Robert Smith hat die Ruhe weg. Wie einer, der sich eher zufällig in die Szenerie verirrt hat, schleicht er über die Bühne und besieht sich staunend, was da so um ihn herum passiert. Die Lippen blutrot, die Augen kajalumrandet, so guckt der 63-Jährige unter der lichter werdenden Vogelnestfrisur ins weite Rund, während seine Band erst einmal ohne ihn anfängt. Es sind kleine Gesten der Nähe, die er dann aussendet. Mal zwei freudig ausgebreitete Arme für die Sitzplatzgäste neben der Bühne. Mal ein schüchternes Handküsschen für die Stehplatz-Ultras ganz vorne. Mal eine Hand aufs Herz für alle, um zu versichern, dass ihn die Ovationen in der ausverkauften Halle ernsthaft anfassen.
Der Mann nimmt sich Zeit. Und warum auch nicht? Auf dreizehn Studioalben hat Smith Welt- und Herzschmerz, Verlorenheit und Todessehnsucht in Songs gegossen, die längst zum Pop-Kanon zählen. Bis heute hat keine andere Band die Verschmelzung kellerkalter Wave-Ästhetik mit patschulisüßer Pop-Melodik genredefinierender vollzogen als The Cure in den Achtzigern und Neunzigern. Da kann man sich schon mal ein wenig feiern lassen oder die Veröffentlichung der neuen Platte "Songs of the Lost World" so lange hinauszögern, dass die Tour eben ohne das erste Album seit vierzehn Jahren über die Bühne geht. Es kommen ja doch wieder alle zusammen.
Umso schöner also, dass man hier sogleich einen ersten Einblick in jene neuen Songs über eine verlorene Welt bekommt. "Alone" heißt der episch angebahnte Opener, den Smith mit seiner immer noch taufrischen Jungenstimme direkt ins Apokalyptische gleiten lässt. "This is the end of every song we sing / The fire burned out to ash and the stars grown dim with tears", singt er, während hinter ihm auf einer Leinwand der geschundene Erdball durchs All rotiert.
Kleines performatives Highlight: Robert Smith mit seinem Bassisten Simon Gallup.
(Foto: Stephan Rumpf)Es ist der tiefschürfende Auftakt eines Konzerts, das mit seinen 28 Songs eine Dramaturgie entfaltet, die auch die künstlerische Integrität der Band hervorhebt. The Cure waren nie eine animierende Showtruppe. Ihnen reicht bereits ein kleines performatives Highlight wie das Zusammenspiel von Robert Smith und Bassist Simon Gallup, die sich in "Pictures Of You" gegenüberstehen und ihr zuckrig verhalltes Saitenspiel auf filigranste Weise verflechten, um für Ekstase zu sorgen.
Und so verwundert es auch nicht, dass der Hauptteil eher mit Kennermaterial denn mit Hits bestritten wird. Man hört etwa Filmmusik wie das ulkig von Smith ins Tropikalische geflötete Trommelinferno "Burn" für den Horrorfilm "The Crow", neue Songs wie das wunderhübsche "And Nothing is Forever", das mit seiner Wärme hunderte Handylichter im Publikum anknipst, oder uralte Grufti-Nummern wie das schaurig klirrende "Cold". Das ergibt einerseits eine enorme Variabilität, packt andererseits aber natürlich nicht jeden. Dafür gibt es ja Zugaben, die The Cure mit einer Hit-Dichte versehen, die einem schier die Schuhe auszieht.
Versprechen ans hingerissene Publikum in der Olympiahalle: Es wird ein Wiedersehen geben mit "The Cure".
(Foto: Stephan Rumpf)Der synthiesakral dahinwalzende "Plainsong", der überschwängliche Drive von "Friday I'm in Love" und "Inbetween Days" oder der verwunschen metaphorisierte Liebestaumel von "A Forest" - all das ist maximal mitreißend zelebrierte Musikgeschichte, kondensiert auf zwei Zugabenblöcke. An deren Ende steht mit dem Debüt-Stück "Boys Don't Cry" der gleichsam simpelste und perfekteste Breakup-Song, den je ein Teenager aufs Papier gebracht hat, und ein Versprechen, das Robert Smith dem Publikum mit auf den Nachhauseweg gibt. Man werde sich wiedersehen, verkündet er, der immer mal wieder mit dem Ende von The Cure kokettiert, und führt vorm Abgang ein letztes Mal dankbar die Hand zum Herz.