Süddeutsche Zeitung

Berufsschüler stimmen sich auf Konzert ein:Macht klassische Musik Kopfschmerzen?

Lesezeit: 4 min

Mit solchen Fragen setzen sich Jugendliche auseinander, um sich auf ihren ersten Konzertbesuch vorzubereiten. Wenn sie dann im Herkulessaal jungen Musikstudenten aus ganz Europa lauschen, begegnen sich Welten.

Von Kathrin Aldenhoff

Es ist nicht so, dass Musik keine Rolle spielt in seinem Leben. Can hört die ganze Zeit Musik, "vierundzwanzig-sieben", sagt der 16-Jährige, also rund um die Uhr. Nur eben Deutschrap, nicht Richard Strauss. Can bereitet sich in diesem Schuljahr an einer Berufsschule auf eine Ausbildung vor. In einem klassischen Konzert war er noch nie. Laut stellt er es sich vor, sagt Can.

Therese Mitreuter spielt Geige seit sie fünf Jahre alt ist. Sie war 13, als sie das erste Mal in einem Orchester spielte, Dvořáks 9. Sinfonie hat sie umgehauen, sagt die 28-Jährige. Sie studierte Musik, spielt weiter im Orchester. Sie sagt, klassische Musik könne in schwierigen Zeiten einen Moment des Friedens schenken.

Can und Therese Mitreuter leben nicht weit voneinander entfernt, und doch in verschiedenen Welten. An einem Sonntagabend im März treffen diese Welten aufeinander. Therese Mitreuter wird mit ihrer Geige auf der Bühne des Herkulessaales sitzen; zusammen mit den 85 anderen Musikern der Neuen Philharmonie München wird sie Strauss spielen, Mendelssohn-Bartholdy, dann Ravel. Can und seine Mitschülerinnen werden mit tausend anderen Zuhörern im Publikum sitzen und zum ersten Mal ein Orchester live erleben.

"Die Jugendlichen sollen die Möglichkeit bekommen, sich selbst anders zu erfahren", sagt Eva Nies. Sie arbeitet ehrenamtlich in der Stiftung Kolibri und organisiert mit der Neuen Philharmonie München das Konzert im Herkulessaal. Die Idee: benachteiligte Jugendliche an klassische Musik heranführen, so dass sie Seiten ihrer Heimat kennenlernen, die ihnen sonst verborgen blieben. "Das sind junge Menschen, deren Biografien bisher nicht so reibungslos verlaufen sind", sagt Eva Nies. Junge Geflüchtete und Berufsschüler, insgesamt mehr als 430 Jugendliche, kommen zum Konzert. Sie zahlen nichts für die Konzertkarten, die werden gespendet.

"Die Jugendlichen kommen nicht aus der Schicht, in der man ins Konzert geht"

Zwei Wochen sind es noch bis zum Konzert. Für Ende Februar hat sich die iranische Musikerin und Musikpädagogin Mona Pishkar an der Berufsschule zur Berufsvorbereitung angekündigt, sie will Can und seine Klasse auf ihren Konzertbesuch einstimmen. Einen Geigenkoffer auf dem Rücken, betritt sie das Klassenzimmer, 13 Jungen und Mädchen sitzen im Raum. Warum sie heute hier sei, fragt die Musikerin. "Damit wir mehr über klassische Musik lernen", sagt Abdul. "Weil wir keine Ahnung davon haben."

"Mit klassischer Musik in eine andere Welt" heißt der Titel der Präsentation, die Mona Pishkar den Schülern zeigt. Und es ist eine andere Welt für die meisten von ihnen. Klassenlehrer Felix Heinrich hat die Schülerinnen und Schüler für das Projekt angemeldet, weil genau so etwas den Horizont erweitere, sagt er. "Die Jugendlichen kommen nicht aus der Schicht, in der man in die Oper, ins Theater oder ins Konzert geht."

Manche haben Vorurteile, "Mozart ist halt nicht so mein Geschmack", sagt einer; nach einer Weile werde es langweilig, sagen andere. Aber sie wollen sich überraschen lassen. "Wir werden etwas hören, das wir noch nie gehört haben", sagt Silvio, der Mona Pishkar stolz erzählt, dass er selbst rappt.

Seine Mitschülerin Zehra freut sich vor allem darauf, etwas mit der ganzen Klasse zu unternehmen. "Ich bin eigentlich kein großer Fan von klassischer Musik", sagt sie. "Aber manchmal hört sich das schon schön an, und es beruhigt irgendwie." Sie weiß, dass das Konzert lange dauern wird, zwei, drei Stunden, mit Pause. Das muss man mal erlebt haben, sagt sie. Hat aber ein bisschen Angst, dass sie Kopfschmerzen bekommt von der vielen Musik.

Nicht nur für die Jugendlichen, auch für die Musikerinnen und Musiker der Neuen Philharmonie ist das Konzert ein Erlebnis. In dem Orchester spielen Studierende aus zwölf Ländern. Sie sind nur ein paar Jahre älter als die Schülerinnen und Schüler der Berufsschule.

Das Orchester kommt aus ganz Europa

Zehn Tage vor dem Konzert kommt das Orchester zusammen; Geiger aus Polen und Spanien, Oboisten aus Portugal, Klarinettisten aus Schweden und der Schweiz proben gemeinsam. "Es entstehen Freundschaften über die Landesgrenzen hinweg", sagt Orchestergründer Franz Deutsch, und das ist genau das, was er daran so schätzt. Auf die 90 Stellen, die zuletzt ausgeschrieben waren, haben sich 230 junge Erwachsene beworben. Manche spielen ein, zwei Jahre in der Neuen Philharmonie München. Andere, wie Therese Mitreuter, sind schon lange dabei, haben bereits mehrere Benefizkonzerte gespielt.

"Es macht für uns Musiker schon einen Unterschied, wer im Publikum sitzt", sagt Geigerin Therese Mitreuter. "Die Jugendlichen ziehen ihre Handys raus und filmen, sie klatschen zwischen den Sätzen." Ein krasser Regelbruch im Konzert - geklatscht wird erst am Schluss, das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Aber die Jugendlichen kennen die Gesetze und Regeln, die für das klassische Konzertpublikum gelten, eben nicht.

"Ich finde diese Begeisterung toll", sagt Therese Mitreuter. "Für uns ist es eine Ehre, wenn es den Schülerinnen und Schülern so gut gefällt, dass sie applaudieren wollen." Das Orchester warte dann eben eine Minute länger, bis es den nächsten Satz beginnt.

In der Berufsschule bespricht Mona Pishkar mit den Schülerinnen und Schülern, warum die Geigen vor den Hörnern und den Pauken platziert werden, was der Dirigent da vorne eigentlich macht und was der Unterschied zwischen Posaune und Trompete ist. Und dass dieses große, schmale Instrument aus Holz ein Fagott ist, das klären sie auch.

Die Musikpädagogin spielt eine Videoaufnahme des WDR-Sinfonieorchesters vor, lässt dann Fagott, Posaune, Klarinette und Trompete einzeln klingen. Zehra meldet sich und meint: "Meine Schwester spielt auch Trompete, aber da kommen nicht so hohe Töne raus." Am Ende zeigt Mona Pishkar ein Notenblatt und sagt: "Ihr seht, das ist eine eigene Sprache."

Sie rechne nicht damit, dass die Schülerinnen und Schüler mit einem Konzertbesuch zu Klassikfans werden, sagt Mona Pishkar nach der Vorbereitungsstunde. Aber sie möchte, dass die Jugendlichen zumindest ein Mal mit dem Thema in Kontakt kommen. "Dieses Konzert ist ein Fest für mich", sagt die Musikpädagogin. So viele junge Menschen in einem Konzertsaal - das sei etwas ganz Besonderes.

Die Neue Philharmonie München spielt am Freitag, 3. März, um 20 Uhr in der Loisachhalle in Wolfratshausen und am Sonntag, 5. März, um 19 Uhr im Herkulessaal der Münchner Residenz. Auf dem Programm stehen die Rosenkavalier-Suite von Strauss, das Violinkonzert von Mendelssohn-Bartholdy und La Valse und Bolero von Ravel. Tickets sind unter www.muenchenticket.de erhältlich.

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