Kriminalstatistik:In München gibt es keine anderen Täter als in anderen deutschen Großstädten

Nußbaumpark in München, 2018

Wenn die Polizei verstärkt kontrolliert, bedeutet das, dass auch die Zahl der Straftaten in der Statistik steigt - was nicht heißt, dass die Stadt unsicherer wird.

(Foto: Stephan Rumpf)

Immer mehr Sexualdelikte? Besonders viele Tatverdächtige, die keinen deutschen Pass besitzen? Die aktuellen Polizeizahlen entkräften einige Mythen.

Von Martin Bernstein

Natürlich gibt es ihn nicht - den typischen Tatverdächtigen. Kriminalität in München ist weder importiert noch hausgemacht. Weder ist es auf der Straße besonders gefährlich noch in den eigenen vier Wänden besonders sicher. Wer die Kernzahlen der Kriminalstatistik 2019, die die Polizei jetzt veröffentlicht hat, ohne Scheuklappen betrachtet, erkennt schnell: In München gibt es keine anderen Täter als in anderen deutschen Großstädten. Es gibt aber weniger. Und: Von ein paar Mythen gilt es sich zu verabschieden.

Die Statistik

Nicht jeder Anstieg der Zahlen ist ein Alarmzeichen. In einigen Kriminalitätsbereichen kann ein "Mehr" auch das Gegenteil bedeuten - ein Mehr an Sicherheit nämlich. Was zunächst paradox klingt, erklärt sich bei den so genannten "Kontrolldelikten". Straftaten nämlich, die nur dann in die Statistik einfließen, wenn sie bei Kontrollen entdeckt werden. Rauschgiftkriminalität ist ein solcher Bereich. Entdeckte Straftaten sind da zugleich verübte Straftaten - und aufgeklärte. Laut Polizeipräsident Hubertus Andrä hat das auch mit der Kontrolldichte rund um den Hauptbahnhof zu tun, jedes sechste von einem Zuwanderer begangenen Drogendelikt wurde dort registriert. Ähnliches gilt fürs Schwarzfahren: 50 Prozent aller von Zuwanderern begangenen Vermögens- und Fälschungsdelikte fallen darunter.

Die Herkunft

Für viele ein Lieblingsthema: die Nationalität eines Tatverdächtigen. Polizeipräsident Hubertus Andrä ist deshalb in seiner Pressekonferenz zur Kriminalstatistik darauf intensiv eingegangen. Das Fazit: Die Mehrzahl der Tatverdächtigen sind Deutsche. Menschen ohne deutschen Pass sind allerdings im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl überproportional vertreten. Doch auch diese Einschränkung bedarf einer Einschränkung: Viele Straftaten werden von reisenden Kriminellen verübt oder gesteuert von im Ausland angesiedelten Callcentern. Und auch manche "ausländische" Täter sind das nur dem Pass nach - sie sind Münchner, hier geboren und aufgewachsen. Kriminologisch ist die Frage, ob ein Täter für sein Delikt eigens anreist und danach wieder weiterzieht, um andernorts sein Unwesen zu treiben, mindestens so interessant wie die Frage, welchen Pass er besitzt. Die Zahl nichtdeutscher Tatverdächtiger ist um 1488 gegenüber dem Vorjahr gesunken auf 21 420 Personen. Ihr Anteil an der Gesamtzahl sank etwas auf 47,8 Prozent, während der nichtdeutsche Anteil an der Wohnbevölkerung in Stadt und Landkreis München leicht gestiegen ist (24,3 %).

Die Folgen der Zuwanderung

Als Zuwanderer bezeichnen die Sicherheitsbehörden bundeseinheitlich Kriegsflüchtlinge, Asylsuchende und -berechtigte sowie geduldete Personen, aber auch Menschen, die sich nach geltendem Recht illegal im Land aufhalten. Sie machen zwei Prozent der Münchner aus, aber 10,5 Prozent der Tatverdächtigen. Auch diese Zahl ist leicht gesunken. Polizeipräsident Andrä weist jedoch darauf hin, dass die Zahlen nicht 1:1 in Relation gesetzt werden können. Zu sehr weichen Alter (jung), Geschlecht (Männlich) und Wohnsituation (häufig Gemeinschaftsunterkünfte) vom Münchner Durchschnitt ab. Noch etwas muss laut Andrä beachten, wer die Kriminalitätszahlen zu interpretieren versucht: Fast jedes dritte von Zuwanderern begangene Rohheitsdelikt richtet sich gegen andere Zuwanderer, jedes fünfte wird in einer Asylbewerberunterkunft verübt. Außerdem hat auch diese Statistik eine zweite Seite: Die Wahrscheinlichkeit, selbst Opfer einer Straftat zu werden, ist nämlich für Zuwanderer laut Andrä ebenfalls "deutlich" höher als für andere Münchner.

Die Aufklärungsquote

Wer in München Verbotenes tut, hat - anders als manchmal behauptet wird - ein sehr hohes Risiko, von der Polizei erwischt und anschließend zur Rechenschaft gezogen zu werden. Drei von fünf Fällen (genau 61,7 Prozent) konnte die Polizei vergangenes Jahr aufklären. Etwa jeder fünfte dieser Fälle geht auf das Konto der Mehrfach- und Intensivtäter, obwohl diese nur drei Prozent aller 44 825 Tatverdächtigen ausmachen. Die Ermittler zählen darunter 77 besonders notorische Gesetzesbrecher, auf deren Konto jeweils 20 oder mehr Taten gehen - binnen eines Jahres.

Die Sexualdelikte

Immer mehr? Immer schlimmer? Auch das stimmt so nicht. 2016 trat eine Gesetzesverschärfung in Kraft. Manche Taten, die bis dahin anderen Kategorien zugeordnet wurden, gelten seither als Sexualdelikte. Und auch der Begriff der Vergewaltigung wurde neu definiert. Das heißt, dass die Kriminalstatistik 2019 erstmals einen Vergleich zur Vorjahresstatistik zulässt. Und da zeigt sich für Stadt und Landkreis München: Die 1303 der Polizei bekannt gewordenen Sexualdelikte bedeuten einen Rückgang um 11,5 Prozent. Vergleiche mit früheren Jahren führen laut Hubertus Andrä in die Irre. Die Aufklärungsquote bei den angezeigten Fällen ist auf 78,7 Prozent gestiegen. Zur Wahrheit gehört aber auch das: Experten schätzen, dass etwa die Hälfte aller Frauen in München nicht darüber sprechen, wenn sie Opfer sexueller Gewalt geworden sind. Lediglich jede zehnte Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung (278 Fälle im vergangenen Jahr) wird überhaupt angezeigt - und davon endet wiederum nur jedes elfte Verfahren mit der Verurteilung des Täters durch ein Gericht.

Die Tendenz

Von wegen: Früher war alles besser. Noch nie - nachweisbar zumindest seit 40 Jahren - durfte man sich in München so sicher fühlen. Auf 100 000 Einwohner kamen in der Stadt vergangenes Jahr 5836 Straftaten. Damit ist diese so genannte "Häufigkeitszahl" nicht nur höchstens halb so hoch wie in den anderen vier größten deutschen Städten, es ist zugleich die niedrigste in München, seitdem es derartige Statistiken gibt. Also seit 1979. Im Jahr 1997 lag die Häufigkeitszahl beispielsweise bei 9117, drei Jahre später bei 8864. Die Zahl der Gewalttaten ist vergangenes Jahr um 3,5 Prozent zurückgegangen. Auch wenn manche Verfechter der "Alles wird schlimmer"-Theorie das nicht wahrhaben wollen: Die Kriminalität in München ist auf einen "historischen Tiefststand" gesunken. Und das sollte nicht nur den Polizeipräsidenten freuen.

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