München und sein Konzerthaus:"Auf den Ministerpräsidenten ist kein Verlass"

München und sein Konzerthaus: So sollte der neue große Münchner Konzertsaal nach den Entwürfen der Architekten aussehen.

So sollte der neue große Münchner Konzertsaal nach den Entwürfen der Architekten aussehen.

(Foto: Cukrowicz Nachbaur Architekten)

Fatal oder vernünftig? Nach Söders Abrücken vom geplanten Münchner Konzerthaus zeigt sich die Stadt offen für Gespräche über eine Kultur-Kooperation. Andere äußern sich schwer enttäuscht und sprechen von Wortbruch.

Von Heiner Effern, Ulrike Heidenreich und Susanne Hermanski

Die Ankündigung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), den Bau des lange geplanten Münchner Konzerthauses auf den Prüfstand zu stellen, hat bei Kulturtreibenden, der Stiftung Neues Konzerthaus München und in der Politik unterschiedlichste Reaktionen ausgelöst. Söder hatte im Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt, angesichts der massiven Herausforderungen durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg müsse man nun "eine Denkpause" einlegen: "Wir können nicht alles unendlich finanzieren." Er rechnet inzwischen mit Baukosten von mehr als einer Milliarde Euro, am Anfang der Planungen waren es noch 350 Millionen.

Das Konzerthaus sollte Heimstätte für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks werden. Söder kündigte an, mit der Stadt München Gespräche aufzunehmen. Schließlich gebe es in der Landeshauptstadt neben der neuen Isarphilharmonie ja auch den Herkulessaal oder das Kulturzentrum Gasteig. Da sei die Frage naheliegend: "Lohnt es sich nicht, besser eine gemeinsame Bespielung zu entwickeln?"

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zeigte sich am Wochenende offen für Gespräche über eine Zusammenarbeit. "Natürlich haben wir, wenn die Gasteig-Philharmonie nach der Sanierung wieder als Konzertsaal zur Verfügung steht, zwei herausragende städtische Konzertsäle in München. Ich habe ja bereits bei der Eröffnung der Isarphilharmonie bezweifelt - und damals hatte ich nicht an eine mögliche Absage für den Konzertsaal im Werksviertel gedacht - , dass es bei einem Interimbau bleibt", sagte Reiter der SZ. Natürlich könnten durchaus Synergien geschaffen werden, es bleibe jedenfalls spannend.

"Wir brauchen dieses Wohnzimmer der kreativen Höhenflüge wie die Luft zum Leben!"

Die Geigerin Anne-Sophie Mutter, die in der Vergangenheit immer wieder persönlich auch bei Söder für den Bau des Konzerthauses geworben hatte, reagierte unnachgiebig auf dessen Vorstoß: "Mit all den vergangenen, aktuellen und zukünftigen Krisen ist eine zeitgemäße Begegnungsstätte für uns Menschen von existenzieller Bedeutung. Über Jahrhunderte haben wir um die unterschiedlichsten Ausdrucksformen gerungen, um den tiefsten Gedanken, Hoffnungen und Emotionen eine Stimme zu verleihen." Die Menschen bräuchten diese Vielfalt an Ausdruckskraft, um die Traumata der globalen Geschichte zu ertragen und zu verarbeiten. Anne-Sophie Mutter will weiterkämpfen für das Prestigeobjekt im Werksviertel, sie sagt: "Wir brauchen diesen Raum, um das Miteinander zu spüren und die Gemeinschaft der Kulturen zu feiern. Wir brauchen dieses Wohnzimmer der kreativen Höhenflüge wie die Luft zum Leben!"

Die Intendantin des Bayerischen Rundfunks (BR), Katja Wildermuth, warb gegenüber der SZ ebenfalls intensiv weiter für den geplanten Konzertsaal als eigene Spielstätte für das BR-Symphonieorchester. "Wir bieten Kreativität und Strahlkraft! Modernste Musikvermittlung für Schulklassen und Nachwuchs aus ganz Bayern, kreative Kooperationen mit der lebendigen Werksviertel-Szene und die erste "digital concert hall" des 21. Jahrhunderts - das verbinden wir als BR mit dem geplanten Konzerthaus", sagte sie am Wochenende.

Der BR sei nicht der Bauherr, habe aber das Konzept nie als "Tempel" aus "Steinen" verstanden, sondern als höchst lebendigen Ort. Wildermuth fordert ein "klares Bekenntnis und eine nachhaltige Investition in die Zukunft, in der, davon bin ich überzeugt, Kunst und Kreativität, von der Hochkultur bis zur freien Szene, immer einen sehr hohen Stellenwert haben werden".

Die Stiftung Neues Konzerthaus München hat vier Millionen Euro an Spenden eingesammelt

Georg Randlkofer, Vorsitzender des Vorstands der Stiftung Neues Konzerthaus München, äußerte sich zu der im SZ-Interview von Söder vorgeschlagenen "Denkpause" klar und deutlich: "Eine Preisgabe dieses Vorhabens wäre ein schwerer Vertrauensbruch und ein historischer kulturpolitischer Fehler!" Selbstverständlich verstünden die Stiftungsmitglieder, dass die Bewältigung der wirtschaftlichen Belastungen der Pandemie und des Kriegsgeschehens in der Ukraine unabdingbar Vorrang haben müsse. Die Überlegungen von Ministerpräsident Söder seien vollständig nachvollziehbar. "Es gilt aber auch: Die musikalische Kultur jeden Genres in München und Bayern ist ein wesentliches Band unserer Gesellschaft, das Menschen zueinander führt und hilft, Herausforderungen des Lebens zu bewältigen", sagte Randlkofer, "deshalb ist wesentlich, Kultur weiter zu entwickeln und Zeichen zu setzen. Die Errichtung des neuen Konzerthauses ist ein solches Zeichen des Aufbruchs und des Fortgangs im Sinne einer zukunftsorientierten, modernen und digitalen Kulturpolitik."

Die Stiftung unter Schirmherrschaft von Franz Herzog von Bayern war 2016 auf Wunsch der Staatsregierung von Münchner Bürgern gegründet worden. Eine aufwändige Kampagne zur Spendenwerbung sollte mit Abschluss der Bauplanung beginnen. "Trotz schwierigster Standortfindung ist es gelungen, schon jetzt vier Millionen Euro an Spenden und eine Million Euro verbindlich zugesagter Spenden einzusammeln", so Randlkofer.

Ulrich Wilhelm, ehemaliger BR-Intendant und Ex-Regierungssprecher, übte harte Kritik am Vorgehen Söders: "Per Interview von einem gemeinsamen Jahrhundertprojekt abzurücken, stößt viele Partner aus Kunst und Kultur, aber auch aus der Bürgerschaft massiv vor den Kopf." Gerade nach der Pandemie stehe das Konzerthaus im Werksviertel für einen Neustart, der international mit großer Spannung verfolgt werde. "Jahrelang haben führende Köpfe der Klassikwelt im Vertrauen auf das gegebene Wort der Staatsregierung mit sehr ambitioniert arbeitenden Mitgliedern der Staatsverwaltung eine fundierte Planung erstellt, die Maßstäbe setzt", so Wilhelm. In der Politik führten unabweisbare Sachzwänge immer zu neuen Abwägungen und Entscheidungen: "Persönlich halte ich die neue Entscheidung für einen historischen Fehler angesichts der jahrhundertelangen Weltgeltung Münchens in der klassischen Musik, die viele Generationen von Entscheidungsträgern immer hochgehalten haben."

Münchens Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) nannte es hingegen "vernünftig", den Bau des Konzertsaals kritisch zu hinterfragen. Die Zeit sei über das Projekt hinweggegangen. Die Stadt München verfüge mit der Philharmonie im Gasteig und der Isarphilharmonie bereits über zwei Konzertsäle höchster Güte, ein dritter für eine Milliarde Euro wäre angesichts großen Bedarfs in anderen Bereichen der Kultur fragwürdig. "Es darf jetzt kein falscher Eindruck entstehen: Investitionen in Kunst und Kultur müssen auch in Zeiten knapper Kassen stattfinden, denn sie tragen unsere Gesellschaft. Aber wir müssen die knappen Ressourcen sinnvoll einsetzen", sagte Habenschaden. Die Landeshauptstadt und die Gasteig GmbH seien offen für konstruktive Gespräche mit dem Freistaat.

Es zeige sich deutlich, wie gering der Stellenwert von Kunst und Kultur für die bayerische Staatsregierung sei

Wolfgang Heubisch (FDP), in seinem einstigen Amt als Kunstminister früher schon intensiv mit dem Projekt befasst, nannte Söders Äußerungen ein "fatales Signal sowohl für den internationalen Musikstandort München als auch den Kulturstaat Bayern". Der kulturpolitische Sprecher der FDP kündigte entsprechende Anfragen im Landtag an: "Für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit seinem Top-Dirigenten Sir Simon Rattle ist das eine dramatische Entwicklung."

Für Heubisch beweise sich damit wieder einmal: "Auf den Ministerpräsidenten ist kein Verlass. Ankündigen und nicht umsetzen! Söders Entscheidung ist durchschaubar und läutet das Sterben des Projekts ein."

Auch seinen Nachfolger im Amt, den neuen Kunstminister Markus Blume (CSU), attackiert Heubisch: "Er macht nur willfährig das, was Markus Söder will. Kein Rückgrat, kein Selbst- und Sendungsbewusstsein." Es zeige sich deutlich, wie gering der Stellenwert von Kunst und Kultur für die bayerische Staatsregierung sei.

Sanne Kurz, kulturpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, sieht in der Pandemie und dem Krieg vorgeschobene Argumente Söders. Bereits Anfang Januar 2020 habe dieser eine "Machbarkeits-Studie" gefordert - für laufende Bauprojekte sei das ungewöhnlich. "Dass Markus Söder die Diskussionen um Bayerns wohl teuersten Parkplatz nun weiter verschleppt, halte ich für ein Zeichen von Führungsschwäche", sagte Kurz. Das BRSO brauche eine eigene Spielstätte, nicht nur wegen Sir Simon Rattle. Am wichtigsten sei nun eine rasche Entscheidung: "Kein weiteres Verbrennen von Geld für etwas, das Markus Söder nicht will." Falls das Konzerthaus CSU-intern bereits beerdigt sei, müsse nun zügig und sinnvoll in ein gemeinsames Agieren mit der Stadt investiert werden.

Anton Biebl, Kulturreferent der Stadt München, betonte, er stehe gerne für fundierte Abwägungen zur Verfügung - und zählte die Vielfalt auf: Mit der Isarphilharmonie und der sanierten Gasteigphilharmonie gäbe es zwei herausragende Konzertsäle in München. Daneben bringt Biebl den Herkulessaal, das Prinzregententheater "und gegebenenfalls noch einen weiteren Konzertsaal in der Paketposthalle" ins Spiel. Auf der anderen Seite, so der Kulturreferent, könnte der Konzertsaal im Werksviertel auch ein architektonisches Highlight Münchens werden. Biebl: "Der Ball liegt im Spielfeld des Freistaates."

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