Als Foto schafft die Szene zehn von zehn Kitschpunkten. In der hohen Wiese zwischen Streuobstbäumen kann man den vielleicht schönsten Sonnenuntergang des Münchner Westens bewundern. Nicht ein einziger Bau-Riegel verdirbt den weiten Blick auf den abendlichen Auftritt. "Das ist praktisch die Hackerbrücke in Grün", sagt Martin Hänsel vom Bund Naturschutz (BN). Selbst für Stadtrand-Publikum bietet sich hier ein unerhört friedliches Schauspiel, im Landschaftspark West. Den Park - nach BN-Angaben 186 Hektar groß - umgeben im Norden Pasing, im Osten Laim und im Westen Hadern. Von allen Seiten strömen erholungsuchende Städter auf diesen Fleckerlteppich aus Ackerland, Wiese und Wald.
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Klar, die Begehrlichkeiten in einer an Grundstücken klammen Stadt sind gewaltig. Ein Park, der mehr als viermal so groß ist wie die Theresienwiese, ist ein Geschenk für alle, die aus ihren Wohnungen in die freie, möglichst nahe Natur fliehen. Die große Fläche ist aber auch interessant für jene, die neuen Wohnraum schaffen wollen für die vielen Menschen, die es nach wie vor in die Stadt zieht. Da wird jeder Quadratmeter auf seine Verwertbarkeit hin abgeklopft. Dass an der nordöstlichen Flanke des Areals, auf Höhe der Willibaldstraße an der Grenze zwischen Pasing und Laim, bis Anfang der 2030er-Jahre eine neue Haltestelle für die verlängerte U5 entsteht, ist für städtische Wohnraumplaner fast schon eine Aufforderung zum Weiterdenken.
Die Spuren dieser Entwicklung sind jetzt schon an den Rändern des grünen Eilands zu sehen. Anfang des Jahres sind an der Ecke Willibald- und Gotthardstraße Hunderte zumeist mehr als 40 Jahre alte Bäume für die Baustelle gefällt worden - eine Schneise der Verwüstung. Nachgepflanzt wird frühestens in zehn Jahren. "Bis wir wieder eine Situation mit vergleichbar großen Bäumen haben, vergeht ein halbes Menschenleben", sagt Naturschützer Hänsel. Einzig die Aussicht auf einen künftigen U-Bahn-Stopp vor der eigenen Haustür lässt viele Anwohner diese Wunde in Kauf nehmen.
Weniger Akzeptanz gab es im vergangenen Sommer, als das Planungsreferat den Stadtentwicklungsplan 2040 (Step) präsentierte. Dabei geht es um Ideen, wie München in 18 Jahren mit dann knapp 1,85 Millionen Menschen "effiziente, zuverlässige und klimaneutrale Mobilität", bezahlbaren Wohnraum und auch Erholungsflächen gedeihlich orchestrieren will. Für den Landschaftspark West skizzierte Stadtbaurätin Elisabeth Merk Bereiche für "urbane, sozial gemischte und klimaneutrale Quartiere". Im Klartext: Es soll gebaut werden im Grünen. Es hagelte Protest aus der Bevölkerung, den Bezirksausschüssen und auch aus dem Stadtrat. In seiner Vollversammlung entschied der letztlich: kein neues Siedlungsgebiet im Landschaftspark West. Erstmal.
Das grüne Refugium, das im Westen an den Lochhamer Schlag grenzt, wird von vielen Menschen so geliebt, weil man erstens kein Auto zum Herkommen braucht und zweitens jede Menge Nischen für die ganze Familie findet. Starten lässt sich an den Kräutergärten Silberdistelstraße in Pasing hinterm Westbad, wo das Parzellen-Volk im Frühjahr Kartoffeln, Mangold, Rote Rüben und was nicht alles anbaut und man ihm übers Jahr als Zaungast zuschauen oder sich selbst einmieten kann. Ein paar Felder weiter bestellen Bauern auch mit schwerem Gerät den Acker. Für Mädchen und Buben aus der engen Stadt ein urlaubshaftes Erlebnis, nur ein paar Radl-Minuten vom eigenen Kinderzimmer entfernt.
Über Feld- und Asphaltwege geht's kreuz und quer Richtung Blumenau, vorbei an Biotopen, Streuobstwiese, Bogenschießanlage, Richtung Dirtpark und wäldchenhaften Streifen, wo sich im Unterholz prächtige Steckerl-Höhlen bauen lassen. Beim Eingang an der Senftenauerstraße turnen Kinder im Schatten großer Bäume auf dem Spielplatz, um die Ecke treffen sich Jugendliche zum Bolzen. Für viele von ihnen ist dies der einzige Raum, in dem sie sich frei bewegen und die Natur entdecken können. Tiefer im Gelände binden Mitarbeiter der Baumschule junge Stämme in endlos langen soldatischen Reihen hoch, Jogger kreuzen, Gassigeher auch. Wenn ein städtischer Park divers sein kann, dann der Landschaftspark West.
Diese Diversität, sagt Hänsel vom Bund Naturschutz, zeige sich auch in der Artenvielfalt. Vor lauter Überzeugungslust stimmt er sogleich am Telefon den Ruf der selten zu hörenden Goldammer an: "Wie wie wie wie hab ich dich lieb." Den Vogel gebe es in einer normalen Parkanlage nicht, Turmfalken und Feldlerche ebenso. Am südlichen Ende des Geländes quaken Laubfrösche einer Restpopulation.
Für das Stadtklima erfüllt der Park eine elementare Funktion: Er ist Kaltluftentstehungsgebiet und leitet die Frischluft in einer Schneise ins Herz der Stadt. Diese Schneise zu bebauen, käme einem "Kardinalfehler der Stadtplanung" gleich, warnt Hänsel. Wo das hinführe, zeige eine Modellierung der Technischen Universität München: Durch die Erwärmung im Zuge des Klimawandels bei gleichzeitiger Abnahme der Grünflächen um zehn Prozent, beispielsweise durch Nachverdichtung, käme man bis 2080 an einem wolkenlosen Sommertag in München auf über 43 Grad. "Jedem muss klar sein, dass es hier nicht mehr um laue Biergartennächte im Zuge des Klimawandels geht, sondern darum, ob die Stadt überhaupt noch als Lebensraum geeignet ist", so Hänsel. Die mit dem dicken Geldbeutel zögen dann raus aus der Stadt. "Eine Gentrifizierung der anderen Art."
"Wir wollen nicht, dass Natur gegen Wohnungsbau ausgespielt wird."
Dass der Stadtrat vergangenen Sommer den Siedlungsbau im Park nach Protesten wieder aus dem Step-Konzept herausgenommen hat, ist auch ein Verdienst der Bürgerinitiative Landschaftspark West. Sie sammelte in kurzer Zeit 5000 Unterschriften gegen eine Bebauung dieses letzten zusammenhängenden Grünzugs für den Münchner Westen. "Wir wollen nicht, dass Natur gegen Wohnungsbau ausgespielt wird. Die Stadt München steht in der Verantwortung, beide Seiten zu fördern und zu schützen", sagt Susanne Kopp von der BI. "Die Natur kommt aber in München definitiv zu kurz." Laim verfüge nur über drei Prozent Grünfläche und liege damit auf dem letzten Platz der Münchner Quartiere mit eigenem Grünanteil.
Seit dem Frühjahr haben Kopp und ihre Mitstreiterinnen viele politische Gruppen auf einem Spaziergang durch den Landschaftspark begleitet, Stadträte, Vorsitzende der Landtagsfraktionen bis hin zu Ministern - alles dabei. Aktuell wertet man im Planungsreferat die Bürgerbeteiligung aus, die zum Step und damit auch zum Landschaftspark stattgefunden hat. Die Überarbeitung der Pläne dauere noch, erst 2023 werde man dem Stadtrat einen Beschluss vorlegen können, so ein Sprecher. Der Park solle als Freiraum entwickelt werden - eine Bebauung sei nicht mehr vorgesehen.
Susanne Kopp und ihre Mitstreiterinnen haben zusammen mit dem Bund Naturschutz selbst Visionen für den Landschaftspark entwickelt - unter anderem soll ein Teil als Landschaftsschutzgebiet deklariert werden. Kopp, die neben der Baumschule groß geworden ist, spricht davon, "diese wertvolle Fläche mit so vielen Ecken und Winkeln und Möglichkeiten zu erhalten". Wo, fragt die 60-Jährige, "ist es zum Beispiel im Herbst sonst noch in der Stadt auf freiem Feld möglich, Drachen steigen zu lassen?" Auch so ein Bild, das in der Kitschpunkte-Skala weit oben rangiert.
Einen öffentlichen Spaziergang übers Baumschul-Gelände bieten deren Mitarbeiter am 23.September, zehn bis zwölf Uhr, an. Anmeldung über die Homepage der Bürgerinitiative: www.landschaftspark-west.de .