Corona-Pandemie:Warum der Lockdown im Nachtleben die queere Community hart trifft

Corona-Pandemie: Die Corona-Beschränkungen treffen auch die queere Community in München. Das Café Nil in der Hans-Sachs-Straße hat derzeit geschlossen.

Die Corona-Beschränkungen treffen auch die queere Community in München. Das Café Nil in der Hans-Sachs-Straße hat derzeit geschlossen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Bars zu, Kneipen dicht: Was viele traurig finden, ist für manche in der LGBTIQ-Szene dramatisch. Denn es fehlen Menschen zum Reden - und die nötigen Schutzräume.

Von Lea Kramer

121 Schläge die Minute. Ein ideales Tempo zum Tanzen im Club. "Sweet Time" heißt der Track, "... no more exctasy, no more dancing alone ..." Theresa Bittermann steht hinter den Plattenspielern und bewegt sich zum Rhythmus der Beats und Bässe. Hinter ihr flimmert eine Videoinstallation. Alles wirkt wie ein normaler Abend im Münchner Nachtleben, den sie als DJ* Bimän häufig erlebt. Etwas Entscheidendes fehlt aber: Bittermann ist allein im Club. Sie legt vor einem leeren Raum ohne Publikum auf. Die Menschen, die mitfeiern, sitzen daheim. Der Bildschirm ist das Fenster in den geschlossenen Club. Die Feier bleibt kontaktlos.

Theresa Bittermann, DJ* Bi Män

Die Künstlerin und Veranstalterin Theresa Bittermann legt als DJ* Bimän in Münchner Clubs auf.

(Foto: Michelle Gleixner)

So war das im Januar, als der Club Harry Klein unter anderen auch DJ* Bimän mit ihren House-Sets via Livestream zu den Feierabstinenten nach Hause brachte. Und so ist es diesen Winter wieder. Viel dramatischer als die fehlenden Abende, an denen sich Unbekannte verschwitzt eng auf der Tanzfläche tummeln sind allerdings die Auswirkungen, die Clubschließungen und Sperrstunden für gesellschaftliche Minderheiten wie die LGBTIQ*-Gemeinschaft haben - weil wichtige Schutzräume wegbrechen.

"Clubs, Kneipen und Bars sind soziale Orte. Für die LGBTIQ*-Community in besonderem Maße, denn dort können sich queere Menschen treffen und andere kennen lernen, die ihnen ähnlich sind, weil sie die gleiche Lebenssituation haben", sagt Andreas Unterforsthuber, Leiter der Koordinierungsstelle zur Gleichstellung von LGBTIQ* der Stadt München. Diese Treffpunkte in München würden seit einigen Jahren ohnehin immer weniger. Und die wenigen Cafés, Clubs oder Bars, die übrig geblieben sind, gerieten nun noch mehr unter Druck. Die Gefahr, dass eine komplette gastronomische Szene verschwinde, sei groß. "Da fallen nicht nur Kneipen weg - Kneipen kommen und gehen -, da fallen ganz wichtige soziale Räume weg", sagt er.

Die Stadt hat in der Vergangenheit versucht, dem Sterben queerer Kneipen durch die finanzielle Unterstützung von Beratungs- und Begegnungszentren entgegenzuwirken. Anfang 2020 ist ein neues an der Müllerstraße dazugekommen. Im lesbisch-queeren Zentrum (Lez) sollen lesbische Frauen, inter, nicht-binäre sowie trans Personen einen Raum zur Entfaltung haben. Neben klassischen Beratungsgesprächen können dort auch Veranstaltungen organisiert werden. Am 20. November hat dort zum Beispiel eine Gruppe von Ehrenamtlichen zum Gedenktag für die Opfer von Transphobie drei Ausstellungen kuratiert. "Das war bisher unsere erste und einzige Veranstaltung in Präsenz", sagt Julia Bomsdorf, Sprecherin des Trägervereins.

Die offene Theke im Zentrum, die erst im Oktober eröffnet worden ist, ist bislang noch donnerstags und freitags zwischen 17 und 22 Uhr geöffnet. Auch am Tag vor Heiligabend, dem 23. Dezember, wird das Lez geöffnet sein. "Leider sind weiterhin viele Menschen in der Situation, dass ihre sexuelle Orientierung und/oder Geschlechtsidentität in ihren biologischen Familien nicht akzeptiert wird", sagt Bomsdorf. Treffen mit Freunden und Freundinnen seien deshalb gerade zu solchen Anlässen wie Weihnachten für sie besonders wichtig. "Kontaktverbote, bei denen nur enger Familienkreis und biologische Verwandte als Ausnahmen gelten, können zur sozialen Isolation führen", sagt sie.

Statistiken, wie etwa die des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), zeigen, dass queere Menschen deutlich häufiger an stressbedingten Krankheiten wie Depressionen, Angststörungen und Herzerkrankungen leiden als Heterosexuelle. Ein Grund dafür sind demnach Diskriminierungserfahrungen. Digitale Gruppentreffen und Beratungsangebote seien während der Pandemie eine wichtige Stütze für Betroffene. "Es gibt allerdings eigentlich nichts, was Treffen in Bars, Clubs und anderen Kulturstätten, die als Rückzugsräume und Orte der Begegnung im echten Leben dienen, ersetzen kann", sagt Bomsdorf.

Drag-Performer ohne Bingo und Prosecco

Daphne Ryan

Matthias Niederlechner ist Vorsitzender des Vereins United Queens of Munich - auf der Bühne heißt er Daphne Ryan.

(Foto: privat)

Seit Monaten fehlen sowohl die großen Veranstaltungen wie die Parade zum Christopher-Street-Day (CSD) als auch die kleineren Feste wie der pinke Weihnachtsmarkt im Glockenbachviertel oder der Drag-Brunch im Café Regenbogen. "Mittlerweile hängt unsere Motivation ein bisschen", sagt Matthias Niederlechner, Vorsitzender des Vereins United Queens of Munich. Wäre nicht Pandemie, wäre er deutlich öfter unter seinem Pseudonym Daphne Ryan in den Münchner Bars und Clubs als Dragkünstler anzutreffen. Gerade würde er zum Beispiel dem neuen Bingo in der Prosecco Bar ein wenig hinterher weinen. "Viele ältere queere Menschen sind momentan vielleicht etwas einsamer, weil sie weder Kinder noch Enkel haben", sagt er. Durch die Sperrzeiten in der Gastronomie und Einschränkungen im Nachtleben werde das soziale Miteinander getroffen. "Für mich und die Leute in unserem Verein sind die Schließungen aber wenigstens nicht existenzbedrohend, weil wir nicht hauptberuflich auf der Bühne stehen", sagt er. Den Spaß und die Freude, das vermisse er sehr.

Auch Discjockey und Kulturanthropologin Theresa Bittermann ist, froh, dass sie mehrere Standbeine hat und nicht ausschließlich aufs Auflegen oder die monatlich stattfindende Veranstaltungsreihe "She La" angewiesen ist - eine Party, die sich vorrangig an lesbische Münchnerinnen oder non-binäre und trans Personen aus der Stadt richtet. "Momentan bin ich an einem Theater angestellt und produziere dort die Musik für ein Projekt über Mutterschaft", sagt sie. Für ihre Gemeinschaft könnten die Einschränkungen im Nachtleben auf Dauer fatal sein. "Wenn die Clubs zu haben, heißt das, dass die Community sich nicht sehen kann", sagt sie. Dass man ein sexuelles Begehren abseits der Norm habe, könne begeisternd oder erschreckend sein. "Wenn Strukturen jenseits der Heteronormativität gelebt werden, trägt das dazu bei, dass man merkt, dass man nicht allein ist."

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