Süddeutsche Zeitung

Verhandlungsabbruch im Landgericht:Das zweifelhafte Glück der Chinesen

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Der Bayerische Hof fordert von der Allianz-Versicherung sechs Millionen Euro für die Schließung während des Lockdowns - doch die Verhandlung endet schnell, weil die Richterin einen umstrittenen Satz sagt. Nun muss die Kammer über einen Befangenheitsantrag entscheiden.

Von Stephan Handel

Wenn ein Rechtsanwalt in einer Gerichtsverhandlung eine "Unterbrechung wegen eines unaufschiebbaren Antrags" verlangt, dann weiß jeder, was es geschlagen hat: Ein Mitglied des Gerichts hat etwas gesagt oder getan, das beim Anwalt "Misstrauen gegen die Unparteilichkeit rechtfertigt", wie es in der Zivilprozessordnung heißt - und deshalb gibt es jetzt einen Befangenheitsantrag.

Als Peter Gauweiler am Freitag kurz nach zehn Uhr diesen Satz sagt, wissen also alle, dass die Verhandlung für diesen Tag bald zu Ende ist: Petra Gröncke-Müller, die Vorsitzende Richterin der 25. Zivilkammer am Landgericht, ihre beiden Beisitzerinnen, die anderen im Gerichtssaal Anwesenden - und auch Innegrit Volkhardt, die Chefin des Bayerischen Hofs. Um ihre Klage ging es eigentlich, ihren Streit mit der Allianz und um sehr viel Geld: mehr als sechs Millionen Euro.

Volkhardt hat für den Bayerischen Hof und für ihr Hotel "Zur Tenne" in Kitzbühel eine Betriebsschließungs-Versicherung abgeschlossen. Wie so viele Gastronomen mit ähnlichen Policen dachte sie, diese würde greifen, als die bayerische Staatsregierung im März des vergangenen Jahres alle Gastronomie-Betriebe wegen Corona schloss. Falsch gedacht: Mehr als 100 Klagen sind allein am Landgericht anhängig, weil die Versicherungen - nicht nur die Allianz - sich weigern zu zahlen. Die Summe, die Volkhardt einklagt, ist sicher eine der höchsten: 193 000 Euro pro Tag soll die Schließung des Bayerischen Hofs wert sein, die der Tenne 13 700. Und weil die Versicherung im Jahr für 30 Ausfall-Tage zahlt - wenn sie zahlt -, summiert sich das auf mehr als sechs Millionen Euro.

Die Verhandlung am Freitag beginnt wie üblich mit der Vorsitzenden Richterin, die in den "Sach- und Streitstand" einführt: Worum es überhaupt geht, welche Argumente bislang in den Schriftsätzen vorgetragen wurden. Recht schnell macht Gröncke-Müller die Haltung des Gerichts deutlich: Es hält eher die Argumentation der Versicherung für die richtige. Dann aber sagt sie, ihr sei schon klar, dass gerade die Gastronomie "extrem gelitten" habe, und fährt fort: Als sie im Januar 2020 vom Ausbruch in Wuhan gehört habe und von den drastischen Maßnahmen, die die chinesische Regierung ergriff, da habe sie gedacht: "Da haben die Chinesen Glück, dass sie eine Diktatur haben, bei uns wäre das nicht möglich."

Gauweiler braucht nur wenige Sekunden, um zu reagieren. Er unterbricht die Richterin und beantragt, diesen Satz ins Protokoll aufzunehmen. Nach einigem Hin und Her tut Gröncke-Müller das, ergänzt ihr Zitat jedoch mit dem, was sie davor und danach gesagt hat: Dass keiner solche Maßnahmen in Deutschland für möglich gehalten habe - wenige Wochen später aber war das Unmögliche Realität geworden.

Gauweiler unterbricht erneut, jetzt folgt der Satz mit dem "unaufschiebbaren Antrag". Zehn Minuten später lehnt er die Vorsitzende wegen dieses Satzes ab - mit der Begründung, dass die "befürwortende Verbindung" von Glück und Diktatur gegen das richterliche Berufsbild verstoße, gegen die bayerische Verfassung und gegen das deutsche Richtergesetz.

Über diesen Antrag entscheiden nun zunächst die Mitglieder der 25. Zivilkammer, allerdings ohne Gröncke-Müller. Sollten sie ihre Vorsitzende für nicht befangen halten, könnte Gauweiler mit einer Beschwerde zum Oberlandesgericht zwei Häuser weiter ziehen. Und erst wenn dort endgültig entschieden ist, könnte der Prozess um sechs Millionen Euro für den Bayerischen Hof und die Tenne in Kitzbühel auch in der Sache weitergehen.

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SZ vom 06.03.2021
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