Street-Art:"Krass, was ein Eis in einem auslösen kann"

Künstler Markus Henning in seinem Atelier in der Fraunbergstraße 4. Street-Art-Kunst

Eliot the super nennt sich der Künstler Markus Henning. Er macht knallig-bunte Streetart mit Schablonen und Graffiti-Farben.

(Foto: Florian Peljak)

Markus Henning sprüht bunte Eiscreme auf Leinwände, seine Kunst verkauft sich gut. Trotzdem wurde er von der Szene lange kritisiert - oder gerade deswegen.

Von Elisa Schwarz

Mitten an der weißen Wand hängt ein Eis, das so aussieht, als würde es nach Regenbogen schmecken. Neonrotes, gelbes, grünes Softeis, das über eine goldene Waffel trieft, so wie das früher war, wenn man das Eis zu lange in der Hand hielt. Klebrige Finger, eingesautes T-Shirt, aber das war es ja immer wert. Und während man bei dem Eis an der Wand noch überlegt, ob es vielleicht wie das Boom-Boom-Eis mit dem Kaugummistiel schmecken könnte, also scheußlich gut, sagt Markus Henning: "Das ist so krass, was ein Eis in einem auslösen kann. Es ist ja nur fucking Ice Cream."

Wer an Graffiti denkt, hat meistens Bilder im Kopf von düsteren Bahnhöfen. Von Wänden, auf denen "Fuck you" steht oder "Scheiß Ultras" oder irgendeine andere Form der konstruktiven Gesellschaftskritik. Meistens geht man dann ein bisschen schneller. Und wenn man die Sprayer-Szene richtig versteht, soll man Graffitis ja auch nicht schön finden, sondern tiefgründig und sehr bedeutsam.

Markus Henning, 47, wuscheliger Backenbart, darunter kleine Lachfalten, sprüht bunte Eiscreme auf Leinwände. Oder bunte Lollis. Oder bunte Burger. Gibt ja nichts Besseres als Junkfood, sagt er. Die Bilder verkaufen sich gut, er kann davon leben, und manchmal wissen die Leute auf Messen nicht, was sie mehr erstaunt: Die Tatsache, dass ein Graffiti-Sprayer bunte Lollis sprüht, oder dass Markus Henning auf die Frage: "Und womit verdienen Sie wirklich ihr Geld?" antwortet: "genau damit."

Mittwochmittag in der Fraunbergstraße in Thalkirchen. Henning hat sich in der alten Markisenfabrik mit anderen Künstlern kleine Ateliers eingerichtet. Mehr als zehn Jahre stand das Gebäude leer, bis die Stadt schließlich nach langen Gesprächen einer Zwischennutzung zustimmte. Wäre sicher schneller gegangen, wenn sie McKinsey vorne auf die Mauer hätten schreiben können, sagt Markus Henning. Jetzt ist die Mauer besprüht mit zwei Hähnen.

Über den Hinterhof, in dem ein schnörkeliges weißes Bettgestell steht, kommt man in Hennings Atelier. Spraydosen stapeln sich in blauen Ikea-Taschen, an der Wand hängen die Bilder mit den bunten Lollis und dem Regenbogen-Eis. Normalerweise säße Henning jetzt an einem der großen Fenster und würde Schablonen für die nächsten Bilder ausschneiden. Eiskugeln, Waffeln, knallgelbe Luftballons, die aussehen wie Smileys. Aber im Moment ist ja nichts normal. Viele Messen wurden abgesagt, es kommen kaum Aufträge rein. Andererseits: Ein Künstler kann ja nicht seinen Bleistift in Kurzarbeit schicken.

"Ich hatte die Routine nie, weil Ideen ja keinen Feierabend machen"

"Ich glaube, viele Leute lernen gerade, außerhalb von Routinen zu funktionieren. Ich hatte die Routine nie, weil Ideen ja keinen Feierabend machen", sagt Henning und setzt sich vor das Atelier in die Sonne. Er trägt einen Campinghut mit Dschungelprint und ein Iron-Maiden-Shirt. Wenn er lacht, wackelt der Zombie auf seinem Shirt, als würde er in seiner ganzen Grimmigkeit mitlachen.

Henning wuchs in der Nähe von Starnberg auf, Neufahrn, alles furchtbar langweilig, sagt er. Nachmittags las er haufenweise Comics, weil darin mehr passierte als vor der Haustür. Als er vierzehn war, brachte ihm ein Freund aus Amerika einen Bildband von Martha Cooper mit, einer Fotografin aus New York. Cooper fotografierte in den Achtzigerjahren U-Bahn-Waggons, die plötzlich immer häufiger mit greller Farbe besprüht wurden.

Damals wusste noch keiner so richtig, was da eigentlich geschrieben stand. Gang-Symbole? Reviernamen? Cooper fotografierte die Anfänge der Graffitiszene und ahnte wahrscheinlich nicht, dass sie damit eine Art Bibel für Street-Art anfertigte. "Die Bilder haben was mit mir gemacht", sagt Henning vor seinem Atelier, "die haben richtig geknallt."

Er sparte Geld für Sprühdosen und fing an, kleine Kartons zu besprühen. Weil ihm das irgendwann zu langweilig wurde, besprühte er die T-Shirts von Mitschülern. Zehn Mark für ein bisschen Neonfarbe auf weißer Baumwolle, das Geschäft lief ganz gut. Bis der Direktor kam und sagte: Du vertickst doch Drogen.

Mit 15 brach Henning die Schule ab, weil er schlecht in Französisch war und eigentlich auch keine Lust hatte, daran viel zu ändern. Stattdessen sagte er, dass er Graffiti-Künstler werden wollte - ganz große Freude bei Mama und Papa. Man einigte sich darauf, dass er wenigstens den Realschulabschluss machen sollte.

Sein erstes Geld verdiente er bei einer Filmproduktionsfirma, mit 15 hatte er einen ersten Auftragsjob. Henning weiß noch, wie verrückt das war, als er mal wieder vor einer Kunstmesse in München rumhing, und ein Standbetreiber von Nokia fragte, ob er nicht ein bisschen die Aufstellwand vollsprühen könnte. Sähe ja bestimmt ganz hipp aus, dieses Graffiti. 600 Mark bekam er für den Auftrag. 600 Mark, dafür jobbten seine Kumpels wochenlang im Supermarkt.

"Ist doch toll, wenn Kinder Bock auf Kunst haben"

"Ab dann habe ich das Telefonbuch durchtelefoniert und einfach die Firmen angequatscht, ob sie nicht ihr Logo als Graffiti wollen", sagt Henning, der sich irgendwann den Namen Eliot gab. Eliot wie der kleine Drache in dem Film "Eliot das Schmunzelmonster". Und damit das Ganze noch ein bisschen cooler wirkte, hängte er noch "the super" dran. Eliot the super.

"Ich glaube, das Schwierigste war damals, eine eigene Sprache in den Graffitis zu finden", sagt Henning. "Eine Marke zu werden." Er hat viel herumprobiert, Bagger und Bohrmaschinen fotografiert und gesprayt. Er zog nach Berlin, weil es hieß, dort werden kleine Ideen groß. Aber am Ende half ihm Andy Warhol, der sinngemäß mal sagte, man solle die Dinge malen, die man mag. Warhol mochte Dollarscheine. Markus Henning Softeis.

Künstler Markus Henning in seinem Atelier in der Fraunbergstraße 4. Street-Art-Kunst

Das "Corona-Eis" hat Henning für eine Online-Ausstellung entworfen.

(Foto: Florian Peljak)

Das Interessante an der Graffiti-Szene ist ja auch, dass sie lange in akademischen Kreisen als schmuddelig galt, als Bahnhofsschmierereien. Banksy, der in London ein Mädchen mit Herzballon an eine Wand sprühte und damit weltberühmt wurde, brach dieses Klischee auf. Plötzlich interessierte sich die Kunstwelt für die Zerbrechlichkeit in diesen Graffitis und zahlte sehr viel Geld für ein bisschen raue Straße in ihren Wohnzimmern. Und natürlich zersplittert eine Szene auch an der Frage, wie kommerziell Kunst, die mal illegal war und immer noch ist, eigentlich sein kann.

Markus Henning spürte das. Die Kritik seiner Kollegen, als er nicht mehr heimlich Brücken besprühte, sondern anfing, Kunst zu verkaufen. Buntes Eis, Donuts, banaler geht es ja kaum. "Das Tollste ist, wenn ich auf Messen stehe und dann kommt jemand vorbei und sagt: Boah, endlich ein Eis. Kein Krieg, kein Totenkopf, kein scheiß Kapitalismus, sondern einfach nur ein happy Eis", sagt Henning, der sich immer noch freut, wenn andere sich über sein Eis freuen.

Einmal zum Beispiel kam ein kleiner Junge auf einer Messe zu ihm, beide Hände voll mit Münzen. Ein Eis bitte, sagte er und legte die Münzen auf den Tisch. Das war Hennings jüngster Kunde und vielleicht auch sein liebster. Ansonsten gibt es die unterschiedlichsten Käufer: Eine Frau, die den ganzen Stand leer kauft, und die Bilder von ihrem Limousinen-Service im Gänsemarsch nach draußen bringen lässt. Deko für die Küche. Oder ein Familienvater, der ein Kinderzimmer einrichten muss und froh ist, wenn er den Job erledigt hat. Ein Eis von Eliot the super kostet 180 Euro, das geben manche auch mal spontan aus.

Henning steht auf und geht in sein Atelier, er will etwas zeigen. Seit ein paar Jahren gibt er Ferien-Workshops für Kinder. Er zeigt ihnen, wie man Schablonen schneidet, Dosen schüttelt und dann nicht den besten Freund ansprüht, sondern eine Wand. "Das Bild hier hat mir mal ein Kind geschenkt", sagt Henning und hält eine Zeichnung in der Hand, auf der ein bunter Donut mit Streuseln leuchtet. "Ist doch toll, wenn Kinder Bock auf Kunst haben, völlig egal, ob es wegen einem Donut ist oder was anderem."

In den Corona-Tagen, in denen so wenig los ist, aber irgendwie auch nichts zur Ruhe kommt, will Markus Henning Videos aufnehmen für Schulkinder, die zu Hause rumsitzen. Das MUCA, das Münchner Museum for Urban and Contemporary Art, hat ihn angefragt, ob er nicht ein paar Tutorials geben könnte: Kunst im Kinderzimmer. Wer keinen Pinsel hat, nimmt eben eine Zahnbürste. Und wem Papier fehlt, der findet vielleicht einen Pizzakarton im Altpapier. "Manche Kinder haben ja nicht mal eine Schere", sagt Henning. "dann suchen sie eben die Nagelschere von Mama". Manchmal fühle er sich wie Peter Lustig aus Löwenzahn. Aber das Gefühl, wenn ein Kind das erste Mal seinen Namen auf einen Karton sprüht und nicht am Handy sitzt, sei jede Mühe wert.

"Am Wochenende haben wir dann noch die erste digitale Ausstellung geplant", sagt Henning. Titel: Pandemania. Am Sonntag veröffentlichen zwanzig Künstler auf Facebook ihre Werke, die alle etwas mit dem Ausnahmezustand zu tun haben. Eliot the super hat sein Bild schon fertig; es liegt neben dem Papierstapel zum Trocknen. Eine rote Eiskugel, die wie das Virus aussieht: rund, mit Saugnäpfen. Will niemand essen, aber vielleicht anschauen.

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