Süddeutsche Zeitung

Musik:Ein Mann der Extreme

Der norwegische Black-Metal-Sänger Gaahl tritt live im Münchner Backstage auf. Und in einer ARD-Dokumentation spricht er über seine Homosexualität.

Von Jürgen Moises

Als der norwegische Sänger Gaahl am 1. Februar 2004 mit seiner Band Gorgoroth in Krakau auftrat, floss Blut. Achtzig Liter sollen es gewesen sein. Zudem provozierte die Black-Metal-Band mit aufgespießten Schafköpfen ihr Publikum sowie mit zwei nackten Frauen und zwei Männern, die an Kreuzen hingen. Wenn man dann noch liest, dass Gaahl alias Kristian Eivind Espedal in Interviews das Anzünden von Kirchen guthieß und zweimal wegen Körperverletzung im Gefängnis saß, scheint das Bild vom bösen Black-Metal-Buben perfekt. Aber da gibt es auch noch Gaahl den Maler, der eine eigene Galerie in Bergen hat und an einer Frauenkleider-Kollektion beteiligt war. Gaahl, den Vegetarier und Weinkenner. Und Gaahl, den Homosexuellen, der 2010 auf der "Bergen Gay Galla" zum "Schwulen des Jahres" gekürt wurde.

Als einer der wenigen bekannten Homosexuellen ist der 47-Jährige seitdem für viele Musiker und Fans in der Black- oder Extreme-Metal-Szene ein Vorbild. Und ohne Zweifel ist er eine ihrer schillerndsten und widersprüchlichsten Figuren. Am 24. Oktober ist der Norweger in der Münchner Backstage-Halle mit seinem aktuellen Projekt Gaahls Wyrd zu Gast. Das Quartett gibt es seit 2015. Neben dem Sänger sind der Gitarrist Lust Kilman (Ole Walaunet), der Bassist Eld (Frode Kilvik) und Schlagzeuger Spektre (Kevin Kvåle) dabei. Die Musik ist wie bei Gorgoroth düster. Es gibt harte, flirrende Gitarren und donnernde Blastbeats. Aber es gibt auch leise, sehr atmosphärische Momente. Gaahls Gesang ist dunkel und raunend, aber es wird kaum noch gebrüllt.

Gaahls Wyrds Debütalbum "GastiR - Ghosts Invited" kam 2019 heraus und wurde in Norwegen zum Metal-Album des Jahres gewählt. Im letzten Jahr folgte die 5-Track-EP "The Humming Mountain". Inhaltlich geht es darin um die Schwingungen der Schöpfung. Und um nordische Mythen, wie dem von der Hexe, die sich von salzigem Eis ernährt. Da kommt der "nordische Schamane" durch, als den sich Gaahl bereits zu Gorgoroth-Zeiten bezeichnete. Ein Satanist sei er dagegen nie gewesen, und wenn überhaupt, sei "Satan" nur ein anderes Wort für "Freiheit". Im Black Metal seien Individualität und Wahrheit das höchste Gut. Und so habe er auch aus seiner sexuellen Orientierung nie ein Geheimnis gemacht. Sein 2008 erfolgtes Coming-out sei nur deswegen so spät erfolgt, weil er davor keine Beziehung hatte.

Die Rock- und Metal-Szene ist noch immer vorwiegend weiß, heterosexuell und männlich

Wie die Black-Metal-Szene darauf reagiert hat? Sehr offen, hat Gaahl vor drei Jahren in einem Interview gesagt. Diese sei "extrem liberal" und die Metal-Community überhaupt eine der offensten. Dass er zumindest keine persönlichen negativen Erfahrungen gemacht hat, das erzählt der Sänger auch in "Heavy Metal saved my life": Einer zweiteiligen Dokumentation, die vom 17. November an in der ARD-Mediathek zu sehen ist. Darin geht es um Metal als "Musik der Underdogs, der Ohnmächtigen", denen die harten Klänge unter anderem über Lebenskrisen hinweg halfen. Der zweite Teil dreht sich um "Queer-Metal", und Gaahl ist einer der Protagonisten. Neben ihm kommen unter anderen der Faith-No-More-Keyboarder Roddy Bottum, der sich bereits 1993 als homosexuell outete, und ein junger italienischer Transgender-Metal-Fan zu Wort.

Dass die Rock- und Metal-Szene noch immer vorwiegend weiß, heterosexuell und männlich ist, wird in der sehenswerten Doku nicht verschwiegen. Auch dass diese speziell für Frauen kein wirklich "sicherer Ort" ist, wie Roddy Bottum von Faith No More erzählt. Konkret bewusst sei ihm das bei einer Welt-Tournee mit Guns n' Roses geworden, wo es Backstage eigentlich nur um "Sex und Frauen" ging. Sein Outing sei damals auch ein Weg gewesen, um sich davon zu distanzieren.

Dass er ein wildes Rockstar-Leben führt, dachte man lange auch von Judas-Priest-Sänger Rob Halford. Bis er sich 1998 ebenfalls als schwul outete. Davon zu lesen, war wiederum für den italienischen Transgender-Metal-Fan ein das Leben veränderndes Erlebnis. Denn wenn der beste Metal-Sänger der Welt schwul ist: Warum sollte dann für ihn kein Platz in der Metal-Szene sein? Aber vielleicht wird ja eh zuviel Aufheben um das Geschlecht gemacht. Für Gaahl jedenfalls ist Sexualität nur eine von vielen "Energien" und bei weitem nicht die entscheidende. "Ich mag es eher, meinen Gesichtssinn zu benutzen", so der Sänger. Und die Energien, die Extreme? Die lasse er durch die Kunst, durch den Extreme-Metal hinaus. Ansonsten sei seine Regel heute: nur noch "das Gute" und "gute Menschen" um sich zu versammeln.

Gaahls Wyrd, live am Mo., 24. Okt., im Backstage (Reitknechtstr. 6). Die Doku "Heavy Metal saved my life" ist ab 17. Nov. in der ARD-Mediathek zu sehen.

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