Werksviertel:Was Sie über Münchens neuen Konzertsaal wissen müssen

Lesezeit: 6 Min.

Mit diesem Entwurf haben die Bregenzer Architekten Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur-Sturm den Wettbewerb für das neue Konzerthaus im Werksviertel gewonnen. (Foto: Cukrowicz Nachbaur Architrekten)

Nach 20 Jahren Debatte bekommt München ein Konzerthaus. Aber warum? Und wann? Und wie sieht es aus? Die wichtigsten Fragen und Antworten auf einen Blick.

Von Kassian Stroh

"Weltniveau" - drunter geht es nicht. Zumindest nicht für die bayerische Staatsregierung, die in München am Ostbahnhof ein neues Konzerthaus bauen will. Eines, das sich mit den besten Konzertsälen der Welt messen kann. Auf diese Säle nämlich werfen große Teile des Münchner Klassik-Publikums seit Langem ein neidisches Auge, weshalb in der Stadt seit bald zwei Jahrzehnten dafür getrommelt wird, dass es endlich einen neuen Konzertsaal brauche.

Das Projekt dürfte der aktuell wichtigste Kulturneubau in Bayern sein. Der Entwurf stammt vom Büro Cukrowicz Nachbaur Architekten, das seine Pläne derzeit zusammen mit dem Akustiker Tateo Nakajima überarbeitet. Unter anderem wird aus Kostengründen wohl wieder einer der drei Säle gestrichen, die im Konzerthaus eigentlich entstehen sollten. Der erste Entwurf sah einen großen Saal mit 1800 Plätzen vor, einen kleinen mit 600 Plätzen und eine Werkstattbühne, wo 200 Zuhörer Platz fänden.

Wie das Haus am Ende innen und außen aussieht, wann es eröffnet und wie viel es kostet - diese und viele weitere Punkte sind offen. Ein Überblick.

Braucht München einen weiteren Konzertsaal?

Den Bau dieses Konzerthauses haben vor allem das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO) und sein Ende November 2019 gestorbener Chefdirigent Mariss Jansons vorangetrieben. Das BRSO zählt zu den besten Orchestern der Welt, leidet aber darunter, dass es keine eigene Spielstätte hat. Vielmehr tritt es in München meist in zwei Sälen auf: Entweder im Herkulessaal der Residenz, der aber mit gut 1400 Plätzen relativ klein ist und vor allem nur über marode und extrem kleine Künstler-Garderoben und Einspielräume verfügt. Oder in der Gasteig-Philharmonie mit ihren 2500 Zuhörerplätzen. Dort aber muss sich das BRSO bei der Terminvergabe hinten anstellen, das Erstbelegungsrecht haben die Münchner Philharmoniker. Außerdem sind die Musiker mit der Akustik im Gasteig generell unzufrieden - weshalb ein Hauptargument für einen Neubau stets war, endlich einen klanglich erstklassigen Konzertsaal in München zu bekommen.

Die Befürworter argumentieren zudem, in München bräuchte es mehr Kapazität, da der Bedarf groß sei. Neben den erwähnten beiden Spitzenorchestern veranstalten auch mehrere private Agenturen regelmäßig Konzerte, die Karten verkaufen sich gut.

Kultur
:München lässt seinen Musikern keinen Raum

Zu wenig Platz und schmutzige Toiletten: Für Bands in München ist es schwer, geeignete Probenräume zu finden - das zeigt eine Umfrage.

Von Jürgen Moises

Als Gegenargument gegen ein neues Konzerthaus wurden und werden nach wie vor die Kosten angeführt: Hier werde (wieder einmal) viel Geld in die sogenannte Hochkultur gesteckt, das an anderer Stelle besser investiert wäre. So könnte München durchaus eine weitere, mittelgroße Halle für Pop- und Rockkonzerte gebrauchen. Viele Klubs, die nur als Zwischennutzung betrieben werden, sind bedroht, auch an Bandübungsräumen mangelt es. Und wie immer bei solchen Projekten beäugen Politiker aus allen Landesteilen argwöhnisch, wenn der Freistaat viel Geld für seine Hauptstadt ausgibt.

Unabhängig vom Konzerthaus-Neubau ist die Frage, was aus der Philharmonie im Gasteig wird: Die Stadt muss ihr Kulturzentrum sanieren - dieses Großprojekt hat der Stadtrat nach langem Hin und Her im Juni 2019 endgültig auf den Weg gebracht. Dabei wird auch der große Konzertsaal dort akustisch verbessert.

Was kostet das Konzerthaus, wer zahlt und wann ist es fertig?

Seit Mai 2019 ist offiziell, wer das neue Konzerthaus plant: Den Bau verantworten die Bregenzer Architekten Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur-Sturm, für die Akustik wurde Tateo Nakajima vom Büro Arup verpflichtet. Aufbauend auf dem Ergebnis des Architektenwettbewerbs, den die Bregenzer 2017 gewannen, erstellen sie nun gemeinsam bis Mitte 2020 eine Vorplanung, die der Landtag absegnen soll. Es folgt die Entwurfsplanung, was noch einmal bis zu zwei Jahre dauern kann, woraufhin der Landtag das Geld endgültig freigeben muss. Vor 2022 passiert auf dem Baugelände also vermutlich nichts, vor 2025 dürfte das Konzerthaus nicht eingeweiht werden.

Offen ist auch, wie teuer es am Ende wird: Ohne Pläne gibt es keine belastbare Kostenschätzung. Während die Staatsregierung lange von einem Betrag zwischen 150 und 300 Millionen Euro gesprochen hatte, stellte das Finanzministerium im Jahr 2016 einmal 370 Millionen Euro als Zahl in den Raum. Im Januar 2020 sprach Ministerpräsident Markus Söder (CSU) davon, dass das Projekt deutlich teurer werden dürfte; genaue Zahlen nannte er nicht. Aus ökologischen wie aus Kostengründen regte er zugleich an zu prüfen, ob und wie das Konzerthaus in großen Teilen aus Holz gefertigt werden könnte. Was das für den ursprünglichen Entwurf der Architekten und den Zeitplan bedeutet - auch das ist bislang völlig unklar. Zumal da wegen der Corona-Krise das Projekt Ende Mai im Landtag erneut grundsätzlich in Frage gestellt wurde.

Die Landtagsabgeordneten treibt schon lange die Angst vor einer Kostenexplosion um (wie etwa bei der Hamburger Elbphilharmonie oder bei der Sanierung des Münchner Gärtnerplatztheaters). Daher beschlossen sie bereits im Dezember 2017 einstimmig: Lieber erst einmal gründlich planen als schnell mit dem Bau beginnen. Damit durchkreuzten sie auch den Plan des damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU), der noch vor der Landtagswahl im Herbst 2018 den ersten Spatenstich setzen wollte.

Bezahlen wird am Ende vor allem der Freistaat. Die Regierung erwartet aber auch eine "nennenswerte" Summe an Spenden aus der Bürgerschaft. Dafür wurde die Stiftung Neues Konzerthaus München gegründet; ein fixer Betrag, den sie beibringen müsste, wurde aber nicht vereinbart. Auch der Bayerische Rundfunk dessen Orchester ja der Hauptnutzer sein soll, wird sich an den Kosten beteiligen: Er zahlt einmalig 15 Millionen Euro für das Erstbelegungsrecht, kümmert sich um die Technik, um Konzerte aufzeichnen zu können, und zahlt eine jährliche Miete von 1,5 Millionen Euro. Das macht alles zusammen auf 30 Jahre gerechnet etwa 65 Millionen Euro.

Was soll im Münchner Konzertsaal später einmal passieren?

Nicht geklärt ist auch die Frage, wie das neue Konzerthaus dereinst mit Leben gefüllt werden soll. Mit Konzerten in den zwei oder drei Sälen, schon klar, auch die Hochschule für Musik und Theater bekommt hier mit der Werkstatt und Proberäumen einen Stützpunkt. Aber wer entscheidet über die Belegung der Säle?

Dieses Problem trieb vor allem die künftigen Nutzer um: Soll es ein vom Freistaat bestellter Geschäftsführer sein oder ein unabhängiger Konzerthaus-Intendant? Letzteres lehnten die privaten Veranstalter ab, weil sie befürchteten, dass ihre Interessen so unter die Räder geraten könnten. Im März 2018 entschied sich die Staatsregierung in der letzten Kabinettssitzung unter Seehofer für einen Kompromiss: Das Konzerthaus wird als staatlicher Eigenbetrieb geführt werden, für das Programm ein künstlerischer Direktor verantwortlich sein - "in enger Kooperation" mit dem BR-Symphonieorchester, der Musikhochschule und den privaten Veranstaltern.

Diese Frage wurde ebenso heiß diskutiert wie die Frage, wie man das Haus breiten gesellschaftlichen Gruppen öffnen kann, damit es kein elitärer Kulturtempel wird. Wie man also ein attraktives Programm bietet für Menschen jeden Alters, unabhängig von Einkommen, Bildung oder sozialer Herkunft. Für die Musikvermittlung ist im Konzerthaus ein "Education-Bereich" fest vorgesehen, in diesen Räumen kann es zum Beispiel Workshops oder musikalische Früherziehung geben.

Wie kam es zum Beschluss, am Ostbahnhof ein neues Konzerthaus zu bauen?

Über einen neuen Konzertsaal für München wird seit bald zwei Jahrzehnten debattiert. Seine Befürworter hatten lange Zeit das Marstallgebäude hinter der Residenz als Standort im Auge. Als sich diese Idee zerschlug, hob eine muntere Debatte an, in der mehr als drei Dutzend mögliche Standorte ventiliert wurden. Manche waren zumindest gewagt, etwa die Idee, mitten in die Isar einen weinglas-ähnlichen Kelch zu setzen oder den Saal unter den Königsplatz zu bauen. Unter den realistischeren Standorten waren lange der Finanzgarten am Altstadtring, das Kongresssaalgebäude vor dem Deutschen Museum oder auch die alte Paketposthalle an der Friedenheimer Brücke.

Der damalige Ministerpräsident Seehofer schrieb sich das Projekt 2009 auf die Fahnen, Ende 2015 entschied sich die Staatsregierung unter seiner Führung für das Werksviertel hinter dem Ostbahnhof als Standort. Dessen Eigentümer Werner Eckart überlässt dem Freistaat dort gut 5000 Quadratmeter in Erbpacht.

In welcher Umgebung entsteht der Konzertsaal?

Unter den diversen Quartieren, die in München derzeit neu entstehen, ist das Werksviertel am Ostbahnhof eines der spannendsten Projekte. Dort ist ein bunter Mix geplant aus Büros, Ateliers, Wohnungen, Gastronomie, Hotels - und eben auch Kulturbühnen. Die Tonhalle, das Technikum und die Musicalbühne Werk 7 gibt es dort schon; ein Konzerthaus soll das Ganze nach dem Willen seines Eigentümers krönen.

Auf dem Werksviertel-Gelände befanden sich einst die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Pfanni-Werke, Werner Eckart ist der Enkel des gleichnamigen Firmengründers. 1996 gab Pfanni das Werk auf, das Gelände wurde in der Folge zu einem Ausgehviertel. Erst hieß es Kunstpark Ost, von 2003 an Kultfabrik.

Bis das neue Konzerthaus gebaut wird, wird das dafür freigehaltene Areal zwischengenutzt: Hier dreht sich seit April 2019 das 78 Meter hohe Riesenrad Hi-Sky, das die Münchner Firma Maurer gebaut hat. Nach ihren Angaben ist es das größte Riesenrad Deutschlands und das größte transportable Riesenrad der Welt.

Warum beschäftigt das Thema Konzertsaal die kulturinteressierten Münchner so sehr?

München versteht sich als Musikstadt. Hier gibt es vier große Orchester: die Münchner Philharmoniker, die BR-Symphoniker, das Staatsorchester der Staatsoper und das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz - die ersten drei gehören zu den besten der Welt. Das Klassik-Publikum in Stadt und Umland ist groß, kritisch und höchst interessiert.

Schon von dem her hat die Frage der Auftrittsmöglichkeiten große Bedeutung, sie ist aber auch emotional: Nach dem Krieg zum Beispiel haben die Münchner für den Wiederaufbau ihrer Oper gekämpft und viel Geld dafür gesammelt. Und sie leiden bis heute unter einem Phantomschmerz: Durch einen Bombenangriff ging 1944 das Odeon verloren, ein legendärer Konzertsaal, der es vermutlich mit dem Wiener Musikverein oder dem Concertgebouw in Amsterdam aufnehmen konnte. Von ihm schwärmt man in der Stadt bis heute, auch wenn es nur noch sehr wenige Münchner geben dürfte, die das Odeon live erlebt und gehört haben. (Heute ist es übrigens der inzwischen überdachte Innenhof des Innenministeriums am Odeonsplatz.)

Mit dem neuen Konzerthaus will München da nun wieder zur Weltspitze aufschließen - und auch mit der oft geschmähten Philharmonie im Gasteig. Für deren akustische Erneuerung hat die Stadt den weltberühmten Konzertsaal-Spezialisten Yasuhisa Toyota verpflichtet. Das könnte zu einer Art Wettstreit der Klang-Giganten werden. Denn wenn am Ende der Gasteig erneuert und das von Nakajima geplante neue Konzerthaus fertig ist, wird München zwei Säle der aktuell gefragtesten Akustiker der Welt haben - nur gut einen Kilometer voneinander entfernt.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Konzertsaal-Debatte
:Je spektakulärer der Bau, desto höher die Aufmerksamkeit

Allein um die beste Kunst geht es beim Konzertsaalbau nicht. Oft zählen nur Aussehen und Aufmerksamkeit. Dieser Wettlauf wird weitergehen.

Von Reinhard J. Brembeck

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: