Als Albert Pöschl die Menge auf dem Platz vor dem Kulturzentrum Giesinger Bahnhof begrüßt, macht er das mit den Worten: „Schön dass alle da sind, zu diesem zugegeben überheblichen Wahnsinn.“ Und der Musiker und Chef des Münchner Indie-Plattenverlags Echokammer fasst damit treffend zusammen, was einem selbst angesichts dieser Jubiläumsfeier durch den Kopf gegangen ist. Der verrückte Plan: An einem einzigen Abend 20 Konzerte zu veranstalten von genauso vielen Music-Acts, die jeweils nur einen Song spielen. Und das Ganze in zweieinhalb Stunden. Der Anlass: Die 100. Produktion von Echokammer, das es als Label seit 24 Jahren gibt und in Giesing seinen Sitz hat. Und siehe da: Am Ende schaffen es Pöschl & Co. mit der Zeit tatsächlich punktgenau. Respekt!
Dabei steht das Label Echokammer doch eigentlich für „das Unberechenbare-Unerwartete-Unfassbare“, wie der Augsburger Schriftsteller Franz Dobler im offiziellen Glückwunsch-Text zum Jubiläums-Album schreibt, das am 4. Oktober erscheint. Darauf sind 27 Bands zu hören, und ein Großteil davon war nun auch in Giesing. Um den grob geschätzt 300 Zuhörern einen wunderbaren Abend zu bescheren. Der war geprägt von Experiment, Improvisation, Stilvielfalt und zum Großteil auch von Nostalgie. Durfte man in den zweieinhalb Stunden, die deshalb funktionierten, weil es ganz professionell zwei abwechselnd bespielte Bühnen gab, doch so einige Wiederauferstehungen erleben.
Wie etwa die des Trios Parasyte Woman um Sängerin Manuela Rzytki als dritter Act, dessen leicht düsterer Disco-Pop einen sofort wieder gefangen nahm. Thomas Wühr blieb nach dem Auftritt dann gleich sitzen und trat noch einmal als sein eigentlich beerdigtes Alter Ego Tom Wu singend am Schlagzeug an. Danach stand das Synthiepop-Trio Queen Of Japan auf der Bühne, und damit einer der zahlreichen Acts, zu denen Label-Chef Albert Pöschl selbst als Musiker gehört. Wobei er mit Perücke, Brille und Glitzer-Outfit kaum zu erkennen war.
Aber das war ja auch früher der Witz daran. Dass die inzwischen auf München, Bregenz und Berlin verteilten Pöschl, Hans Platzgumer und Catriona Shaw vor 20 Jahren mit Pseudonymen und Kostümen auftraten. Bis man irgendwann sogar in New York glaubte, dass sie in München gestrandete Japaner wären. Ihre Musik: Trashige Technopop-Versionen bekannter Hits wie „I Was Made For Lovin’ You“, den sie in einer leicht holprigen, aber sehr sympathischen Version nun zum Besten gaben. Vor ein paar Wochen kamen übrigens ein neuer und zwei noch nicht veröffentlichte Cover-Songs heraus. Anzeichen für ein größeres Comeback?
Das Gleiche könnte man sich bei den Moulinettes fragen. Die legendäre Band um Sängerin Claudia Kaiser hat kürzlich mit „Alter Mond“ ihren ersten Song und ihr erstes Video seit 20 Jahren veröffentlicht. Eine schöne, elegante Pop-Nummer, die sie zu siebt in fiktiven Raumanzügen vortrugen. Danach trat mit dem Duo Shinto ein weiterer Geist aus der Vergangenheit auf. Das lauteste Konzert? Das von The Grexits und der G.Rag/Zelig Implosion Deluxxe. Das leiseste? Das von Zwinkelmann. Und sonst gab es französischen Trash-Pop von Electronicat aus Paris. Vertracktes von Ippio Payo. Schmissigen Elektropop von Mosh Mosh. Oder gewitzten Krautpop von Das Weiße Pferd.
Zum Finale kamen für „Agonia“ von The Grexits dann noch einmal alle Musiker auf die Bühne. Und aus dem eigentlich düsteren Song wurde ein kakofonisch-witziges Happening, bei dem irgendwann alle „Und plötzlich ist es anders“ und „Anders in der Kammer“ sangen. In die Kammer, heißt nach drinnen, ging es dann auch noch, mit weiteren Auftritten von PCN, Rumpeln und Zoro Babel. Kein ruhiger Ausklang, sondern ein lauter, experimenteller, gefolgt von einer Echokammer-Disko mit Albert Pöschl als DJ. Wie wichtig er und sein Label für die Münchner Indie-Szene sind, das hat der Abend verdeutlicht. Und man darf gespannt sein, welche Abenteuer die nächsten 100 Alben bringen.