Jahres- und Diplomausstellung:Mit Sandwich-Eis durch die Kunstwelt von morgen

Lesezeit: 3 Min.

"Have you been to the Basement?" der Klasse Katharina Gaenssler bei der Jahresausstellung der Kunstakademie. (Foto: Stephanie Rössing)

Nach zwei Jahren Pause können die Studierenden der Münchner Kunstakademie wieder ihre Arbeiten vor Ort präsentieren. Ein Rundgang über eine teils nachdenkliche, aber auch wunderbar vielfältige und vor Lebenslust sprühende Ausstellung.

Von Evelyn Vogel

Heiß auf Eis! Das war nicht nur einst Fürst Pückler, das sind auch die Studierenden der Klasse Hildebrandt, die anlässlich der Jahresausstellung 2022 der Münchner Kunstakademie ihre Ausstellung "Big Sandwich" nannten - und zwei Klassenräume kurzerhand in braun-weiß-rosa strichen. Zur Erinnerung: Fürst-Pückler-Eis, das waren diese drei Schichten aus Schoko-, Vanille- und Erdbeereis, die nie aus der Familienpackung gekratzt, sondern nur in Scheiben herausgeschnitten werden durften, damit auch ja alle von allen Sorten etwas abbekamen.

Bis ein Lebensmittelkonzern hinging und die Scheiben zwischen zwei Waffeln legte: Das Sandwich-Eis war geboren. Statt Eis am Stil zu schlecken, knusperte man sich genüsslich von außen nach innen um das Sandwich herum - und versuchte, die Lieblingssorte bis zum Schluss aufzusparen -, oder biss herzhaft hinein und verputzte das Ding in Null-Komma-Nichts.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Für die Jahresausstellung präsentierte die Klasse Hildebrandt ihre Räume in den Fürst-Pückler-Eis-Farben braun-weiß-rosa. In einem Raum hingen die Werke der Studierenden, der andere blieb leer. (Foto: Stephanie Rössing/Kunstakademie)

Es ist vermutlich die perfekte Idee für diesen Mega-Sommer, die die Hildebrandt-Studierenden da hatten, um ihre sehr vielfältigen und interessanten Arbeiten perfekt zu vermarkten. Denn auch das gehört nun mal dazu: Die angehenden Künstlerinnen und Künstler sollen schon an der Akademie lernen, dass Kunst nicht nur produziert, sondern auch clever beworben und irgendwann mal verkauft werden will. Übrigens: Damit bei den augenblicklichen Temperaturen nicht nur die Erwartungen geweckt werden, verkaufen sie am Eröffnungstag auch den Eisklassiker.

Die Hildebrandt-Klasse ist nicht die einzige, die ihrer Präsentation einen einheitlichen Rahmen gibt. Die Studierenden von Anke Doberauer setzen ihre Gemälde in einen weißen, mit schwarzen Quadraten gerasterten Raum. "Die Ortung der Dinge", so der Titel der Schau, ist an ein Buch Michel Foucaults angelehnt. Und orten lassen sich die Werke auch sehr gut in diesem Raster, mit dem sie die Kontrollmechanismen unserer Gesellschaft hinterfragen wollen.

Auch Karin Kneffel, die nach dem Wintersemester ihre Professur an der Kunstakademie beenden wird, gibt mit ihren Studierenden dem Klassenraum eine gemeinsame Grundlage: Über weiche, aber nicht ganz eben verlegte Stücke von Rollrasen nähern sich die Besucher den Bildern an, die mal mehr, mal weniger die Nähe zum Bodenbelag suchen. "One Last Time" heißt die Show, mit der die Malerin Kneffel einen Bogen zu ihrer ersten Jahresausstellung schlägt, bei der sie auch mit Rollrasen hat arbeiten lassen.

"One Last Time" heißt die Show der Klasse Kneffel bei der Jahresausstellung der Kunstakademie. (Foto: Stephanie Rössing)

Die Klasse von Pia Fries - auch für sie wird es die letzte Jahresausstellung als Professorin an der Münchner Akademie sein - hat ein gemeinsames Werk geschaffen, um der Vielfalt der Gemäldeklasse einen Rahmen zu geben. Die Sammlung von Unikaten in sieben Kassetten ist für eine Ausstellung im Herbst im Museum Kurhaus Kleve entstanden, ihr Verkauf jetzt bei der Jahresausstellung dient auch der Finanzierung und Realisierung dieser Museumspräsentation. Was die Klasse aber auch an Einzelarbeiten hier zeigt, ist mehr als überzeugend.

Ein tolles Underground-Projekt unter der großen Freitreppe des historischen Baus an der Akademiestraße hat die Klasse von Katharina Gaenssler realisiert (sie macht die Vertretung von Jorinde Voigt, die München verlassen hat): "Have you been to the Basement?" Mit Schuhüberziehern und Taschenlampen dürfen die Besucherinnen und Besucher den Raum erkunden. Zu viel soll nicht verraten werden, nur eines: Es ist dunkel, kühl und nass! Und auf jeden Fall sollte man nicht nur die Augen, sondern auch die Ohren aufsperren - in alle Richtungen. Die bisherige Professur für Malerei und Grafik wird demnächst übrigens umgewandelt.

Wegen der starken Nachfrage aus den Reihen der Studierenden wird die Kunstakademie eine Klasse für Performance ausschreiben. Wie sehr das die angehenden Künstlerinnen und Künstler bewegt, lässt sich übrigens auch daran ablesen, dass viele Klassen am Samstag zur Eröffnung, aber auch im Laufe der Ausstellung immer wieder Performances machen werden. Stillstand ist definitiv nicht das Ding der Studierenden der Münchner Kunstakademie.

Während der Pandemie fehlte oft die menschliche Nähe. Auch deshalb spielt Körperlichkeit eine große Rolle bei den Arbeiten

Es fällt nicht leicht, aus den vielen tollen Klassen- und den oft wirklich vorzüglichen Diplomausstellungen einzelne Positionen hervorzuheben. So haben Junghae Ryu und Lili Kohane aus der Klasse Senta Connert im Kolosssaal - hier sollten je sechs Paare in Dialog treten - zwei schöne Arbeiten abgeliefert, die sowohl von der Idee der "Körperermächtigung" als auch der Materialität überzeugen. Und die Klasse hat gemeinsam unter dem Titel "Why do we put our heads together" eine multilinguale Hörstation gestaltet. Um das Thema Körper geht es auch den Studierenden der Klasse Rosefeldt mit "Fresco". Inmitten der historischen Aula mit ihren riesigen Wandgobelins zeigt die Medienklasse Videos und Filme zum Thema, die zum Teil die Decke bespielen. Und schon am Eingang lockt die 3D-Hologramm-Fan-Projektion von Qiao Wan.

Während die Klasse der neuen Kunstakademie-Präsidentin Karen Pontoppidan das Foyer des Neubaus homogen mit ihren Schmuckstücken bespielt, bleibt das Foyer des Altbaus divers. Die beiden queeren Studierenden Levin und Res gehen mit ihrem Projekt "Panty Paradise" von den Seitenflügeln aus einen Dialog über Sexualität und Identität ein. Die aus dem Libanon stammende Studentin Abir Kobeissi inszeniert eine kalligrafische Lachorgie in Form einer Trauerzeremonie. Beerdigt sie hier angesichts aller gesellschaftlichen Probleme - Krieg und Vertreibung, Klimakatastrophe und Coronapandemie - das Lachen, oder lässt sie das Lachen über die Trauer triumphieren? In Anbetracht der Lebenslust, die nach zwei Jahren Corona-Zwangspause bei der diesjährigen Jahres- und Diplomausstellung der Kunstakademie zum Ausdruck kommt, ist es wohl eher ein befreiendes Lachen.

Diplom- und Jahresausstellung 2022, Akademie der Bildenden Künste München, Akademiestr. 2-4, Eröffnung: Sa., 23. Juli, 14-24 Uhr (letzter Einlass 22 Uhr), bis 31. Juli, So-Fr 14-20 Uhr, Sa./So., 30./31.Juli, 11-20 Uhr, Infos unter www.jahresausstellung2022.de

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Münchens junge Kreative
:Mit dem Blick einer Frau

Wo arbeiten Münchens junge kreative Köpfe? Wir haben sie an ihren Arbeitsplätzen besucht und ihnen über die Schulter geschaut. Heute: Stella Deborah Traub

Von Clara Löffler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: