Sie wollen sich gegen die Verpackungsmüllflut anstemmen und das lassen sie sich auch Geld kosten, das sie möglicherweise in den Wind geschossen haben - wenn das Vorhaben scheitern sollte. Sie kommen überwiegend aus Laim und Pasing, einige auch aus Hadern und Neuhausen oder Sendling, einer sogar aus Rosenheim. 310 Menschen (Stand: Ende April) haben 653 Anteile - einen Anteil zu 150 Euro - gezeichnet für den ersten "Unverpackt"-Laden in München, der sich als Genossenschaft organisiert. Das macht exakt 97 950 Euro Kapital. Ein durchschlagender Erfolg. Oder?
"Ja, es ist wirklich toll, ich war am Anfang eher skeptisch", sagt Sabina Pötzsch. Die Psychotherapeutin aus Laim hatte vor einigen Monaten die Idee zu einer plastikfreien Einkaufsmöglichkeit auch in ihrem Viertel, den Aufruf dazu im Nachbarschaftsforum nebenan.de gestartet und das Projekt dann mit einem kleinen, engagierten Team konstant vorangetrieben. Allerdings, schiebt sie nach, "haben wir ja auch schon einiges an Kosten". Für den günstig gelegenen Laden, einen ehemaligen Getränkemarkt, an der Willibaldstraße 18 am Eck zum Willibaldplatz, muss seit April Miete gezahlt werden. Das Gehalt des jungen Mannes, der mit einer halben Stelle den kleinen Markt leiten wird, muss gezahlt werden, die Eintragung beim Registergericht kostet, die Maklergebühren, die Mitgliedschaft im Genossenschaftsverband... 10 000 Euro seien schon wieder abgeschmolzen, ehe auch nur das erste Kilo Nudeln, die erste Box Reis, das erste Pfund Äpfel oder Karotten über die Theke gegangen ist, rechnet Pötzsch vor.
Einen langen Weg haben sie schon zurückgelegt, seit Sabina Pötzsch im vergangenen Oktober auf dem Rückweg vom Einkaufen über diesen ganzen Plastikwahn sinniert und sich die Frage gestellt hat, warum es in ihrem Viertel keine Alternative dazu gibt. Sie haben sich beraten lassen, an einem Businessplan getüftelt, sich in Einkauf, Hygienevorschriften und Marketing eingefuchst, eine Webseite aufgebaut, Infostände am Laimer Bauernmarkt aufgeschlagen und im Februar ein Fest veranstaltet, um das bisher Erreichte zu feiern.
Und dann kam Corona, mit seinen Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen, und brachte ein bisschen Sand ins Getriebe. Den Laden wollten sie mit vielen freiwilligen Helfern renovieren und ansprechend gestalten, das läuft jetzt natürlich nicht wie geplant. Viele Helfer zimmern jetzt halt zuhause Regale, "und wir haben noch Superglück, dass ein Handwerker im selben Haus, über dem Laden, wohnt, der beim Renovieren hilft," erzählt Sabina Pötzsch. Dennoch müsse man mehr Handwerkerleistungen beauftragen, es entstehen mehr Kosten als kalkuliert, "da müssen wir jetzt krass aufpassen".
Der Vorstand der Genossenschaft hat deshalb kürzlich einen Aufruf an alle Genossinnen und Genossen gestartet, noch einmal anzuschieben, zum Beispiel weitere Anteile zu zeichnen, ein Darlehen zu geben oder auch die Finanzierung einzelner Kleinprojekte zu unterstützen. Eine schöne Beleuchtung für die Außenwerbung ist wünschenswert, hübsche Fliesen für die Thekenfront, ein Fahrradständer, eine große Tafel und zwei kleine Tafelaufsteller am Eingang mit Hinweisen auf aktuelle Angebote. Der Aufruf war erfolgreich: 330 Genossen mit 685 Anteilen sind es jetzt, also fast 103 000 Euro.
Es gibt viel zu bedenken und zu besprechen, und das in einer Zeit, in der Gruppentreffen nicht möglich sind und das Kernteam der "Nebenan & Unverpackt München West eG", dem Menschen zwischen 30 und 60 Jahren angehören, alles per Skype eintüten muss. Anfang Juni, so das Ziel, das alle im Auge haben, soll der Laden am Willibaldplatz eröffnet werden. Im Angebot: Lebensmittel, Milchprodukte, Obst und Gemüse, regional und saisonal, auch Gesichts- und Körperpflegeprodukte, Putzmittel und vieles mehr, unverpackt und plastikfrei. Außerdem ist ein kleiner Cafébereich mit 20 Sitzplätzen vorgesehen, in dem Nachbarn zusammenkommen, im Gespräch bleiben können; auch Vorträge und Workshops zu Klimawandel, Zero Waste und nachhaltigem Leben sind geplant. Schließlich soll nicht nur der Inhalt der Einkaufsbeutel, sondern auch das Denken der Konsumenten umwelt- und klimabewusster werden. "Wir werden mit dem Laden sicher nicht die Welt retten. Aber wir können damit zeigen, dass jeder ein bisschen was für die Umwelt tun kann", erklärt Michael Toepell, der den Businessplan für das Geschäft entwickelt hat.
Sabina Pötzsch sagt mit Blick auf die Ladenöffnung noch einen Satz, der beiläufig daherkommen soll, in dem aber deutlich Besorgnis mitschwingt. Sie hoffe, dass jetzt, in diesen Zeiten der Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus, "nicht plötzlich alle nur noch gut Verpacktes kaufen wollen".