Festival:Was das Literaturfest in diesem Jahr zu bieten hat

Segelregatta, 1930

Kleine und große Boote, alle im Dienste der Literatur unterwegs: So ungefähr stellt sich der Münchner Kulturreferent Anton Biebl die Zusammenarbeit etlicher Institutionen und Partner beim Literaturfest München vor.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl)

Das Literaturfest München will den stürmischen Zeiten dieses Herbstes trotzen - und mit der Bücherschau und zahlreichen Veranstaltungen möglichst viele Menschen zu Reisen im Kopf bewegen.

Von Antje Weber

Es kommt ein Schiff geladen - und es wird ihm gelingen, selbst "stürmischen Zeiten" zu trotzen. Hörte man jüngst dem Kulturreferenten Anton Biebl zu, der auf einer Pressekonferenz auf das Literaturfest München einstimmte, dann fühlte man sich metaphorisch auf hoher See. Streng genommen sprach Biebl von gleich drei "Flaggschiffen" - dem Literaturhaus, dem Landesverband des Börsenvereins und dem Kulturreferat -, flankiert von vielen "kleinen und großen Booten". Im Verbund sollen sie abenteuerlustigen Lesern ermöglichen, vom 17. November bis 5. Dezember durch die Weltliteratur zu segeln. Und alle an Deck sind guter Hoffnung, bei dieser Reise ins Unbekannte nicht unterzugehen.

Denn für pandemische Wellenbewegungen aller Art hat man sich gerüstet: Bei der 62. Münchner Bücherschau, die letztmals im Gasteig stattfindet - falls Biebl ihn nicht im nächsten Jahr noch einmal zur "Zwischennutzung" empfiehlt, wie er andeutete -, gilt im Bereich der Ausstellung die 3-G-Regel. Bei den Veranstaltungen im Gasteig wie im Literaturhaus muss hingegen das strengere 2G erfüllt werden - geimpft oder genesen. Da sämtliche Lesungen außerdem als Streams abrufbar sind und die Bücherschau auch alternativ per Mausklick anzusteuern ist, fühlt man sich selbst ungünstigen Winden gewachsen - die Schiffe können ablegen.

Das Nahziel ist dabei, möglichst viele Menschen zu Lesereisen im Kopf zu animieren. Dafür sorgen mehr als 160 Verlage, so der neue Vorsitzende des bayerischen Börsenvereins-Landesverbands Klaus Füreder, die im Gasteig ungefähr 15 000 Bücher ausstellen. Da Füreder darüber hinaus nicht nur Buchhändler ist, sondern auch Vorsitzender eines Vereins für Leseförderung, ist ihm die gesellschaftliche Teilhabe möglichst vieler Menschen ein besonderes Anliegen - und er ist stolz auf das niedrigschwellige Angebot: "Wenn es die Münchner Bücherschau nicht schon gäbe, müsste man sie erfinden."

Neben einem wie immer reichhaltigen Kinder- und Jugendprogramm wird es bei der Bücherschau mehr als 30 Veranstaltungen für Erwachsene geben. Alois Prinz wird sein neues Sachbuch über Simone de Beauvoir vorstellen (18.11.), Pulitzer-Preisträger Paul Muldoon als Co-Autor Paul McCartneys die Autobiografie des berühmten Beatles-Musikers (21.11.), während Nicola Bardola sich mit Queen-Star Freddie Mercury in München beschäftigt (2.12.) und Journalist Stefan Aust mit sich selbst (25.11.). Franz Kafkas Zeichnungen sollen einen neuen Blick auf sein Werk erlauben (26.11.), Svenja Flaßpöhler diskutiert über moderne Empfindlichkeiten (4.12.). Dem Ziel einer "Stärkung des Subjekts durch Lektüre", wie es Börsenvereins-Geschäftsführer Klaus Beckschulte formuliert, ist auch eine Bestsellerautorin wie Elke Heidenreich verpflichtet, die am 19. November liest: Sie gibt in ihrem autobiografisch grundierten Buch "Hier geht's lang!" nicht nur Lektüretipps zu Büchern von Frauen, sondern erklärt darin überhaupt ihre "Liebe zu erzählten Geschichten. Und Liebe macht etwas mit einem, immer".

Festival: Liest bei der Münchner Bücherschau aus ihrem Buch "Sensibel": die Philosophin Svenja Flaßpöhler.

Liest bei der Münchner Bücherschau aus ihrem Buch "Sensibel": die Philosophin Svenja Flaßpöhler.

(Foto: Johanna Rübel)

Die "Macht des Erzählens" beschwört auch Tanja Graf, die Literaturhaus- wie insgesamt Literaturfestchefin. Das Erzählen sei "der einzige Ort", an dem einem "alle Möglichkeiten offenstehen", egal welcher Herkunft man sei oder welches Geschlecht man habe. Um die Macht des Erzählens und die Identitätsfindung mittels Sprache wird es bereits beim Literaturfest-Eröffnungsabend am 17. November gehen, wenn neben dem Schriftsteller Abbas Khider und dem Oekom-Verleger Jacob Radloff auch die Publizistin Marina Weisband zu erleben sind. Graf hat ansonsten für ihr wie gewohnt eher literarisch orientiertes Fest-Programm im Literaturhaus auffallend "viele tolle Frauen" eingeladen. Zugesagt haben neben der diesjährigen Buchpreisträgerin Antje Rávik Strubel (1.12.) unter anderen Irene Dische (19.11.), Sasha Marianna Salzmann und Julia Franck (22.11.). Für Schauspieler Edgar Selge weicht man in die Kammerspiele aus (23.11.), im Literaturhaus werden dagegen noch Daniel Schreiber (18.11.), Timur Vermes (21.11.) und die Fotografin Herlinde Koelbl (30.11.) mit ihrem neuen Band über Angela Merkel erwartet. Und bei einem "Markt der unabhängigen Verlage" stellen dort am 27. und 28. November unter anderem vom Freistaat prämierte Independent-Verlage ihre neuen Bücher aus.

Wer den Blick international weiten und dabei über Sinn und Unsinn von Grenzen aller Art nachdenken möchte, ist bei der in Frankreich lebenden Schriftstellerin Shumonha Sinha richtig (24.11.) oder dem jungen albanisch-finnischen Autor Pajtim Statovci (19.11.). Das Überwinden von Grenzen, ob theoretisch oder praktisch, spielte auch für Hannah Arendt eine große Rolle. Das Wissen über die Denkerin, der das Literaturhaus derzeit eine sehenswerte Ausstellung widmet, soll in einem kleinen Symposium vertieft werden: Einen Samstag-Nachmittag lang wird der Arendt-Experte Thomas Meyer mit Gästen über "Das Wagnis der Öffentlichkeit" diskutieren (20.11.).

Festival: Antje Rávik Strubel hat in diesem Jahr für ihren Roman "Blaue Frau" den Deutschen Buchpreis gewonnen - beim Literaturfest München stellt sie ihn am 1. Dezember vor.

Antje Rávik Strubel hat in diesem Jahr für ihren Roman "Blaue Frau" den Deutschen Buchpreis gewonnen - beim Literaturfest München stellt sie ihn am 1. Dezember vor.

(Foto: Philipp von der Heydt)

Was das Wagnis öffentlicher Literaturgroßveranstaltungen angeht, so ist jedenfalls zu vermelden: Die Stadt München steht wie ein Fels hinter diesem Festival. "München braucht ein Literaturfest!", findet Kulturreferent Biebl. Trotz allgemeiner städtischer Einsparungen werde der Zuschuss, rund 140 000 Euro, daher nicht gekürzt. Das Nahziel eines Literaturfestes in diesem zweiten pandemischen Herbst ist damit also erreichbar. Das "Fernziel" allerdings, so Biebl, liege "noch im Nebel". Zwar betont er, wie richtig es war, die drei Festival-Flaggschiffe seit dem Jahr 2010 vereint segeln zu lassen. Doch er lässt auch anklingen, dass es an der Zeit sein könnte, "den langfristigen Kurs gemeinsam neu zu bestimmen" und mit veränderten Konzepten "Neuland zu betreten". Die Expedition, so heißt das, ist im Dezember nicht beendet. Und wo die Schiffe letztlich landen werden, bleibt ungewiss.

Literaturfest München: Mi., 17. November, bis 5. Dezember; Münchner Bücherschau im Gasteig: ab 18. Nov. täglich 8-23 Uhr, Eintritt frei, muenchner-buecherschau.de; Literaturhaus-Festprogramm: literaturhaus-muenchen.de

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