Poetry-Slam:Wenn Worte Kräfte verleihen

Poetry-Slam: In ihrem ersten Bühnen-Text beschreibt Hanaa Abdella muslimische Frauen, die Kopftuch tragen, und wie sie behandelt werden.

In ihrem ersten Bühnen-Text beschreibt Hanaa Abdella muslimische Frauen, die Kopftuch tragen, und wie sie behandelt werden.

(Foto: Max Fluder)

"Ich möchte Leuten eine Stimme geben, die von der Masse nicht gehört werden": Die 19-jährige Hanaa Abdella ist Slammerin, trägt Kopftuch und schreibt überraschend ernste Texte.

Von Max Fluder

Kein Lachen. Keine Gespräche. Es ist ungewöhnlich still in der Alten Utting, als Hanaa Abdella, 19, auf der Bühne steht und ihren Poetry-Slam-Text aufführt. Selbst im Nebenraum, in dem sonst auch während der Show gemurmelt wird. Hanaa spricht über Emine Bulut, die diesen Sommer in einem türkischen Café von ihrem Mann umgebracht wurde. Aber in Hanaas Text geht es um so viel mehr: das Konzept von Ehre. Das Kind von Bulut. Das Verhalten der Anwesenden im Café, die nichts unternommen haben.

Ihre Stimme bebt beim Vortragen, zweimal stockt die Slammerin. Der Text ist emotional, Hannaa erzählt aus der Perspektive von Bulut und ihrem Kind. Auf der Bühne wirkt Hanaa anklagend, frustriert von der Situation, vielleicht auch wütend. Eine Frage bleibt in Erinnerung: Wieso ist niemand aufgestanden und hat eingegriffen?

Zwei Wochen später, es ist kälter geworden, sitzt Hanaa in einem Café nahe des Sendlinger Tors. Vor ihr auf dem Tisch liegt ihr Handy, mit dem sie Texte abruft. Sie trägt ein weißes Gewand und ein schwarzes Kopftuch und erzählt von ihrem Praktikum. Sie möchte in der Kunsttherapie arbeiten, Zeichnen ist ihr Hobby: "Früher habe ich viel bildende Kunst gemacht", sagt Hanaa. Ihre Schwester war diejenige, die geschrieben hat. Gedichte, längere Texte. Dass sie mal als Poetry Slammerin auftreten wird, hätte sie nicht erwartet. Und Poetry Slammer - das waren Künstler, zu denen sie aufgeblickt hat. Beinahe unerreichbar. Zumindest noch bis vor ihrem ersten Auftritt vor gut zweieinhalb Jahren.

Poetry Slam war Unterrichtsstoff in der Schule, nicht nur in der Theorie. Sie besuchten einen U 20-Slam in der Schauburg. "Ich schrieb mich auf die Teilnehmerliste", sagt sie. Es klingt nicht wie eine Selbstverständlichkeit, sondern eher wie eine Entscheidung, die sie sich abringen musste. Der Abend war eine Schulveranstaltung, ja, aber sie machte sie sich zu eigen: Ihr Text war für keine Klausur, er war ihr ein Anliegen. Ganz persönlich.

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Das Thema ihres ersten Texts: "Frauen im Allgemeinen", antwortet sie zuerst. Das ist nicht ganz richtig, zumindest stellt sich diese Ahnung ein, wenn man ihre zweite Antwort hört: "Speziell geht es um muslimische Frauen, die Kopftuch tragen, und wie sie behandelt werden." Sie macht das oft: zweimal antworten. Immer auf der Suche nach einer noch besseren Formulierung.

Hanaa ist Muslima, sie hat eritreische Wurzeln. Der Debüttext über das Tragen eines Kopftuchs entstand spontan, "aus dem Bauch heraus". Sie schrieb alles am Stück. Ihre Stimme wird lauter, wenn sie über das Thema redet, die Hände aber liegen still. Sie wirkt ernst, kontrolliert. Wenn über das Kopftuch geredet wird, dann werde meistens über Frauen gesprochen, die das Kopftuch tragen. Nicht mit ihnen. Bevormundend. Bei Hanaa ist es anders: "Erzählt wird aus der Perspektive der Frauen heraus", sagt sie. Es ist auch ihre Perspektive, auch sie bekommt mit, wie über muslimische Frauen berichtet wird.

"Ich mache halt keine Entertainment-Stücke"

Das Schreiben, das Auftreten: Für Hanaa ist das alles Kunst - ganz klar. Auf der Bühne stehen sie und ihr Text nicht nur für sich, die Slammerin möchte die Zuhörer erreichen. "Worte haben sehr viel Machtvolles, sie können verletzend sein, sie können Kräfte verleihen. Das Auftreten bedeutet, eine Stimme zu haben", sagt sie. "Und Leuten eine Stimme zu geben, die von der Masse nicht beachtet werden." Das Ergebnis: kritische, nachdenkliche Stücke. Hanaa glaubt, dass Texte Menschen verändern können - unter einer Bedingung: "Die Leute müssen offen für Konversation sein." Anregungen für Diskussionen nach der Show liefert sie auf der Bühne.

Beim Slam auf der Alten Utting dauert es, bis der Applaus einsetzt. Bis sich die Zuhörer aus der Stille lösen. Hanaas Text ist anders als die meisten Texte an diesem Abend. Näher, persönlicher, ziemlich traurig eigentlich für eine recht losgelöste Veranstaltung. "Ich mache halt keine Entertainment-Stücke", sagt Hanaa. Und ja, sie lacht dabei.

Überhaupt lacht sie ziemlich viel. Während sie den Mikrofonständer herunterschraubt, gibt sie einen Kommentar zu ihrer Größe ab: "Bei mir muss das Mikro wieder ganz nach unten." Dem Wort "ganz" gibt sie ein lang gezogenes "a". Sie spricht leise, halb zu sich selbst und halb zum Publikum. Es wirkt ungeplant und doch: Sie lacht. Das Publikum lacht mit ihr. Als würden sie alle noch diesen letzten Witz brauchen, bevor Hanaa ernst wird.

Dass nicht alle gut auf die Texte zu sprechen sein könnten, ist ihr bewusst. Aber sie sagt: "Beide Stile gehören zu einem Poetry Slam dazu." Die lustigen und die nachdenklichen Texte. Lampenfieber oder schlichtweg Angst vor der Bühne spürt Hanaa nicht. Sie übt genug, auch mal zwischendurch in der U-Bahn. Zudem ist sie bereits zu oft aufgetreten, um noch nervös zu werden. In Theaterkursen. Mit ihrem muslimisch-eritreischen Mädchenkreis. Und mit "i,slam", einem deutschlandweiten muslimischen Künstlerkollektiv. So lernte sie auch Achim Seger kennen, den Moderator des Abends auf der Utting und ihre "Bezugsperson".

Beim Vortragen blendet sie die Zuschauer aus, oder genauer: Sie versucht es zumindest. Das grelle Scheinwerferlicht hilft da meistens. Vielleicht muss das bei ihren Stücken auch so sein, die wunde Punkte berühren, die Emotionen hervorrufen. Auf der Bühne jedenfalls scheint sie fokussiert zu sein, beinahe schon aus der Situation entrückt. Vielleicht merken das die Zuhörer. Viele kommen nach der Show zu ihr, loben sie für den Auftritt. Sind dankbar. Eine Zuhörerin blieb ihr besonders in Erinnerung, ihr gefiel der Auftritt sehr: "Sie fragte nach dem Text per E-Mail. Und jetzt hängt er bei ihr über dem Bett", sagt Hanaa.

Der Text, der ihr selbst am besten gefällt, heißt "Identität". Sie sucht darin Antworten auf große Fragen: "Bin ich jetzt ein Teil von Deutschland? Bin ich das nicht? Warum bin ich das nicht?" Normalerweise drückt sie sich reflektiert aus, doch die Antwort, die ihr Text auf diese Fragen gibt, hat eine bestechende Schlichtheit: "Ich bin ich."

Gewonnen hat Hanaa den Slam auf der Alten Utting übrigens nicht, aber vielleicht war das auch gar nicht so schlimm. Unmittelbar nach der Show redet sie mit einer Freundin, lacht dabei, wirkt aufgedreht. Und sie bekommt viel Lob von den Veranstaltern. Mit dem Preis hätte sie eh nichts anfangen können. Es ist Alkohol, eine Flasche teurer Weißwein. Sie hätte ihn verschenkt.

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