Um zu verstehen, dass da aus Sicht vieler Beteiligter gerade etwas ins Rutschen geraten ist, fängt man vielleicht am besten mit der Splitterschutzfolie an. Oder den Panikschlössern. Oder den Überfallmeldeanlagen. Alles Dinge, an die zum Glück kaum ein Mensch im Alltag denken muss. Andreas Unterforsthuber dagegen schon.
Unterforsthuber ist Leiter der „Koordinierungsstelle zur Gleichstellung von LGBTIQ*“ der Stadt München, kurz KGL. Diese ist direkt beim Oberbürgermeister angesiedelt und soll sich in der Stadt und in ihrer Verwaltung für die Belange der Menschen einsetzen, die sich irgendwo in diesem Akronym wiederfinden. Menschen also, die lesbisch, schwul oder bisexuell sind, trans oder nonbinär.
Zuletzt hat sich Andreas Unterforsthuber viele Gedanken über Sicherheit gemacht. An diesem Mittwoch wird die von der KGL erdachte „LGBTIQ*-Strategie“ in den Verwaltungs- und Personalausschuss des Stadtrats eingebracht. Man darf davon ausgehen, dass sie dort Zustimmung findet. Die Strategie trägt den Titel „Erreichtes bewahren – Bedrohungen entgegentreten – Zukunft gestalten“ und legt damit schon eines offen: dass es jetzt um Schutz geht. Und ums Bewahren.
„Mit dem Beschluss haben wir unsere Arbeit gegen Queerfeindlichkeit ausgerichtet“, sagt Unterforsthuber. „Das geht gar nicht anders.“ Nicht in Zeiten wie diesen, in der die Zahl der angezeigten Fälle von Hasskriminalität gegen Mitglieder der LGBTIQ-Community zunehme, auch in München. In der, so sagt es Unterforsthuber, durch tätliche Angriffe oder hetzerische Sticker das Sicherheitsgefühl infrage gestellt werde. „Die Liberalität, in der wir uns hier eingerichtet haben, ist nicht in Stein gemeißelt.“
Was die „LGBTIQ*-Strategie“ der Stadt postuliert und infolgedessen vorschlägt, beschreibt das, was die LGBTIQ-Community schon seit geraumer Weile umtreibt, nicht nur in Deutschland. Es ist eine absurde Gleichzeitigkeit, ein vor und zurück zur selben Zeit.
Selten lebten gleichgeschlechtliche Paare so gleichberechtigt in der Gesellschaft wie heute, doch immer noch werden sie in öffentlichen Verkehrsmitteln attackiert. Die Christopher-Street-Day-Paraden vermelden Besucher-Rekord nach Besucher-Rekord, während über Drag-Lesungen für Kinder heftig gestritten wird. Und nach Jahren, in denen es für die LGBTIQ-Community immer offensiver in die Öffentlichkeit ging, geht es nun eben um deren Schutz.
Dieser Widerspruch lässt sich – wenn auch in abgeschwächter Form – an der KGL beobachten, die die Strategie ausgearbeitet hat. Eine der Personen, die maßgeblich an der Formulierung des Papiers beteiligt war und mit der SZ sprach, möchte letztendlich doch nicht mit Namen genannt werden. Aus Angst vor Anfeindungen. Sie sagt: „Wir wollen queerpolitische Standards bewahren. Denn die Standards, die wir haben, sind bedroht“, gefährdet durch Rechtsextremisten und religiöse Fundamentalisten.
Der Kontakt zwischen Sub und Polizei ist gut
Zu dieser Strategie gehört eine ganze Reihe von Maßnahmen, etwa die Weiterförderung von Community-Einrichtungen, der schweren Wirtschaftslage zum Trotz, Schutz und Hilfe für Betroffene von Gewalt, der Erhalt von Schutzräumen und Erinnerungsorten. Auch der Ausbau in Schwerpunktbereichen wie der Jugend- oder Geflüchtetenarbeit ist als Ziel ausgegeben. Vor allem der letzte Punkt zeige, wie international das Thema geworden sei, sagt Unterforsthuber: Wenn in Ländern der Welt die Todesstrafe für Homosexualität eingeführt werde, wirke sich das auch auf Fluchtbewegungen aus.
Und noch etwas scheint absehbar: mehr Kontakt zwischen LGBTIQ-Community und der Polizei. Früher wäre das undenkbar gewesen, und heute? Schauen sich Beamte die Sicherheitsmaßnahmen von Szeneorten an und versuchen gemeinsam, Gewalt zu verhindern. Kai Kundrath, Geschäftsführer des schwulen Kommunikations- und Kulturzentrums Sub, erzählt am Telefon, wie zuletzt etwa ein Polizeibeamter vorbeigeschaut habe, um sich Türen und Fenster von Café und Beratungszentrum näher anzuschauen. Der Kontakt zwischen Sub und Polizei sei gut, seit mehreren Jahren schon.
Das Sub war im Sommer vergangenen Jahres zusammen mit dem nahen lesbischen Kulturzentrum LeZ Ziel einer Hassattacke. Unbekannte hatten hetzerische Botschaften auf die Fassaden der Einrichtungen sowie in der Umgebung geschmiert. Ein Täter, sagt Kundrath, sei bis heute nicht gefunden worden. Die Verunsicherung sei da. „Alle, die sich in diesem Bereich engagieren, haben sich in der letzten Zeit mehr Gedanken über Übergriffe gemacht“, sagt er.
Das bestätigt auch Andreas Unterforsthuber. Immer mehr Menschen, die haupt- oder ehrenamtlich für Einrichtungen arbeiten, würden sich fragen: Wie sicher bin ich eigentlich? Dass diese Frage überhaupt gestellt werde, sei schon ein Problem an sich. Zumindest für eine Gesellschaft, die individuelle Freiheiten hochhalte.