Süddeutsche Zeitung

Serie Grün im Grau:Einmal gerettet - und schon wieder gefährdet

Wo einst eine Eisengießerei und ein Stahlwerk standen, bietet heute der Kustermannpark Naherholung für die Anwohner. Doch Pläne für eine neue Tramlinie bedrohen die Anlage.

Von Ulrike Steinbacher

Wo Ramersdorf an Haidhausen stößt, liegt ein kleines grünes Dreieck, eingeklemmt zwischen Wohnhochhäusern und dem Werksviertel, eine winzige Freiluft-Oase mit Sitzbänken, Spielplätzen, Sportflächen und ein paar Spazierwegen. Auf der einen Seite rattern die Züge zum Ostbahnhof vorbei, auf der anderen röhren die Autos die Rosenheimer Straße entlang. Heute bietet der Kustermannpark den Nachbarn Naherholung im Schatten alter Bäume, aber das war nicht immer so. Ursprünglich kamen die Leute dorthin, um zu arbeiten, schwer zu arbeiten. Damals war der Park ein Fabrikgelände, wo Eisen gegossen und Stahl geschweißt wurde.

Das Areal gehörte einmal zur Firma Kustermann, die 1798 am Oberen Anger als Eisenwarenhandlung begonnen hat und heute mit dem Geschäft am Rindermarkt die Münchner Institution für Haushaltswaren aller Art ist. 1861 diversifizierte Max Kustermann den Familienbetrieb und gründete Stahlbauabteilung und Eisengießerei. Die Werke wurden an der Rosenheimer Straße angesiedelt, mit direkter Gleisverbindung zum Ostbahnhof. "In dem mehrere Hektar großen Gelände standen außerdem die Wohnhäuser für die Familie Kustermann, die Ställe für die Zugpferde und später die Garagen", heißt es auf der Website des Unternehmens.

Die Eisengießerei produzierte viele Münchner Gullydeckel, dazu gusseiserne Säulen, Öfen und Treppen, aber auch Friedhofskreuze; der Stahlbau arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem an der Stahlkonstruktion des Hauptbahnhofs mit. Mitte der Siebzigerjahre war Schluss, die Fabriken lohnten sich nicht mehr und wurden aufgegeben, das Gelände verkauft. Dort entstanden in den Achtzigern bis zu elfstöckige Bürogebäude und Wohnhochhäuser, aus dem 27 000 Quadratmeter großen Rest wurde der kleine Park.

Dass er viele Freunde hat, zeigte sich, als die Immobilienwirtschaft 2017 ein Auge auf das Areal warf. Angesichts von Zuzug und Wohnungsnot in der Stadt brachte die Bayerische Hausbau, die zur Schörghuber-Gruppe gehört, eine Nachverdichtung mit 250 Wohnungen für 565 Menschen ins Gespräch. Öffentlich wurden die Voruntersuchungen, weil einem Anwohner kleine Markierungen an den Bäumen auffielen. Die Hausbau hatte damit den Baumbestand kartieren und schützenswerte Bäume identifizieren wollen, erklärte eine Sprecherin seinerzeit.

Dies hätte durchaus der Auftakt zu einer Fällaktion sein können, denn die Hausbau plante ihre Nachverdichtung entlang der Rosenheimer Straße, wo hohe alte Bäume stehen, die zumindest einen Teil des Verkehrslärms von den westlich gelegenen Wohnanlagen fernhalten. Dieser Teil des Kustermannparks - etwa 10 000 Quadratmeter, also gut ein Drittel - hätte der geplanten Nachverdichtung weichen sollen.

Das gefiel weder Anwohnern noch Lokalpolitikern. "Finger weg vom Kustermannpark", forderte ein Ramersdorfer in der Bürgerversammlung 2017. So mancher Eigentümer aus den angrenzenden Wohnanlagen auf dem ehemaligen Fabrikareal aber kam ins Grübeln, denn die Hausbau schlug einen Handel vor, der die komplizierten Eigentumsverhältnisse geklärt hätte - zugunsten der Eigentümergemeinschaft, der die restlichen 17 000 Quadratmeter Park dann endgültig gehört hätten.

Doch im Lauf des Sommers 2017 sprach OB Dieter Reiter (SPD) ein Machtwort. "Dieser wichtige Freiraum für Ramersdorf, aber auch für Haidhausen soll weiterhin in Gänze für die Bevölkerung als Erholungsort bestehen bleiben", versprach er. Ein halbes Jahr später lieferte das Planungsreferat eine inhaltliche Begründung nach: Die Pläne der Bayerischen Hausbau seien nicht mit dem bestehenden Bebauungsplan vereinbar, in dem der Park als nicht bebaubare Freifläche ausgewiesen sei. Und es komme nicht in Frage, das zu ändern - wegen der Bedeutung des Kustermannparks für die Freiflächenversorgung in einer immer dichter werdenden Stadt, für die Erholungsfunktion mit einem überaus vielfältigen Angebot an alle Alters- und Nutzergruppen, für das Stadtbild und die Stadtgliederung, für den Arten- und Biotopschutz sowie für das Klima. Als Biotop M-188 ("Park an der Rosenheimer Straße") wurde die Anlage überdies in der Münchner Biotopkartierung erfasst.

An dieser Stelle könnte die Geschichte nun zu ihrem Happy End kommen: Der Fortbestand des Parks, so könnte man denken, ist damit gesichert, und Zeitungsleser, Gassigeher, Kicker und Spielplatzkinder haben für alle Zeiten einen sicheren grünen Zufluchtsort in einer stark versiegelten Ecke der Stadt. Doch weit gefehlt. Schon wieder soll am Kustermannpark geknabbert werden. Nur droht diesmal kein Problem mit dem Wohnungsbau, vielmehr entsteht womöglich ein Konflikt mit dem öffentlichen Nahverkehr. Und dieses Mal könnte die Grünanlage - OB-Versprechen hin, Biotopschutz her - den Kürzeren ziehen.

Sie steht nämlich der Straßenbahn im Weg. Die grün-rote Rathauskoalition will das Tramnetz erweitern, und eine der sechs neuen Strecken soll via Deutsches Museum und/oder Ostbahnhof auf der Trasse der Metrobuslinie 55, die direkt am Kustermannpark hält, nach Ramersdorf und Neuperlach führen. Eine Machbarkeitsstudie, die heuer anlaufen soll, nimmt speziell die Streckenführung unter die Lupe. Aber die drei Kilometer entlang der Rosenheimer Straße vom Gasteig bis zum Ortskern von Ramersdorf gelten als gesetzt. Für diese Strecke "ist keine Voruntersuchung vorgesehen, da die Linienführung eindeutig ist", heißt es in einer Sitzungsvorlage des Mobilitätsreferats von Ende 2021.

Das Problem ist der Platzbedarf: Für die Tramgleise müsste nicht nur die Bahnunterführung verbreitert werden, was offenbar durchaus möglich ist, sondern auch die Rosenheimer Straße weiter stadtauswärts. Und weil dort auf der linken Straßenseite Bürogebäude stehen, bliebe dafür nur der rechte Straßenrand, also genau jener Grünstreifen mit den alten Bäumen im Kustermannpark, der 2017 schon einmal platt gemacht werden sollte. Noch ist gar nichts entschieden, die Ergebnisse der Voruntersuchung sollen Mitte 2023 vorliegen. Ob der Park wirklich unantastbar ist, wird sich erst dann zeigen.

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