Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Ernst Augstin:Ein großer Architekt surrealistischer Romangebilde

Er war Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, leitete ein Wüstenhospital in Afghanistan. Doch vor allem war er ein großer Erzähler - und erhielt dafür unter anderem 1999 den Literaturpreis der Stadt München.

Von Harald Eggebrecht

"Es gehört zu meinem Plan, dass ich nicht auffalle, oder doch kaum." So beginnt "Raumlicht". Oder: "Ich bin ein beweglicher Geist, ich bewege mich schnell, fast schwerelos, und bin kaum zu treffen. Weil ich nie dort bin, wo man mich vermutet." So startet "Der amerikanische Traum". Oder der Anfang von "Robinsons blauem Haus": "In einer früheren, ferneren Version dieser Geschichte sagt Daniel Defoe, er habe eines der unglaublichsten und abenteuerlichsten Leben gelebt. Ich sage: Ich auch." Diese leichtfüßige Lakonie, gemischt mit poetischer Präzision und oft gerissenem Witz macht die Unwiderstehlichkeit von Ernst Augustins Erzählen aus, bei dem "das hässliche Haupt der Wahrscheinlichkeit" keine Chance hat, sich zu erheben.

Augustin wurde am 31. Oktober 1927 im schlesischen Hirschberg geboren, er wuchs in Schwerin auf, studierte in Rostock und Ostberlin Medizin. Er wurde Facharzt für Psychiatrie und Neurologie. Dann leitete er zwischen 1958 und 1961 ein amerikanisches Wüstenhospital in Afghanistan und landete schließlich in München. Dort lebte er in einem Haus, das einer begehbaren Fantasie dieses leidenschaftlichen Architekten surrealistischer Romangebilde gleicht.

Zwölf höchst komplexe Erzählwelten schuf er, die am besten in seinen Worten beschrieben sind: "Träume. Verschlüsselte Botschaften, Brotbäume, die Eingangspforten bilden, herabhängende Wasserschleier, so wie sie einmal - wie lange ist es her - ausgedacht wurden." Aber es sind auch erzählte Wirklichkeiten, die Abenteuer der Kindheit ebenso wie die Sehnsucht nach Südseeferne umfassen, nach brodelnden Metropolen wie dem türmereichen New York oder dem skurrilen London, die Unwahrscheinlichkeiten der Liebe nicht zu vergessen. Für sein einzigartiges Romanwerk hat Augustin unter anderem den Hermann-Hesse-Preis 1962, den Kleist-Preis 1989, den Literaturpreis der Stadt München 1999, den Mörike-Preis 2009 und den Preis "Von Autoren für Autoren" 2013 erhalten.

Wer das Glück hatte, Augustin zu erleben, diesen hochgewachsenen, eleganten Mann mit Silbermähne und dem mitten im Erzählen ausbrechenden listigen Kichern, das sein Antlitz mit hunderttausend Lachfalten überzog, wird ihn nie vergessen. Wenn er durch sein Labyrinthhaus führte vom glitzernden Discokeller für den Salsa-Fan bis zur versteckten "New Yorker" Dachterrasse, auf der Augustin einen Manhattan servierte, dann war das keine normale Besichtigung, sondern der Weg durch eine blinkend-blitzende Ausstattungsrevue, wie nur er sie erzählerisch und auch aus dem Moment heraus inszenieren konnte.

In letzter Zeit traf ihn das Schicksal hart: Seine Frau, die Künstlerin Inge Augustin, die das Haus ausgemalt hat und die Titelbilder für die Werkausgabe bei C. H. Beck schuf, starb. Ihm wurde 2009 bei der Operation eines gutartigen Tumors der Sehnerv durchtrennt, er erblindete. Am 3. November, ist dieser Meister surrealistischer Erzählmagie wenige Tage nach seinem 92. Geburtstag in München gestorben.

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SZ vom 05.11.2019/syn
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