Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:"Nein, Mama, benutz nicht deine Hände, hier sind Messer und Gabel"

Unsere ugandische Autorin verspürt den Drang, ihrer Tochter afrikanische Bräuche zu vermitteln. Doch das Kind orientiert sich stark an Münchner Gepflogenheiten. Wer setzt sich durch?

Kolumne von Lillian Ikulumet

Meine Tochter ist jetzt vier Jahre alt. Ich habe sie Taliah getauft, doch inzwischen nenne ich sie bisweilen "kleiner Boss". Grund ist, dass meine eigenen Bemühungen, sie kulturell zu beeinflussen, nicht annähernd so wirkungsvoll sind wie umgekehrt.

Vor ein paar Tagen habe ich Maisbrei zum Abendessen für uns beide gekocht. Wir setzten uns an den Tisch und fingen an zu essen. Ich aß den Brei - selbstverständlich - mit den Händen. In meiner ugandischen Kultur glauben wir, dass der wahre Geschmack von Essen nur so erfahren werden kann. Wenn eine Person mit ihren Fingerspitzen das Essen berührt, erweitert sie, so sagt man, die Elemente. Die Textur, der Geruch und der Geschmack der Mahlzeit werden einem stärker bewusst.

Das Problem der Maisbrei-Mahlzeit war, dass nicht zwingend jeder Mensch meine Ansichten teilt. Taliah auch nicht. Mein kleiner Boss befiehlt mir in solchen Momenten, Besteck zu benutzen. "Nein, nein, nein, Mama, benutz nicht deine Hände, hier sind Messer und Gabel." Kann Mama so einen Befehl verweigern?

Taliah ist definitiv mehr Deutsche und ich definitiv mehr Uganderin. Das bedeutet: ständige Diskussion. Gehen wir eine Sache nun auf ugandische oder deutsche Weise an? Bleiben wir bei Kälte im Haus, was ich als logische Maßnahme empfinde. Oder ziehen wir uns eine Jacke an und gehen auf den Spielplatz, was Taliah plausibler erscheint. Schlafen wir am Wochenende aus, I'm loving it, oder hopsen wir in aller Früh in Mamas Schlafzimmer herum?

Taliah ist eine gute Culture-Clasherin, eine sehr gute. Nicht selten enden die Meinungsverschiedenheiten damit, dass ich aufgebe. Und manchmal fechten wir die Debatten solange aus, bis irgendwann einer sagt: Okay, du machst es so und ich mache es so.

Es kommen in diesen Wochen wieder viele Geflüchtete nach München. Wieder werden Kulturen aufeinander prallen. Ich selbst bin nun Jahre hier. Und dennoch ist es nicht leicht, den richtigen Weg zu finden. Einerseits möchte ich natürlich, dass mein Kind hier Teil der Gesellschaft ist und heimisch fühlt. Auf der anderen Seite werde ich den Drang nicht los, ihr meine ugandischen Wurzeln vermitteln zu wollen.

Ich hätte nie gedacht, dass mich meine Tochter einmal mit vier Jahren aufwecken würde, weil sie bei dem verdammt kalten Münchner Wetter draußen spielen möchte. Ich zittere. Taliah zitiert dann ihre Kindergartenfreunde. Es gebe kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Da wird meine Argumentationslinie dünn.

Ich liebe diese Gespräche mit meinem kleinen Boss, auch wenn sie sich meist durchsetzt. Aber eben nicht immer. Der ugandische Brei wird bei uns weiterhin auf die einzig richtige Weise verspeist: Mit den Händen.

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