Dem Unbewussten mehr Raum geben – ein schöner Traum. Die Surrealisten versuchten einst, ihn mit einer Art von „Automatischem Schreiben“ zu verwirklichen – und das, was in Traum oder Trance geschieht, in Kunst und Literatur zu überführen.
Die Münchner Dichterin Augusta Laar macht das bis heute. Ihren neuesten Band „Nocturnes“ zum Beispiel zieren Zeichnungen, die nachts im Dunkeln entstanden, „direkt aus dem Schlaf heraus“. Daher ist es nur folgerichtig, dass Laar neben der Lyrikerin Dagmara Kraus zu einem Abend eingeladen ist, der 100 Jahre Surrealismus – 100 Jahre Radikalpoesie feiert, anhand eines von Andreas Trojan herausgegebenen Buches zum Jubiläum (Lyrik Kabinett, 15.10.).
Unter den zahlreichen Literaturveranstaltungen in München, die in der zweiten Oktoberhälfte auffallen, ist noch eine weitere, bei der Augusta Laar ihre Finger im Spiel hat: das von ihr und Kalle Laar gegründete Schamrock Festival, das alle zwei Jahre Lyrikerinnen aus aller Welt in München zusammenführt. Diesmal soll es unter dem Motto „Conference Of The Birds“ neben der Kunst auch ums Geld gehen, bei einer Konferenz in Zusammenarbeit mit dem EU-Projekt „EPESEP“, das unter anderem die gleiche Entlohnung von Frauen im Literaturbetrieb fördert. Das sollte man keinesfalls dem Unbewussten überlassen (White Box, 25.-27.10.).
Nicht surrealistisch, aber auf seine spezielle Weise traumhaft durchwirkt ist auch der neue Roman „Odenwald“ von Thomas Meinecke. Der Münchner Schriftsteller und Musiker nähert sich da dem Philosophen Theodor W. Adorno beziehungsweise dem von jenem einst geliebten Ort Amorbach im Odenwald. Meinecke, als Thomas in seinem Werk ebenfalls präsent, denkt sich hier mitsamt seinen Figuren kühn (de)konstruierend durch Zeit und Raum (Literaturhaus, 15.10.).
Als „multiperspektivisches Sprachkunstwerk“ ist auch der Roman „Tramvestie“ des tschechischen Schriftstellers und „radiophonen Künstlers“ Pavel Novotný angekündigt. Ihm geht es in Texten und Songs um den Rhythmus der gesprochenen Sprache, wofür er laut Ankündigung „sammelt und klebt, sortiert und komponiert“. Das klingt schön verrückt, und wie man so etwas dann auch noch in eine andere Sprache überträgt, kann man vom Autor und seiner Übersetzerin Kristina Kallert erfahren (Literaturhaus, 24.10.).
Manchmal ist das Leben verrückter als jeder Traum – und womöglich ein wahrer Albtraum. Tijan Sila, der in diesem Jahr den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat, kann davon einiges erzählen. 1981 in Sarajevo geboren, kam er 1994 als Kriegsflüchtling nach Deutschland. In seinem autobiografischen Buch „Radio Sarajevo“ erzählt er die Geschichte seiner Kindheit – und vom Geruch von Sprengstoff, wenn er gezündet wird (Bellevue, 20.10.).
Ein Leben als Irrfahrt zwischen Kunst, Krieg und Flucht zeichnet auch Maren Amini in ihrer Graphic Novel „Ahmadjan und der Wiedehopf“ nach. Es ist das Leben ihres Vaters, der 1972 aus Afghanistan nach Deutschland kam. Amini erzählt dessen Geschichte, die sie am 21. Oktober bei der Comic Bar im HP 8 vorstellt, entlang einer alten persischen Sage: der „Konferenz der Vögel“ von Fariduddin Attar. Konferenz der Vögel, war das nicht auch das Motto des diesjährigen Schamrock Festivals? Die Verbindung kann kein Zufall sein. Die Surrealisten hätten gewusst, warum.