ist dieser Abend aber ein großer Spaß. Um es mit Rekless zu sagen: "Zukunft jetzt!" Antje Weber

Poetischer Größenwahn

Das Jetzt ist die Zukunft der Vergangenheit. Schon deshalb sollte man im Hier und Heute das Gestern nie vergessen. Vier junge Münchner Schreibende tun genau das, wenn sie sich zur "Geisterfahrt" in den Saal X auf dem Gelände des Gasteig HP8 begeben, um auf Stimmen aus dem Jenseits zu reagieren. Es ist der letzte Abend der "Münchner Schiene". Ein weiteres Experiment, das der bestuhlten Frontallesung trotzt, ein Dialog mit verklungenen Stimmen, der am Ende in die Zukunft weist.

In dem dezent ausgeleuchteten Raum mischen sich Publikum und Schreibende, DJ Jay Scarlett und DJ Explizit schüren mit lässigen Hip-Hop-Beats und schnalzenden Sound-Architekturen die Vorfreude auf das Überraschende. Plötzlich ein Spukgeräusch, gefolgt von den ersten Stimmen aus dem Off. Eine Frau weckt Zeilen von Gisela Elsner, ein Mann liest SAID. Dann taucht, in einer erleuchteten Ecke, der Lyriker Daniel Bayerstorfer auf. Vier wortstarke Gedichte als Antwort auf Elsner und eines als Antwort auf SAID hat er kreiert (in kürzester Zeit, sprang er doch spontan für den erkrankten Dramatiker Mehdi Moradpour ein). Sein Vortrag ist getrieben von lyrischer Wucht und Sätzen wie diesen: "Schopenhauers Wille ist auch nur gestockter Geist."

Literaturfest: Lässige Hip-Hop-Beats und schnalzende Sound-Architekturen liefern DJ Jay Scarlett und DJ Explizit (im Bild).

Lässige Hip-Hop-Beats und schnalzende Sound-Architekturen liefern DJ Jay Scarlett und DJ Explizit (im Bild).

(Foto: Pierre Jarawan)

So geht es weiter, im Fluss eines kreativen Literatur-Clubbings im besten Crossover-Sinne. Auf Beats zu Bier- und Weingesprächen folgen die weiteren Geisterbeschwörungen. Alle Texte, die die Autorinnen und Autoren ausgewählt haben, um darauf mit ihren exklusiven Satz-Miniaturen zu reagieren, stammen von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die bereits tot sind. Florian Weber knüpft an Oskar Maria Graf an, indem er dessen "Untergang der Welt" eine persönliche Ukraine-Geschichte anhängt, mit hilfsbereitem Ich-Erzähler, feinfühlig und doch ohnmächtig. Kollegin Joana Osman reagiert auf Ernst Tollers "Briefe aus dem Gefängnis", Krieg und Weltschmerz prägend auch hier.

"Poetischen Größenwahn" setzt schließlich die Poetry-Slam-Meisterin und Poesiepädagogin Meike Harms frei. Erich Kästners Gedicht "Exemplarische Herbstnacht" hat sie zu einer "exemplarischen Coming of Age"-Geschichte inspiriert, die sich zur fulminanten Wutrede hochschraubt. Sie singt, sie reimt, sie wortspielt. Der direkte Dialog zur Stimme aus dem Off gelingt Harms am beeindruckendsten.

Ein gutes Finale der "Münchner Schiene", das einen glücklich erschöpften Benedikt Feiten sprachlos zurücklässt. Unbeschreiblich seien die vergangenen Tage gewesen, sagt er nachts im Saal X. Seinem Wunsch, die "Münchner Schiene" möge auch 2023 weitergehen, kann man sich nur anschließen. Im poetischen Größenwahn von heute liegt die Zukunft von morgen. Bernhard Blöchl

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