Leder-Geschäft:Tradition, die bis zum Ötzi reicht

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Vater Hans Müller hat das Geschäft 2009 an Tochter Ines übergeben. Auch deren Mann Tobias arbeitet mit. Die Firmengeschichte reicht bis ins Jahr 1862 zurück. (Foto: Stephan Rumpf)

Leder ist eines der ältesten Materialien der Menschheitsgeschichte - und nach wie vor begehrt. Im Geschäft Leder Baumann hinter dem Sendlinger Tor findet seit Jahrzehnten reger Handel damit statt.

Von Bernhard Hiergeist

Ein Kunde hat von der Großmutter ein Täschchen geerbt und braucht eine neue Schnalle. Eine Frau braucht einen neuen Riemen für die Handtasche. Ein Mittelalter-Fan will im selbstgemachten Wams auf die nächsten Festspiele. Ein Wiesngänger kauft ein Stück Hirsch, weil er sich die Lederhose vergrößern lassen muss. Und manch einer hat eine zu spezielle Taille und findet keinen passenden Gürtel für sich, hat aber gehört, dass dieses Rätsel bei Leder Baumann hinter dem Sendlinger Tor gelöst werden kann.

Inhaberin Ines Müller, 38, steht im Laden, zwischen Stapeln von Nappa- und Veloursleder. "Jeder einzelne Kunde, der zu uns kommt, braucht etwas anderes", sagt sie. "Oder, Frau Riedle?" Frau Riedle arbeitet seit gut einem Vierteljahrhundert im Geschäft. Sie muss es wissen. "Ja", sagt Frau Riedle von hinter dem Verkaufstresen. "Jeder braucht was anderes."

Bei Leder Baumann in der Herzog-Wilhelm-Strasse wird dieses Jahr gefeiert. (Foto: Stephan Rumpf)

Seit 1969 wird der Laden Leder Baumann von Familie Müller geführt. Im Oktober feiern die Müllers ihr 50. Jubiläum, das Geschäft selbst ist aber schon älter. Viel älter, um genau zu sein: 1862 gründete der Kaufmann Clemens Baumann den Lederhandel, damals in der Hackenstraße. Er belieferte vor allem Sattler und Schuster, aber auch Tischler und Schneider. Die Inhaber wechselten, zuletzt 2009, als Ines Müller das Geschäft von ihrem Vater Hans übernahm. Auch der Ort wechselte: Als der Süddeutsche Verlag von der Sendlinger Straße nach Berg am Laim zog, musste der Lederladen, der im selben Gebäude untergebracht war, in die Herzog-Wilhelm-Straße umziehen. Jedoch: Der Name über der Tür blieb immer gleich.

Handwerker beliefert das Geschäft heute nicht mehr so sehr. Wie viele Menschen brauchen schon einen Sattel oder ein Ochsengeschirr? Dafür kommen mehr Endverbraucher, die auch mal nur ein Fläschchen Politur wollen, einen Karabiner, eine einzelne Niete. Oft hört man die Klage, dass die kleinen inhabergeführten Läden in den Innenstädten ausstürben. Bei Leder Baumann bekommt man von diesem Sterben nichts mit. Es kommt so viel Laufkundschaft an diesem Nachmittag, dass trotz vier Mitarbeitenden im Laden - Inhaberin Ines Müller, ihr Ehemann, Vater Hans und Frau Riedle - alle vier fast pausenlos in Kundengespräche verwickelt sind.

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Es ist also Zeit, um sich in dem Sammelsurium an Ledersorten umzusehen: Da ist Leder für Möbel und Motorradjacken, Leder für Handyhüllen, sämisch gegerbtes Hirschleder für Lederhosen, Pergament vom Hirsch zum Beziehen von Trommeln, Leder vom Lachs. Felle von Nutztieren. Es riecht, wie man es hier erwarten würde. Und beim Zusammendrücken knautscht es. "Leder lebt ja stark von der Haptik", sagt Ines Müller. "Man muss es berühren."

Leder ist eines der ältesten Materialien der Menschheitsgeschichte. Schon die Gletschermumie Ötzi trug etwa Schuhe, einen Lendenschurz und eine Mütze aus Leder. Irgendjemand hatte erkannt, dass man die Häute von Tieren weiterverwerten kann: Sie werden von Fleisch und Haaren befreit. Und die Gerbung sorgt dafür, dass sie nicht verwesen. Natürlich haben sich die Methoden verfeinert, aber der Prozess ist im Grunde seit Jahrtausenden der Gleiche.

Es gibt heute nur nicht mehr so viele Gerbereien wie früher. Der Handschuhhersteller Röckl, das weiß Hans Müller, betrieb die letzte in München. Heute bezieht Ines Müller das Leder von einigen wenigen Gerbereien in Deutschland und Italien. Zu beachten ist: "Wir sind die Händler, wir sind keine Handwerker", sagt Müller. Man bekommt alle Materialien, Werkzeug und Beratung, aber für die großen Arbeiten "muss man dann zum Schuster oder zum Schneider". Müller selbst fertigt zwar manchmal kleine Behälter aus Leder oder bei Großaufträgen etwa Schlüsselanhänger. Aber Anfertigungen in geringer Stückzahl lohnten sich für das Geschäft nicht.

Ein dünner Vorhang aus Veloursleder verbirgt die Werkstatt im Hinterzimmer. Hier können die Angestellten schnell Kleinreparaturen durchführen: Karabiner austauschen. Gürtel kürzen. Auf einer Werkbank sind Werkzeuge aufgereiht: eine Art Spaltgerät, eine Lochzange, ein Spitzeisen für die charakteristische Rundung beim Gürtel.

Das nötige Werkzeug für den perfekt sitzenden Gürtel. (Foto: Stephan Rumpf)

Also, was ist das Geheimnis eines guten Gürtels? Man muss genau messen, einerseits. "Niemand hat ja die Normalfigur", sagt Müller. Andererseits muss man einplanen, dass sich das Material mit der Zeit dehnt. "Ein Gürtel hat fünf Löcher und sollte im mittleren gut sitzen." In wenigen Minuten ist der Gürtel fertig und hält Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, sagt Müller. Kostet 40 Euro. Skeptikern bietet sie schon auch mal an, die Gürtel zurückzubringen. "Aber die bringen sie nie zurück", sagt sie.

Einen Großteil der Arbeit macht die Beratung aus. Die Leute wollen inzwischen wieder auch immer mehr selber machen, sagt Müller. Da gebe es dann schon recht spezielle Bedürfnisse, Stichwort Lederrüstung, die sich der Live-Rollenspieler selbst nähen möchte. Welches Leder eignet sich, welches Werkzeug brauche ich? "Wir denken viel quer", sagt Müller.

Etwas häufiger als früher fragten die Kunden heute auch nach Ledern, die nicht mit Chemikalien, sondern rein pflanzlich gegerbt wurden. Hin und wieder auch nach "veganem Leder". Als Material, sagt Müller, sei Leder schwer zu ersetzen, weil es eben elastisch und doch stabil sei. Denselben Effekt künstlich zu erzeugen, sei schwer, vor allem werde dann meistens auf Kunststoffe gesetzt. "Man muss Leder bewusst einsetzen", sagt Müller. "Und man muss es bewusst kaufen. Es ist zurecht ein teurer Stoff, weil er in der Herstellung kompliziert ist und sehr lange hält." Soll heißen, dass auch nicht alles auf Teufel komm raus aus Leder sein muss. Die Menschen sollten überlegt kaufen und vielleicht bei den Lederschuhen für 19,99 Euro kurz innehalten.

Bastlern, die mit Leder arbeiten wollen, empfiehlt sie, bei den Zuschnitten aufzupassen, damit möglichst wenig Abfall entsteht. Da sei aber das Bewusstsein bei vielen längst da. Ein Kunde holt nun gerade eine alte Aktentasche ab, die einen neuen Verschluss bekommen hat. "Dass man nicht mehr gleich neu kauft, sondern sich auch mal nach einem Ersatzteil umschaut", sagt Müller, "das ist doch auch ein schöner Zeitgeist."

© SZ vom 17.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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