Tour mit einem Kunst-Influencer:Auf der Suche nach den heißesten Putti

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Constantin Pelka im Preysing Palais hinter der Feldherrnhalle in München. (Foto: Stephan Rumpf)

Der Münchner Constantin Pelka hat ein Faible für barocken Glanz und Glitzer. Auf Instagram folgen seinem Account „Baroqueblockbuster“ mehr als 400 000 Menschen. Was ist seine Mission?

Von Benedikt Heider, München

„Das ist unfassbar geil“, platzt es aus Constantin Pelka heraus. Er bleibt vor dem schweren, mit Ranken und Girlanden verzierten Holzportal des Palais Holnstein stehen, in dem heute der Münchner Erzbischof residiert. „Hier muss man nachmittags hin“, sagt der 34-Jährige. Dann stehe die Sonne am besten und das Lichtspiel auf der barocken Fassade beginne. „Die barocken Künstler hatten ein Gespür dafür, wie das Licht auf Kunstwerke fallen muss, damit sie dramatischer wirken.“ Um das perfekte Licht zu erleben, hat Pelka sogar eine App, die ihm den Sonnenstand genau vorhersagt.

Pelkas Blick wandert aufmerksam über die stuckverzierte Fassade. Er schwärmt von den „bekloppten Formen“, die den Stadtpalast schmücken. Fast wie Tentakeln, findet er. Dann widmet er sich dem erzbischöflichen Briefkasten. Er ist in das rechte der beiden Holzportale eingelassen. „Das krasse Ding hat einfach den Krieg überlebt.“ So einen hätte er auch gern.

Pelka bezeichnet sich selbst als Barockaktivist. In seiner Freizeit ist der Wahlmünchner Kulturblogger, hauptberuflich arbeitet er in der Kommunikationsberatung. An starken Worten und pointierten Beschreibungen hat er Freude. Wenn er von bedeutenden Kirchen spricht, sagt er „krasses Ding“. Putti werden in seinen Worten zu „Dudes“ und architektonische Besonderheiten zu „bekloppten Ideen“. Auf Instagram folgen dem Münchner mehr als 400 000 Menschen – allein im vergangenen Jahr kamen fast 200 000 dazu. „Wenn man raushaut, was die Leute sehen wollen, geht das schnell“, sagt er.

Das Deckengewölbe der Theatinerkirche in München. (Foto: Constantin Pelka)

Mit seinen Ausflügen durch die barocke Welt erreiche er vor allem 25- bis 35-Jährige, sagt er. Seit etwa vier Jahren nimmt Pelka sie auf seinem Account „Baroqueblockbuster“ mit zu Kirchen, Schlössern und Kunstwerken. Rund 20 Prozent seiner Leserinnen und Leser im Internet kommen aus Deutschland, 30 Prozent aus Amerika und viele aus dem spanischsprachigen Raum. Deswegen sind seine Erklärungen auf Instagram in englischer Sprache. Unter einem Video-Beitrag zur Theatinerkirche schreibt er beispielsweise: „Die Theaterkirche erzählt die Geschichte des barocken Ehrgeizes der italienischen Prinzessin Henrietta Adelaide und ihres Mannes, des bayerischen Herrschers Ferdinand Maria. Nachdem der Thronfolger endlich geboren war, löste das Herrscherpaar sein Versprechen ein, eine große Kirche gegenüber ihrer Residenz zu bauen. Erfahrene Baumeister und Künstler aus Italien realisierten den ersten großen Barockbau in München.“

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Beim Gang durch München fällt auf: Nicht alles, was nach Barock aussieht, gefällt Pelka. Neobarocke Fassaden und Gebäude sind ihm zu martialisch und klobig. Echter Barock dagegen mit geschwungenen Formen, Gold, Glanz und Glitzer macht Pelka glücklich. Immer wieder bleibt er stehen und deutet auf Ornamente und Verzierungen. Dann sprudeln Künstlernamen, Fachbegriffe und Anekdoten aus ihm heraus. Fehlt ihm eine Info, hilft fürs erste Wikipedia.

Mit Witz und Sprachspiel versucht er, Kunstgeschichte auf Instagram lebendig werden zu lassen. Vor wenigen Tagen startete Pelka eine Umfrage, wer der „heißeste Barock-Dude“ sei. Seine User stimmten ab: der halbnackte Apollo von Diego de Velázquez setzte sich schließlich gegen Caravaggios „Christus an der Geiselsäule“ und Anthony van Dycks „Junger Mann mit Rüstung und einem roten Schal“ durch.

„Barocke Kunst ist sehr social-media-tauglich“

„Pelka ist mit seiner Form der Kulturvermittlung breit anschlussfähig“, sagt Christine Ott von der Universität Würzburg. Sie ist dort für den Studienbereich „Kulturvermittlung“ zuständig. Barocke Kunst spiele mit Emotionen, „sie ist sehr social-media-tauglich, weil sie bildgewaltig, farben- und detailreich ist.“ Pelka mache sich das zunutze: „Seine Videos komprimieren und verstärken die emotionale Erfahrung auf wenige Sekunden und zentrale Schwenks.“ Verstärkt werde dieser Effekt durch Orgelmusik und chorale Musikeinspieler, so die Wissenschaftlerin.

Zudem konstruiere Pelka in seinen Postings persönliche Nähe, wenn er sich als Kultur-Enthusiast inszeniere. Problematisch findet sie, dass Pelka in seinen Videos weniger auf die Vermittlung von Wissen setze, sondern hauptsächlich auf die emotionale Wirkung abziele. „Er erklärt nicht und ordnet kaum kunstgeschichtlich oder analytisch ein“, so Ott. Die Machart seiner Videos bleibe „schablonenhaft“.

Ein Engel in der Münchner Asamkirche. (Foto: Catherina Hess)

Pelka selbst sagt, er wolle die Überfülle barocker Kunst mit ihren unzähligen Formen und Farben nicht als Überforderung verstehen, sondern als Möglichkeit, immer wieder Neues zu entdecken. „Wenn ich in die Asamkirche gehe, entwickelt sich ein Sog.“ Plötzlich schaue ein Engel um die Ecke und auf der anderen Seite hebe sich sprichwörtlich ein Vorhang, der zuvor hinter eine Säule versteckt war. Für Pelka ist der barocke Raum eine Spielwiese. Regelmäßig fährt er auch aus der Stadt raus. Im Krieg sei rund 90 Prozent der Münchner Innenstadt zerstört worden, sagt er. Fast alles sei daher rekonstruiert – „mal besser und mal schlechter“. Im Umland hingegen fänden sich noch viele Originale. „München ist das Vorspiel. Das Alpenvorland das Paradies.“

Der Barock habe aber auch seine Schattenseiten, sagt Pelka. Er spricht von Herrschafts- und Machtarchitektur und erzählt, wie Bauherren ihre Dominanz über besiegte Völker demonstrierten: „In Potsdam verbauten die Preußen schlesischen Marmor im Fußboden, den sie bei den Schlesischen Kriegen erbeutet hatten. Die Gäste bekamen den Sieg nicht unter die Nase, sondern unter die Füße gerieben.“ Ziemlich fragwürdig findet er das. „Da hilft es, zeitliche Distanz zu der Zeit zu haben.“

Pelka hat Kunstgeschichte, Theologie und Philosophie in München, Eichstätt, Augsburg, Regensburg und Mailand studiert. Damals habe er angefangen, sich mit dem Barock zu beschäftigen und vor allem Orte im Münchner Umland abgeklappert. „Schäftlarn, Erding und so weiter.“ Die Kirchen in Niedererding oder Oppolding seien absolute Highlights. Irgendwann habe er dann gemerkt, dass es im Internet viele Barock-Begeisterte gibt: „Das war mein barockes Coming Out.“

Jetzt biegt Pelka in Richtung Lehel ab. „Es gibt so viele barocke Orte in der Stadt, die die wenigsten kennen“, sagt er. Etwa die Franziskanerkirche im Lehel oder die Treppe im Palais Preysing hinter der Feldherrnhalle. „Und das Traditionsgeschäft Radspieler in der Hackenstraße hat großartig erhaltene barocke Decken und Räume. Alles original.“

Er nennt sein Vorgehen „experimentelles Gucken“

In der Kirche St. Anna im Lehel angekommen, zückt er sein Handy. Er läuft kreuz- und quer durch die Kirche mal vorwärts, mal rückwärts und dann plötzlich seitwärts. Pelka macht Fotos, hält nach Sichtachsen Ausschau und filmt, filmt, filmt. Geht er in eine Kirche, habe er immer sein Handy in der Hand, sagt er. „Den ersten Blick bekommt man nie wieder. Was der Raum mit einem vorhat, lässt sich nur in Bewegung herausfinden.“ Er nennt sein Vorgehen „experimentelles Gucken“. Das habe er schon als Ministrant in seiner barocken Heimatkirche in Herrieden im Altmühltal gelernt: „Da sitzt man ja auch nie still.“

Auf seinen Sightseeing-Touren klettert er auch mal über Balustraden oder balanciert im Halbdunkeln auf Balken. Mittlerweile habe er aber eine Drohne, die manch eine waghalsige Aktion überflüssig mache. Doch Genehmigungsanträge und Versicherungssorgen von Institutionen, Staatsbetrieben und Kirchen machten ihm manchmal das Leben schwer. Andere reagierten skeptisch auf seine Arbeit und würden nicht verstehen, welche Reichweite Social Media für ihre Kunstschätze biete. „Wenn ich eine Sendung im Bayerischen Rundfunk hätte, wären die wahrscheinlich beeindruckt. Aber 400 000 Follower auf Social Media – damit können sie nichts anfangen.“ In den vergangenen Jahren habe er sich aber eine gewisse Bekanntheit in der Szene erarbeitet.

Vom Lehel geht es für ihn zurück Richtung Innenstadt. Er hat noch einen Auftrag, denn mittlerweile verdient er mit seinem Wissen und der Fotografie auf Instagram auch Geld. Städte, Museen und Institutionen buchen ihn regelmäßig als Kulturblogger, damit er ihre Kunstwerke vorstellt. Mit diesem Geld finanziere er seine Reisen, sagt er. Heute soll er hoch auf den Rathausturm – „München von oben“ heißt das Projekt, für das er Fotos macht. Von hier oben sieht Pelka dann seine zwei liebsten Bauten in München im Sonnenuntergang: die Asamkirche und das Cuvilliés-Theater in der Residenz.

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