Süddeutsche Zeitung

Lange Nacht der Museen:Trubel und volle Häuser

Der Besucherandrang bei der Langen Nacht der Museen ist so groß, dass sich Kulturschaffende Sorgen machen, die sie lange herbeigesehnt haben. Es gibt viel zu sehen, auch an weniger prominenten Ausstellungsorten.

Von Heiner Effern

Ein römischer Kaiser, mit dessen Büste das Abwassersystem gereinigt wurde. Ein Kopf aus weißem Marmor, der als eine Art Spirale der Antike an Seilen durch die unterirdischen Kanäle Roms gezogen und später dort auch gefunden wurde. Was für eine Geschichte, die die Archäologin Petra Künzel zum Start der Langen Nacht der Museen erzählt. Dass diese historisch nicht zu hundert Prozent gesichert ist, geschenkt. Erklärt sie doch so anschaulich, warum am überdimensionierten Haupt von Kaiser Konstantin die Nase, die Ohren und die Augenbrauen komplett abgeschliffen sind. Außerdem passt sie auch zur nicht ganz so authentischen Büste: Sie besteht aus Gips und steht im Keller des Abgussmuseums, dem Hort der Kopien aus dem Altertum.

Eigentlich ist zum Start der Tour die Glyptothek geplant gewesen, die zum ersten Mal frisch saniert zur Münchner Museumsnacht eingeladen hat. Doch die lange Schlange davor verleitet zu einem Schlenker zu den Gipsköpfen gleich in der Nachbarschaft im Museumsviertel. Einchecken mit der Eintrittskarte, Maske rauf, das orangene Bändchen an der Hand für die 3-G-Regel vorzeigen, die Lange Nacht kann beginnen. Petra Künzel bringt die Gruppe für eine Kurzführung zu Konstantin und legt zur ersten Museumsnacht in der Pandemie eine unterhaltsame Premiere hin. "Das war meine allererste Führung", sagt die frühere Web-Designerin, die ihr Leben auf den Kopf gestellt hat und nach einem Studium der Archäologie nun beruflich ihrer Leidenschaft frönt.

Der laue Oktoberabend ist wie gemacht für kulturelle Freuden, und die Münchnerinnen und Münchner sind von Anfang an gewillt, die Chance zu ergreifen. Vor dem Museum Brandhorst, der Alten Pinakothek und dem Lenbachhaus heißt es um 18 Uhr für viele Besucher erst mal anstehen. Am Ende verkünden die Veranstalter, dass alle 23 000 Tickets, die für die Pandemie-Ausgabe der Langen Nacht zur Verfügung standen, verkauft wurden.

Zwei davon haben die 21 Jahre alte Jenni Ilmarinen aus Finnland und die 19 Jahre alte Sofia Desiati aus Italien erworben. Sie gehören zu den Glücklichen, die im Lenbachhaus schnell den Eintritt geschafft haben und nun durch die Sonderschau "Kollektive der Moderne" schlendern, die erst an diesem Montag offiziell öffnet. Eine ziemlich tolle Sache sei diese Museumsnacht, meinen die Austauschstudentinnen. Am Tag sei immer viel los, so könne man den Abend schön nutzen. "In jedem Fall besser, als nur in der Bar zu trinken", sagt Jenni Ilmarinen, und verlässt den Raum der "Casa Blanca School," um weitere Künstlernetzwerke und deren Bilder zu entdecken.

Unten am Eingang beraten kurz vorher noch die Verantwortlichen des Lenbach-Hauses, wie sie mit dem enormen Andrang umgehen sollen. Ein paar Sicherheitsleute mehr für die sensiblen Werke, ein gleichmäßiger Ein- und Auslass, dass die Zahl von 850 Besuchern nicht überschritten wird. Doch all das sind Sorgen, die Kulturschaffende herbeigesehnt haben nach Zeiten der langen Corona-Schließung. "Wenn die Leute wieder ins Museum kommen, ist das einfach toll. Und darunter auch noch so viele junge Leute", strahlt Claudia Weber, Sprecherin des Lenbachhauses.

Das gleiche Bild, etwas weniger überraschend vielleicht, zeigt sich im gerade eröffneten Kunstlabor 2, dem ehemaligen Gesundheitshaus an der Dachauer Straße. Das Münchner Museum of Urban and Contemporary Art hat das Gebäude fünf Jahre zur Zwischennutzung übernommen. So wie es die Besucher an diesem Abend annehmen, hat die Stadt damit eine gute Entscheidung getroffen. Die mehr als 60 Künstler, die die Räume gestaltet haben, spielen oft mit der alten Einrichtung des Hauses. So wie Jody Korbach, die in ihrer Arbeit die Ambivalenz zwischen Ordnung und Exzess darstellt: eine alte Amtsstube nach einer Party, oder eher nach einem Besäufnis. In einer offenen Schublade liegen noch offizielle städtische Unterlagen zum Oktoberfest, aus dem Jahr 1994.

Doch nicht nur Trubel und volle Häuser prägen die Lange Nacht, sondern auch die Gelegenheit, einfach mal neugierig reinzuschauen. Ins Künstlerhaus am Lenbachplatz, in dem junge Nachwuchsschülerinnen Kunstwerke tanzen. Oder ins Sudetendeutsche Museum in der Hochstraße, das beim Vorbeigehen alleine durch seine Architektur anzieht. Herrlich der Kontrast, wenn man von dort die kaum bekannten Treppen am Hang zur Isar hinuntersteigt, noch einmal den Blick zurückwirft, um dann unten in das Haus des Deutschen Ostens am Lilienberg zu treten, untergebracht im früheren Bezirksamt München. Hier begegnet einem ein Bekannter aus der Politik. Grünen-Fraktionschef Florian Roth erzählt in einem Video über seinen Bezug zur Herkunft seiner Familie aus Rumänien. Oben im Vortragssaal liest die Salzburger Autorin Ulrike Schmitzer. Sie beschreibt, mit viel Humor, die Rückkehr mit ihrer Mutter zum früheren Haus ihrer Familie in Serbien. Danach geht es noch kurz in die Lothringer 13, zur Ausstellung "dissolving matter & value". Fast alleine ist man da kurz vor Mitternacht, vom Trubel der Stadt ist hier nichts mehr zu spüren. Ein guter Abschluss, mit dem Gefühl, viel gesehen zu haben - und zu viel nicht.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2021
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