Verkehr in München:Bikesharing boomt

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Räder für Menschen, die kein Rad besitzen, bieten Fahrradverleiher wie das niederländische Unternehmen Swapfiets. (Foto: Catherina Hess)

Um dem Coronavirus aus dem Weg zu gehen, steigen viele Menschen aufs Fahrrad um. Jetzt drängen neue Anbieter von Leihrädern in den Markt.

Von Ramona Dinauer

Sie lagen an der Isar, hingen an Bäumen oder auf Parkscheinautomaten, manche waren einfach nur kaputt, andere hingegen kunstvoll zu Skulpturen geschichtet: Zwei Jahre ist es nun schon her, dass die Obikes aufkamen. "Damals hat Obike in München ein komplettes Chaos gestiftet", sagt der Radverkehrsbeauftragte Florian Paul, "innerhalb von sechs Wochen hat der Anbieter die Stadt mit fast 7000 nicht besonders hochwertigen Rädern geflutet." Die gelb-schwarzen Leih-Fahrräder provozierten, riefen Politiker auf den Plan - und verschwanden dann doch wieder aus den Straßen. Das Geschäftsmodell aber, an Großstadtbewohner und Großstadtbesucher Fahrräder zu verleihen, hat sich etabliert. Bikesharing boomt, gerade in Zeiten von Corona, wenn viele Menschen lieber an der frischen Luft radeln, als sich mit Maske in eine volle U-Bahn zu quetschen.

Der Boom bei Leihrädern kann auch den sogenannten Modal Split, die Verteilung des Verkehrs auf verschiedene Verkehrsmittel, vorantreiben. Schließlich beschloss die Stadt, dass bis 2025 rund 80 Prozent des Münchner Verkehrs emissionsfrei oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln abgewickelt werden sollen. Dazu soll auch das Fahrrad beitragen. Rund 18 Prozent aller Wege werden in München mittlerweile auf dem Rad zurückgelegt. Mit etwa 1,5 Millionen privat genutzter Fahrräder habe nahezu jeder Haushalt in München ein funktionierendes Fahrrad vor der Tür stehen, sagt der Radverkehrsbeauftragte Paul. Angesichts dieser Menge privater Räder werde nur ein Bruchteil der Fahrten auf einem Leihrad angetreten. Vor allem für Nicht-Münchner, die zu Besuch sind, bieten sich die Räder zum Leihen oder Teilen aber an.

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In 21 Kommunen gibt es die silber-blauen Fahrräder der Münchner Verkehrsgesellschaft mittlerweile, doch in der Universitätsstadt Garching sind sie besonders beliebt: Mehr als 21 000 Mal wurden sie dort 2019 ausgeliehen.

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Neue Anbieter drängen jetzt in den Markt. Die Schweizer Firma Bond stationierte Anfang Juni 250 E-Bikes in der Stadt und bezeichnet sich selbst als "weltweit erstes stationsloses S-Pedelec-Sharing-System". Vor allem an zentralen Knotenpunkten wie S- und U-Bahnhöfen stellt Bond seine bis zu 45 Stundenkilometer schnellen E-Bikes auf. Auch das dänische Unternehmen Donkey Republic bringt seine Leihräder zurück nach München. Auch ein Großeinkauf lässt sich mit einem Leihrad von LastiBike erledigen. Der Anbieter verleiht seine Lastenräder von festen Stationen aus. Das sind meist Läden in der Nachbarschaft, die das Lastenrad innerhalb ihrer Öffnungszeiten ausgeben und annehmen.

Nur die MVG-Räder sind an solche gebunden. Gerade das könnte ihr Vorteil sein, sagt Paul. Durch die Flottengröße sowie die festen Stationen seien die Räder der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) besonders gut sichtbar. In der Stadt allein stehen 3200 ihrer Leihräder. Im April wurden an den 125 Stationen 45 000 Räder ausgeliehen, im Mai waren es bereits wieder 61 000, was ungefähr dem Vorjahresniveau entspricht. Besonders frequentiert seien die Standorte an der Universität und der Münchner Freiheit. Je zentraler, desto beliebter gilt auch für die Leihräder der Deutschen Bahn. 1500 "Call a Bike"-Räder hat die Bahn an 140 Stationen in München verteilt. Im Zuge der Ausgangsbeschränkungen verzeichnete auch Call a Bike eine geringere Nachfrage. Mittlerweile habe diese das Vorjahresniveau erreicht. Deutlich angestiegen sei hingegen die Zahl der Neukundenregistrierungen.

Ein anderes Modell bietet Swapfiets. Das niederländische Unternehmen verleiht seine Räder für einen festen monatlichen Betrag. Geht das Rad kaputt, ersetzt die Firma es oder tauscht das defekte Teil aus. Im April vergangenen Jahres startete das Angebot in München. Bis Ende Februar konnte das Unternehmen 1500 Kunden in der Stadt gewinnen. Mit dem Frühlingsbeginn hat sich die Zahl der Abonnenten fast verdoppelt. Etwa 3000 Münchner radelten im Mai auf den Leihrädern mit den hellblauen Vorderreifen durch die Stadt. Das sei weniger der Corona-Krise als dem Beginn der warmen Jahreszeit geschuldet, sagt Sebastian Hesse von Swapfiets: "Obwohl immer mehr Menschen gerade im Innenstadtbereich vom Auto aufs Fahrrad wechseln, gehören Deutsche noch immer zu den Schönwetterfahrradfahrern."

Bei den E-Scooter-Verleihern haben das kalte Wetter und die Pandemie das Angebot schrumpfen lassen

Während die Nachfrage bei Leihrädern steigt, ist bei E-Tretrollern eher eine Konzentration zu beobachten. Seit einem Jahr können die Münchner auch die sogenannten E-Scooter leihen. Zu den besten Zeiten fuhren 8000 solcher Roller von sieben verschiedenen Anbietern über die Straßen, teilt das Kreisverwaltungsreferat (KVR) mit. Ähnlich wie die Obikes haben die Gefährte für viel Unmut gesorgt. Standen die Roller, blockierten sie häufig den Gehweg. Fuhren die Roller, stand oftmals ein angetrunkener Fahrer darauf. Allein im ersten halben Jahr nach dem Start ereigneten sich mehr als hundert Unfälle mit E-Tretrollern. Immer mehr Beschwerden erreichten die Stadt wegen der elektrischen Scooter. Eine Möglichkeit, ein solches Sharing-Angebot zu verbieten oder sanktionierbar zu regulieren, habe die Stadt nicht, sagt ein Sprecher des KVR.

Die kalte Jahreszeit sowie die anschließende Corona-Krise haben das Angebot an E-Tretrollern auf aktuell fünf Anbieter schrumpfen lassen. Die Unternehmen Bird und Lime haben ihre Roller während der Ausgangsbeschränkungen ganz von der Straße geholt, um Menschen nicht zum Verlassen ihres Hauses zu ermuntern. Seit Mai sind unter anderem auf den Rollern von Bird und Voi kostenlose Fahrten für medizinisches Personal möglich. Etwa 5000 solcher Freifahrten bot die Firma Dott für die Mitarbeiter der Münchner Kliniken, des bayerischen Roten Kreuzes und des bayerischen Apothekerverbands an. 1500 Roller hat Dott in München stationiert, wobei die von der Stadt festgelegte Obergrenze von 1100 Roller innerhalb des mittleren Rings nicht überschritten wird.

Erkunden lässt sich die Stadt auch auf elektrisch betriebenen Tretrollern. (Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

Die in der Selbstverpflichtungserklärung der Stadt festgelegte Begrenzung hält Lime-Chef Jashar Seyfi für nicht an das enorme Interesse in München angepasst. "Statt attraktive Alternativen zum Pkw zu fördern, bremsen Städte wie München weiterhin Mikromobilitätslösungen mit strikten Obergrenzen aus und verknappen das Angebot und die Verfügbarkeit künstlich", sagt Seyfi. Kontinuierlich mehr Fahrten auf E-Scootern verzeichnet das Unternehmen Dott nun wieder, nachdem die Nachfrage bei Sharing-Angeboten während der Kontaktbeschränkungen eingebrochen war. Einen Trend, den auch Voi und Lime bei ihren Rollern beobachten. Nun möchte Voi mit der alten Flottengröße in die Stadt zurückkehren. Anbieter Tier stellt seit Mitte Juni neben seinen E-Tretrollern auch 150 E-Mopeds in München auf.

Das Fazit nach einem Jahr E-Tretroller in der Stadt hält der Radverkehrsbeauftragte Paul für ernüchternd. "Revolutioniert haben die E-Scooter den Verkehr in München nicht", sagt er, "die Roller sind eine nette Spielerei, tragen aber wenig zur Emissionseinsparung bei." Vom Auto auf den E-Scooter würde kaum jemand umsteigen. Stattdessen würde mit E-Tretrollern auf Strecken gefahren, die jemand sonst zu Fuß zurückgelegt hätte. Somit seien Fahrräder ein deutlich bedeutenderer Baustein als die E-Tretroller bei der Entlastung des Münchner Verkehrs, ist Paul überzeugt.

© SZ vom 26.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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