Während am frühen Samstagmittag am Odeonsplatz noch Gemüse verkauft wird, brummt der Bass bereits über das Gelände. Erste Nebelschwaden wabern durch die Luft. Unter den Augen der Statue König Ludwigs von Bayern reihen sich immer mehr kleine und große Fahrzeuge hin zur Maximilianstraße ein. Glitzersteine werden auf die Wangen geklebt, an Ohrläppchen baumeln Discokugeln. Noch ist es ruhig, aber gleich wird es laut.
Grund für den buntgeschmückten Fuhrpark ist die Musik- und Tanzdemonstration „Krachparade“. Bereits zum zehnten Mal hat die Initiative „Mehr Lärm für München“ dazu aufgerufen, für mehr kulturelle Freiräume und niedrige Mieten durch die Innenstadt zu ziehen. Unter dem Motto „Lärm rauf, Mieten runter“ sind am Samstag 40 Wagen unterwegs.
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Die Demonstration beginnt um 14 Uhr am Odeonsplatz und endet nach einer Abschlusskundgebung um 22 Uhr auf der Theresienwiese. Bis zu 20 000 Menschen nehmen laut den Veranstaltern teil, die Polizei spricht von 5000 bis 8000. Die Demo läuft ohne besondere Vorkommnisse ab, es sei aber dem Motto entsprechend „wirklich sehr laut“ gewesen. Bei der Einsatzzentrale seien deswegen einige Beschwerdeanrufe eingegangen.
„Wir setzen uns für mehr sozialen Lärm in München ein“, sagt Julia Richter, die zu den Gründungsmitgliedern der Initiative gehört. Ursprünglich entstanden aus einer 2011 formierten Protestbewegung, die sich gegen den Neubau von Luxuswohnungen in Altschwabing richtete, gilt „Mehr Lärm für München“ inzwischen als bekanntester Akteur im Einsatz für mehr Subkultur in der Stadt.
Laut Richter werde diese zunehmend in die Keller verdrängt. „Es fehlt an Freiflächen, die kostengünstig genutzt werden können“, sagt die 38-Jährige. Mit der Einrichtung von drei Orten für nicht-kommerzielle Partys habe die Stadt zwar Akzente gesetzt, einen spürbaren Unterschied würden diese „Munich Urban Celebrations“ (MUCs) jedoch nicht machen. „Die bürokratischen Hürden sind immens und viele Partys müssen bereits um 22 Uhr aufhören“, sagt sie. Zudem lägen die MUCs teilweise weit außerhalb des Stadtzentrums. „Zum Fröttmaninger Berg kommt man nicht so schnell“, bemängelt Richter. So werde die Subkultur dahin ausgelagert, wo sie niemand störe.
In der langen Karawane der Krachparade finden sich die unterschiedlichsten Musikkollektive und Bürgerinitiativen wieder. Vor manchen Wagen tanzen junge Leute in Netzhemden zu harten Technobeats, andere Fahrzeuge glänzen rosa bemalt in der Sonne. Das Anliegen ist überall dasselbe. „Wir wünschen, dass man uns hört“, heißt es übereinstimmend. Für Feierfreudige fehle es an Platz und Auswahl in München.
Zwar gebe es mit dem DNA und dem Ape zwei Clubneueröffnungen, doch kleinere Akteure hätten weiterhin große Probleme sich zu halten, sagt Roshan Hewage. „Es herrscht ein großer Konkurrenzdruck, obwohl wir eine nicht-kommerzielle Szene sind“, sagt der 24-Jährige, der als Teil des Techno-Kollektivs Ravescape sowie Forge of Resonance gleich zweimal auf der Parade vertreten ist.
Grund für die angespannte Lage seien vor allem die hohen Mieten für Veranstaltungsflächen. „Wir müssen viel Geld in die Hand nehmen, um Subkultur überhaupt anbieten zu können“, sagt Hewage. Selbst die wenigen bespielbaren Orte würden immer teurer, da die Nachfrage so hoch sei. Um die Kosten stemmen zu können, müsse man aus der Masse hervorstechen.
Die Kollektive sind deshalb laut Hewage gezwungen, Werbung zu schalten und bekannte DJs zu buchen. „Das ist alles teuer und spiegelt sich in den Ticketpreisen wider. Dabei würden wir am liebsten gar keinen Eintritt nehmen.“ Ein möglicher Ansatz, die Lage zu entspannen, sei eine Zwischennutzung von Leerständen oder behördliche Hindernisse zu minimieren, um Freiflächen nutzen zu können.
Obwohl die Demonstration den Anschein einer großen Party macht, geht es um mehr als den Wunsch nach Clubvielfalt. Eng verwoben mit dem Erhalt von Subkultur ist die Forderung nach niedrigen Mieten. „Der Mangel an günstigem Wohnraum in München ist enorm“, sagt David Vadasz, Sprecher des hochschulübergreifenden Arbeitskreises Wohnen. Um kulturelle Angebote wahrnehmen zu können, müssten junge Menschen zuerst die Herausforderung meistern, eine Bleibe zu finden.
„Ich habe nicht den Eindruck, dass es seitens der Stadt Ambitionen gibt, die Situation zu verändern“, sagt Vadasz. Zwar habe der Freistaat die Sanierung von Teilen der Studentenstadt in Freimann beschlossen, doch dies sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Das ist wichtig, aber keine Lösung des Problems“, sagt er. Dringend notwendig seien Neubauten, um die missliche Lage der Studierenden abzufedern.
Um 16 Uhr beginnen die Lastwagen, sich behäbig durch die Stadt zu schieben. Laut und dumpf dröhnt der Bass über die Köpfe des tanzenden Publikums hinweg. Julia Richter ist es noch wichtig zu betonen, dass die Krachparade keine Party sei. „Es ist eine Demonstration, die Spaß macht“, sagt die Mitveranstalterin. Sie freue sich über den großen Andrang und die hohe Anzahl an teilnehmenden Kollektiven und Initiativen. „Viele assoziieren München mit Luxus und der Schickeria. Wir hingegen haben eine andere Utopie von der Stadt.“