Süddeutsche Zeitung

Musik aus München:Wahrnehmungssplitter

Die Musikerin, Schriftstellerin und Veranstalterin Mira Mann stellt in den Münchner Kammerspielen ihr Debütalbum "Weich" vor.

Von Jürgen Moises

In jedem Leben gibt es einschneidende Erlebnisse. Und so gut wie alle sind mit starken Gefühlen besetzt. Für die Münchner Musikerin, Schriftstellerin und Veranstalterin Mira Mann war einer dieser Momente der, als sie 2017 von der Diagnose Multiple Sklerose erfuhr. Ein weiterer war 2020 die Geburt ihres ersten Kindes. Wie bei kreativen Menschen häufig, hat sie darauf mit Kunst reagiert. Im ersten Fall geschah das 2019 mit dem Buch "Gedichte der Angst" und der Musik-EP "Ich mag das". Im zweiten war das im Februar bei Parasitenpresse erschienene Langgedicht "Kontrolle" die Folge. Das davon inspirierte Album "Weich" erschien am 24. Februar bei Kontrolle Records.

Am 3. März stellt die ehemalige Sängerin der 2017 aufgelösten Postpunk-Band Candelilla das Album nun live in den Kammerspielen vor. Als Verstärkung hat sie die Sängerin der Band Friends of Gas, Nina Walser, dabei, die verworfene Songtexte vorliest. Sowie den Produzenten Walter P99 Arkestra, der hinter Bands wie Gaddafi Gals steht und ein Solo-Live-Set spielt. Der in Zürich lebende Regisseur und Komponist Ludwig Abraham dürfte ebenfalls anwesend sein. Denn mit ihm hat Mann die EP "Ich mag das" produziert und nun auch ihre Solo-Debüt-LP "Weich".

Darauf zu hören sind zehn Stücke, deren Titel nur aus einem Wort bestehen. Der auf "Ich mag das" eingeschlagene Weg der Reduktion geht erkennbar weiter. Die Texte werden mit neutraler Stimme gesprochen. Sie verhandeln Themen wie Unruhe, Einsamkeit, Sehnsucht, wie die Titel verraten. Um die erwähnte Mutterschaft geht es direkt nie. Diese schwingt zwischen den Zeilen mit. Zu alldem gibt es Elektrobeats sowie atmosphärische, manchmal leicht aufbrausende oder kratzbürstige Synthie-Akkorde.

Ging es bereits auf der EP ums Sehen, Hören oder Berühren, so wirkt auch "Weich" wie ein fortdauernder Strom der Wahrnehmung oder Selbstvergewisserung. Das fängt mit den "sieben Nelken in einer durchsichtigen Plastikflasche ohne Etikett" in "Unruhe" an und geht mit Sentenzen wie "ich leg mich hin" in "Arbeit" weiter. Das "Ich" in den Texten wirkt oft wie eine Kamera, die ihre Gegend abscannt. Manches erweckt den Eindruck von Regie-Anweisungen, anderes von inneren Monologen oder Bildbeschreibungen. Ganz konkret gilt das für "Unschuld", das mit einer Beschreibung von Anthonis van Dycks Gemälde "Susanna im Bade" anfängt.

Die Kombination von Beats und Spoken Words lässt an Kae Tempest denken. Nur vermisst man etwas deren Flow und Furor. Und würden sich nicht immer wieder kleine Refrains oder fast "soulige" Momente als Anker herausschälen, verlöre man in den Wahrnehmungssplittern bald den Halt. Trotzdem: Ein Reinhören lohnt sich. Und mit etwas Mühe findet man hinter der spröden Oberfläche auch einen weichen Kern.

Mira Mann: Weich (Kontrolle Records), live am 3. März, Münchner Kammerspiele, Werkraum, Hildegardstraße 1

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