Juristische Hilfe:"Sich über seine Rechte im Klaren zu sein, ist alles andere als selbstverständlich"

Lesezeit: 4 Min.

"Sich über seine Rechte im Klaren zu sein, ist aber alles andere als selbstverständlich", sagt Natali Gbele. Ihr Verein "Kyri" setzt sich für diejenigen ein, die sich ihrer Rechte nicht bewusst sind. (Foto: Lorenz Mehrlich)

Die angehende Juristin Natali Gbele, 24, hat mit anderen Münchner Studierenden den Verein "Kyri" gegründet. Ziel ist es, Menschen mit Fluchtgeschichte oder Sprachbarriere zu zeigen, welche Rechte sie haben. Es sind Menschen, denen sich Natali selbst zugehörig fühlte.

Von Nikolai Vack

Das Recht ist zu exklusiv. Dieser Meinung ist Natali Gbele, 24. An und für sich klingt das erst einmal widersinnig - gerade weil es um etwas geht, das für alle gilt. "Sich über seine Rechte im Klaren zu sein, ist aber alles andere als selbstverständlich", sagt Natali. Diese Erkenntnis wurde ihr bei einer Wohnungsbesichtigung in München deutlich. Dort habe ihr der Vermieter eine Absage erteilt, weil sie Jura studiert. Sie kenne sich zu gut aus, habe er ihr vorgeworfen. "Da dachte ich mir: Diese Angst sollte ein Vermieter vor jeder Person haben", sagt sie. "Jeder soll seinen Mietvertrag durchlesen können und bemerken: Hier stimmt etwas nicht. Aber dafür muss man das Problem überhaupt erkennen."

Genau an dieser Stellschraube will ihr Verein drehen, "Know Your Rights Initiative" - abgekürzt Kyri. So nennt sich der Verein, den die angehende Juristin im Dezember 2021 mit sechs weiteren Studierenden der Ludwig-Maximilians-Universität ins Leben gerufen hat. Worum geht es? Kyri will das Recht zugänglicher machen. Im Fokus der Initiative stehen Menschen, die an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt werden. Menschen mit einer Fluchtgeschichte. Menschen, die sich hier noch nicht sicher fühlen. Menschen mit Sprachbarriere. Menschen, denen sich Natali selbst einst zugehörig fühlte.

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Natali erinnert sich zurück: "Auf einmal hielt ich ein gelbes Kärtchen in der Hand", sagt die Jurastudentin heute. Vier Jahre ist das mittlerweile her, es war an einem kalten Februartag in London. Natali war zu Besuch, damals konnte sie noch nicht erahnen, welchen Anstoß dieser kleine Gegenstand liefern würde. Demonstrierende hatten sich damals vor dem britischen Innenministerium zusammengefunden, auch Natali war Teil dieser Gruppe. Eines hatten alle Versammelten gemein: Sie waren empört - empört über den Umgang der britischen Regierung mit Geflüchteten.

Und das gelbe Kärtchen? Auf der Vorderseite stand in Großbuchstaben: "Legal Advice - Arrest." Darunter stand die Telefonnummer einer Nonprofit-Organisation, die im Fall einer Festnahme durch die Polizei zur Hilfe eilen kann. Doch die Inspiration für das eigene Projekt der Jurastudentin befand sich auf der Rückseite. "Die Polizei darf dies, jenes aber nicht, stand da in einfachen Worten", sagt Natali. "Ich dachte mir: Das ist eine zugängliche Idee, etwas Physisches, das trage ich in meiner Hosentasche."

Zurück in Deutschland: Wie verhalte ich mich bei Personenkontrollen oder Wohnungsdurchsuchungen? Wie kann ich mich dagegen wehren? Das wissen selbst viele Deutsche nicht. Wenn dann auch noch sprachliche Schwierigkeiten hinzukommen, macht das die Angelegenheit nicht leichter.

Der Verein Kyri muss letztendlich zwei interkulturelle Schwellen überwinden: zunächst die Sprachbarriere überbrücken und dann einen Zugang zum elitären Behördendeutsch schaffen. Im vergangenen Herbst hat der Verein eine Vortragsreihe auf die Beine gestellt, die sich folgenden Fragen widmete: Was darf die Polizei? Was sind meine Rechte?

Bei Vorträgen soll es aber nicht bleiben. Die jungen Mitglieder verteilen Flyer, auf denen Verhaltenstipps in einfacher Sprache abgedruckt sind - ihre eigenen gelben Kärtchen, wenn man so will. "Hilfesuchende sollen nicht darauf angewiesen sein, zu uns zu kommen", sagt Natali. Momentan helfe ihnen die Organisation "Translaid" dabei, die Flyer in zehn verschiedene Sprachen zu übersetzen.

"Ich war mit dem Behördendeutsch völlig überfordert."

"Ich betrachte mich selbst als Zielgruppe", sagt die junge Gründerin über ihren eigenen Verein. Als die gebürtige Palästinenserin im Jahr 2017 in die Bundesrepublik kam, sprach sie noch kein Wort Deutsch. Ein Jahr später und mittlerweile der deutschen Sprache mächtig beantragte sie dann ihre Aufenthaltsgenehmigung, um Jura in München zu studieren. Natali erinnert sich an das bürokratische Unterfangen zurück: "Das war viel zu kompliziert für mich, ich war mit dem Behördendeutsch völlig überfordert", sagt sie. Eine Erinnerung, die ihr so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen wird. Dafür ist die Gründung ihres Vereins der stärkste Beweis.

Dass es keinen Überfluss bei der Unterstützung von Geflüchteten geben kann, weiß Natali spätestens seit dem zweiten Semester ihres Jurastudiums. Da begann sie ihr Engagement für die "Refugee Law Clinic" - eine Rechtsberatung, die Vertriebenen im Asylverfahren zur Seite steht. "Klar, ich musste nie aus meiner Heimat flüchten", sagt sie, "aber das palästinensische Volk ist die größte Gruppe vertriebener Menschen auf der Welt. Arabische Kulturen sind kollektive Kulturen. Auch in mir ist das sehr stark ausgeprägt. Ich frage mich: Was für einen Sinn hat mein Studium, wenn ich es nicht für mein Umfeld nutzen kann? Gewissermaßen wollte ich meinen Schwestern und Brüdern helfen."

Der Verein Kyri will helfen, wenn die Lage noch nicht eskaliert ist

Ihre Zeit bei der Refugee Law Clinic habe ihr auch gezeigt, wie sehr ein verbessertes Rechtsverständnis die einzelnen Schicksale der Menschen beeinflussen kann. Deshalb habe es sich ihr Verein Kyri zur Aufgabe gemacht, dann zu helfen, wenn die Lage noch nicht eskaliert ist. Hilfe zur Selbsthilfe anbieten. Aufklären, ehe es zu einer Rechtsverletzung kommt. Prävention statt Repression also.

Wie aber stellt der studentische Verein sicher, dass sein Hilfsangebot die akademische Sphäre verlässt und dort ankommt, wo es benötigt wird? "Die effektivste Methode, unsere Zielgruppe zu erreichen, ist mittels sozialer Einrichtungen", erklärt Natali. "Wenn man eine Fluchtgeschichte vorzuweisen hat, dann kann es schwierig sein, Vertrauen aufzubauen. Wir müssen die Menschen erst überzeugen, dass wir auf ihrer Seite sind." Deshalb sei sie aktiv auf Organisationen zugegangen, denen bereits Vertrauen entgegengebracht wird. Um auf ihre Vortragsreihe im vergangenen Herbst aufmerksam zu machen, durchquerte die Gründerin das Münchner Stadtgebiet und hing Plakate in 20 verschiedenen sozialen Einrichtungen auf.

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Die Mühe hat sich gelohnt. Zu einem der Vorträge erschienen hauptsächlich Nicht-Staatsangehörige. "Die Teilnehmer fühlten sich sicher, ihre persönlichen Geschichten zu erzählen", sagt Natali. "Das war ein unglaublicher Vertrauensbeweis."

Nicht alle waren auf Anhieb von der Grundidee des Vereins überzeugt. Viele der Inhalte könne man doch googeln, lautete die Kritik, die sich Natali anfangs anhören musste. "Die Anfragen, die wir erhalten, zeugen vom absoluten Gegenteil", kann die Jurastudentin jetzt mit Gewissheit sagen.

Die Leidenschaft für ihr Projekt gewinnt sie aus ihrer eigenen Lebensgeschichte. "Ich wollte die Hilfe ein Stück weit für mich selbst", sagt die Kyri-Gründerin und fasst sich dabei an den goldenen Ring aus ihrer Heimat. Das verbinde ihre Vergangenheit mit ihrer Gegenwart - eine Feststellung, die sich auch über das gelbe Kärtchen aus London treffen lässt. Bis heute hat sie es aufbewahrt.

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Weitere Texte findet man im Internet unter jungeleute.sueddeutsche.de, www.instagram.com/szjungeleute oder www.facebook.com/SZJungeLeute

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