Moosacher Botanikum:Künstler müssen einer Wiese weichen

Moosacher Botanikum: Alte Waschmaschinen und Handmixer sind aktuell das bevorzugte Material für die "kinetische Kunst" von Martin Stiefel, der im Botanikum sein Atelier hat.

Alte Waschmaschinen und Handmixer sind aktuell das bevorzugte Material für die "kinetische Kunst" von Martin Stiefel, der im Botanikum sein Atelier hat.

(Foto: Florian Peljak)

Das Moosacher Botanikum wird abgerissen, weil es als Ausgleichsfläche für ein Wohnbauprojekt vorgesehen ist. Eine Forderung haben die rund 30 dort arbeitenden Kreativen und Handwerker aber noch.

Von Benjamin Stolz

Seit mehr als 30 Jahren blühen in den Gewächshäusern des Moosacher Botanikums weniger die Pflanzen, sondern vielmehr die kreativen Ideen von 30 Handwerkern und Künstlern. Doch damit ist es bald vorbei: In naher Zukunft baut ein privater Investor auf dem Nachbargrundstück 550 bis 600 Wohnungen. Der Grund, auf dem die Arbeitsplätze der meist älteren Kunstschaffenden stehen, wird als Ausgleichsfläche in eine Wiese umgewandelt. Ein planerischer Wettbewerb kürte bereits ein Siegerprojekt, ein Bebauungsplan ist vorhanden - kurz: Das Ende des Botanikums ist beschlossene Sache.

Moosacher Botanikum: Die Künstlerin Ragna Zeit-Wolfrum will möglichst lange in ihrem Atelier bleiben.

Die Künstlerin Ragna Zeit-Wolfrum will möglichst lange in ihrem Atelier bleiben.

(Foto: Florian Peljak)

"Wir haben keinerlei Rechtsposition", sagt Künstlerin und Mieterin Ragna Zeit-Wolfrum bei einem Glas Basilikumschorle im saftigen Grün zwischen zwei Ateliers. Trotzdem will die Künstlerin zusammen mit ihrer Kollegin Rosina Zimmermann die Stadt München und den Bauträger Münchenbau zumindest dazu bewegen, die verbliebenen Kreativen möglichst lange in ihren Werkstätten arbeiten zu lassen. "Es ist ein bisschen leger hier", sagt Zeit-Wolfrum, doch die aktuelle Belegschaft hat sich gut eingerichtet. Unter den wettergegerbten Plastikfolien der Gewächshäuser gibt es für zehn Euro pro Quadratmeter Raum für die eigenen Projekte, Wasser und gegen Aufpreis sogar Strom. "Das Beste ist das Licht", schwärmt die Malerin.

Moosacher Botanikum: Rosina Zimmermann ist eine von vielen Künstlerinnen, die seit Jahren im Moosacher Botanikum kreativ sind.

Rosina Zimmermann ist eine von vielen Künstlerinnen, die seit Jahren im Moosacher Botanikum kreativ sind.

(Foto: Florian Peljak)

Für den Wunsch, so lange zu bleiben, bis die neuen Wohnungen bezugsfertig sind, hat sich die Künstlerschaft bereits Unterstützung aus dem Moosacher Bezirksausschuss geholt. Einen entsprechenden Bürgerantrag beschlossen die Fraktionen mehrheitlich. Klappt dieses selbst erklärte "Minimalziel", dann erhoffen sich die Künstlerinnen darüber hinaus den Erhalt einiger Ateliers. Ziel Nummer drei ist die Schaffung bezahlbarer Werkstätten im Münchner Norden für Künstler aller Altersklassen, "nicht nur für junge, international renommierte", sagt Zeit-Wolfrum mit kritischem Blick auf die städtische Kulturpolitik.

Die dafür zuständige Moosacher Stadträtin Julia Schönfeld-Knor (SPD) weist den Vorwurf der Bevorzugung jüngerer Künstler zurück: "Es gibt städtische Ateliers mit Mietpreisdeckel, für die sich jeder bewerben kann." Tatsächlich liegt ein Schwerpunkt der künftigen Ausrichtung des Grundstücks aber mehr auf den Jüngeren: Gleichzeitig mit der Wohnanlage entsteht in der Nachbarschaft auch eine Grundschule. Auf der Fläche des Botanikums plant die Stadt München außerdem ein Kulturzentrum speziell für Jugendliche. "Die Jugendkultur ist in der Stadt am wenigsten repräsentiert", sagt Schönfeld-Knor.

Moosacher Botanikum: Das Botanikum wird in naher Zukunft abgerissen.

Das Botanikum wird in naher Zukunft abgerissen.

(Foto: Florian Peljak)

Der Grund der heutigen Künstlerkolonie gehört größtenteils einer privaten GmbH und zu einem kleineren Teil dem Botanikum-Gründer Heinrich Bunzel. Die Stadt kann formal wenig tun, trotzdem will sich Schönfeld-Knor für das Anliegen der Künstler einsetzen. Die Stadtratsfraktion von CSU und Freien Wählern fordert in einem Antrag, dass auf den städtischen Flächen im Planungsgebiet südlich des Botanikums Künstlerateliers gebaut werden sollen. Auch in der geplanten Jugendeinrichtung auf dem Gelände des Botanikums könnten Ateliers entstehen, wünscht sich die CSU. Die Firma Münchenbau war bis Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Im Botanikum geht man davon aus, dass in den nächsten zweieinhalb Jahren die Bagger anrollen werden. Aktuell sehen die Ateliers, durch die die Künstlerinnen führen, noch nicht danach aus: In Zeit-Wolfrums Raum blicken Besuchern Köpfe aus Alabaster und Serpentin entgegen. Zusammen mit Zimmermanns Frauenkörpern in bunten Kleidern bilden sie die Exponate einer gemeinsamen Ausstellung in der Neuhauser Christuskirche.

Ein Kontrastprogramm bietet das Atelier von Martin Stiefel. Alte Waschmaschinen und Handmixer sind aktuell sein bevorzugtes Material für "kinetische Kunst", die unter anderem durch mechanische Bewegungen funktioniert. In einer Wanne liegt ein schweres Kostüm, das mit Kochtopfdeckeln aus Aluminium bestückt ist. In seinen Kunst-Performances tanzt er manchmal darin.

Moosacher Botanikum: Gerhard Hammerl zog vor gut 20 Jahren ins Botanikum.

Gerhard Hammerl zog vor gut 20 Jahren ins Botanikum.

(Foto: Florian Peljak)

Nicht weit entfernt hat Steinmetz und Bildhauer Gerhard Hammerl sein Atelier und seinen kleinen Skulpturengarten. Als Hammerl vor gut 20 Jahren ins Botanikum zog, sprengte Stiefel noch Toaster in die Luft und senste mit dem Balkenmäher tausende Spaghetti um. Der Steinmetz muss seine marmornen Arbeitsmaterialien heute wie damals behutsam beklopfen, denn "was weg ist, ist weg."

Die gebürtige Brasilianerin Benelisa Franco verarbeitet in ihren Bildern aktuelles Weltgeschehen. "No war" steht in schwarzen Buchstaben auf dem Bildnis einer ukrainischen Frau, über dem Amazonas hängen auf einem mit Kohle gemalten Bild die Rauchschwaden.

Moosacher Botanikum: "Wenn du als Alter Kunst machst, ist es nicht so einfach", sagt Gerhard Scheuerer.

"Wenn du als Alter Kunst machst, ist es nicht so einfach", sagt Gerhard Scheuerer.

(Foto: Florian Peljak)

Der früheste, noch heute dort arbeitende Mieter des Botanikums will in seinen Bildern "universelle Situationen" darstellen. Gerhard Scheuerer sieht sich als "Physiker im weitesten Sinne" und kombiniert in seinen Gemälden urzeitliche Symbole mit Collagen im Stil von Basquiat. Seit 1985 widmet er sich im Moosacher Atelier seinen Studien über physikalische Energie in der Kunst. Nebenher unterrichtet er Erwachsene im Malen. "Wenn du als Alter Kunst machst, ist es nicht so einfach", stellt auch er fest.

Das Ende des Botanikums hängt schon seit Jahren über den Häuptern der Mieter, und doch wenden sie sich erst jetzt an die Öffentlichkeit. "Viele Menschen gehen hier gerne spazieren. Das Botanikum ist im Stadtteil verhaftet", sagt Zeit-Wolfrum. Im Rahmen der nächsten Ateliertage Ende Juni organisieren die Verbliebenen eine Podiumsdiskussion mit politischen Vertretern. An der Tatsache, dass das Licht bald nicht mehr durch die Glashauswände auf frische Gemälde fällt, wird sie wenig ändern.

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