Süddeutsche Zeitung

LGBTQ:Liebe, die Hass erzeugt

Lesezeit: 3 Min.

Von Martin Bernstein

Immer häufiger werden Menschen in München wegen ihrer sexuellen Orientierung angegriffen - und nicht selten geschieht das auf offener Straße. Nach vorläufigen Zahlen aus dem Polizeipräsidium wurden im vergangenen Jahr insgesamt mindestens 15 Delikte "gegen die sexuelle Orientierung" registriert. Davon spricht die Polizei, wenn sich Straftaten gegen Sexualpräferenz oder Genderidentität richten. Eine weitergehende Differenzierung, etwa nach homophoben, frauen- oder transfeindlichen Angriffen, findet laut Polizei in der bundeseinheitlichen Statistik keine Berücksichtigung. Im Jahr 2018 hatte die Polizei nur sechs derartige Attacken verzeichnet, im Jahr zuvor waren es ebenfalls insgesamt 15 gewesen. Ermittlungen führt in diesen Fällen das für politisch rechts motivierte Kriminalität zuständige Kriminalkommissariat 44.

Hohe Wellen schlug ein Fall vom 22. November. Eine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten vor einer Bar in Haidhausen war wegen ihrer Transgender-Identität sexuell beleidigt und körperlich angegriffen worden. Etwa acht bis zehn Angreifer beschimpften die aus verschiedenen lateinamerikanischen Staaten Geflüchteten außerdem rassistisch, unter anderem mit Sprüchen wie: "Ihr seid nur Scheiße und habt kein Recht hier zu sein" oder: Bei ihnen zu Hause würde ihnen der Kopf abgeschnitten. Nach der Attacke in Haidhausen hatten die Opfer und ihre Unterstützer den Polizeibeamten vorgeworfen, am Tatort zu zögerlich und wenig sensibel eingeschritten zu sein.

Eine Sensibilisierung von Polizei und Staatsanwaltschaften für derartige Delikte fordert deshalb der Lesben- und Schwulenverband LSVD Bayern. Bei Sicherheitsbehörden müsse es hauptamtliche Ansprechpartner geben, sagt Hannah Lea aus dem Landesvorstand. Hassmotivierte Straftaten zielten nicht nur auf die Menschen als Individuen, sondern auch darauf, ganze Bevölkerungsgruppen einzuschüchtern. Ihr Kollege Markus Apel geht davon aus, "dass 80 bis 90 Prozent der homosexuellen- und transfeindlich motivierten Straftaten nicht zur Anzeige kommen".

"Ein Gefühl der Unsicherheit" dürfe niemals zurückbleiben, heißt es im Polizeipräsidium. Bei mutmaßlich politisch motivierter Kriminalität, zu der die Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung gehört, sei die Münchner Polizei "besonders sensibilisiert". Hinzu komme ein enger Austausch mit Opferberatungsstellen und Vereinen wie dem Sub, dem Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum.

Opfer zum Teil krankenhausreif geprügelt

Dieser enge Austausch ist offenbar dringend nötig. Denn nur zweieinhalb Stunden nach der Attacke in Haidhausen griffen Schwulenhasser am 23. November am Stachus drei junge Männer an. Die 21, 22 und 25 Jahre alten Männer aus München, dem Landkreis und aus Wasserburg fuhren mit der Rolltreppe vom Sperrengeschoss zum Bahnsteig der U-Bahnlinie 4 und 5. Einer von ihnen tanzte auf der Rolltreppe. Das reichte den Schwulenhassern aus einer siebenköpfigen Gruppe, die auf der entgegenkommenden Rolltreppe nach oben fuhr, als Anlass für Beleidigungen und Beschimpfungen. "Seid ihr schwul?", soll einer der Täter gerufen haben. Als einer der jungen Männer das bejahte, zog der 19 Jahre alte Tatverdächtige den Nothalt der Rolltreppe - dann gingen die sieben Angreifer auf ihre Opfer los. Die drei jungen Männer wurden verletzt. Zwei 19 Jahre alte Täter konnte die Polizei festnehmen, die Ermittlungen nach den fünf Mittätern laufen nach Polizeiangaben noch.

Das gilt auch für ein weiteres schwulenfeindliches Hassverbrechen, das sich auf dem Oktoberfest ereignete. Dort wurden am 25. September zwei junge Männer von Angreifern krankenhausreif geprügelt, weil sie Arm in Arm über die Wirtsbudenstraße geschlendert waren. Aus einer 15-köpfigen Gruppe heraus waren die Opfer zunächst homophob beleidigt worden, dann hagelte es Schläge und Tritte. Als Reaktion auf diese Attacke wehten danach Regenbogenfahnen am Eingang zur Wiesn. Ein 30 Jahre alter Tatverdächtiger konnte ermittelt werden, Untersuchungen zu möglichen Mittätern dauerten an, hieß es aus der Pressestelle der Münchner Polizei.

Am 19. September gingen schwulenfeindliche serbische Fußballfans des Vereins "Roter Stern Belgrad" auf dem Marienplatz auf Teilnehmer einer Demonstration, die Regenbogenfahnen trugen, los. Am 2. September entdeckte ein Mitarbeiter der schwul-lesbischen Jugendorganisation "diversity" nach Angaben der Recherchestelle Aida Archiv, dass in die Motorhaube seines in der Blumenstraße geparkten Autos ein großes Hakenkreuz eingeritzt worden war. Am 20. April wurde dem in der Szene engagierten Inhaber eines Hotels im Glockenbachviertel eine Postkarte mit schwulenfeindlichen Beschimpfungen und Gewaltszenarien zugestellt. "Euch sollte man allen den Schwanz abschneiden, am besten gleich den Schädel", hatte der Absender gedroht.

"In München und darüber hinaus ist kein Platz für Hass"

Menschenfeindlichkeit und Hass bis hin zur offenen Gewalt gegen Mitglieder der LGBTQ-Community, aber auch gegen andere Minderheiten werden dieses Jahr bei der Münchner Pride-Week und dem Christopher Street Day (CSD) thematisiert werden. Am 11. Juli wolle man unter dem Motto "Gegen Hass. Bunt, gemeinsam, stark!" auf die Straße gehen, hat der Szenestammtisch entschieden, der die LGBTQ-Vereine, -Organisationen und -Gruppen der Stadt zusammenbringt. Die Abkürzung steht für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, transgender und queere Menschen.

"In München und darüber hinaus ist kein Platz für Hass", sagt dazu Stadtrat Thomas Niederbühl, der politische Sprecher des CSD München. "Nur gemeinsam können wir dem bösen Treiben Einhalt gebieten, das unsere Gesellschaft spaltet und die Menschen gegeneinander aufbringt, gleich welcher Religion, Herkunft, Hautfarbe, sexueller Orientierung oder Gender-Identität sie sind."

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SZ vom 08.01.2020
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