Hommage an Konstantin Wecker:Stürmer und Dränger

Hommage an Konstantin Wecker: Konstantin Wecker drängt es wieder auf die Bühne.

Konstantin Wecker drängt es wieder auf die Bühne.

(Foto: Thomas Karsten)

75 und kein bisschen müde: Konstantin Wecker spielt an drei Abenden im Circus Krone wieder seine Lieder eines lyrischen und pazifistischen Anarchisten.

Von Oliver Hochkeppel

Anfang Juli, kurz nach seinem 75. Geburtstag, versammelte Konstantin Wecker einige ausgewählte Pressevertreter bei sich zu Hause. Immer noch wohnt er mitten in Schwabing, immer noch ist der Mittelpunkt des Hauses der riesige Tisch und der Flügel, der gleich daneben steht. Das beschreibt vielleicht am schönsten die zwei prägenden Konstanten im Leben des Jubilars: Das Umsichscharen von Menschen zum friedlichen Diskurs hier, am besten mit Genuss und Tafelfreuden verbunden, und die Musik und Kunst im Allgemeinen dort.

Nicht, dass das eine immer harmonische Verbindung gewesen wäre, so wenig wie seine Karriere geradlinig verlaufen ist. Ein Feuerkopf voller Gegensätze war dieser Konstantin Wecker von Anfang an. Zwischen Macho-Bodybuilding und feinster Liebeslyrik. Zwischen Schwabing und Toskana, zwischen Betthase im "Krankenschwester-Report" und SS-Standartenführer in "Wunderkinder". Zwischen analytischer Schärfe und Drogenrausch. Zwischen Anarchie und Disziplin. Zwischen radikalem, auch jetzt im Ukraine-Krieg nicht wankendem Pazifismus und dem Annehmen jedes verbalen Scharmützels. Zwischen Klassik, Songwriting, Jazz, Kabarett, Film, Musical und Bloggen. "Liedermacher" ist ein schwacher Ausdruck für das Gesamtkunstwerk Konstantin Wecker. Zumal er inzwischen bekennt: "Meine Lieder waren immer klüger als ich."

Mit zwölf Jahren stand er erstmals im Scheinwerferlicht

Mit zwölf stand Konstantin Wecker als singender Knabe erstmals im Scheinwerferlicht, gleich als Solist im Gärtnerplatztheater, in Benjamin Brittens "Der kleine Schornsteinfeger". Die erste Gage hat er sogar schon fünf Jahre früher verdient. Da lag er mit Blinddarmdurchbruch im Klinikum rechts der Isar und sang in den Krankenzimmern "La donna é mobile" - gegen Süßigkeiten. Die Gesangsleidenschaft kam vom Vater: "Der hat immer Opern geträllert, und ich hab dann angefangen, das nachzusingen." Von der Mutter kam die Lust an der Sprache: "Sie liebte Gedichte, besonders Balladen und hatte immer eines auf den Lippen, Goethe, Schiller, Fontane. Sie konnte alles auswendig und hat es bei der Hausarbeit vor sich hingesagt. Das hat mir schon als kleiner Bub gefallen, und deshalb habe ich früh das Schreiben angefangen. Gedichte schreiben."

Anfangs waren die beiden Welten noch getrennt. Wecker begann mit Klassiker-Bearbeitungen, Uhland beispielsweise, parallel dazu lief die solide musikalische Ausbildung im Rudolf-Lamy-Chor und mit Instrumentalunterricht, Klavier vom sechsten Lebensjahr an, danach auch Geige und Gitarre. Erst mit 19 fing er an, die eigenen Gedichte zu vertonen. Weil ihm der kleine Dichterzirkel von Mitschülern am Wilhelmsgymnasium als Resonanzkörper bald nicht mehr ausreichte. Er wollte Publikum, und so kombinierte Wecker seine Talente. Die Einzigartigkeit dieser Mischung hat niemand Geringeres als Carl Orff einmal auf den Punkt gebracht. Vor über 40 Jahren kam es zur Begegnung mit dem Schöpfer der von Wecker heiß geliebten "Carmina Burana", bei der dieser ihn aufforderte: "Spiel was, Bua!" Um nach einer Kostprobe von "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist" zu dem Urteil zu gelangen: "Ein Schubert bist du nicht. Ein Mozart auch nicht. Ich glaub', du bist der Wecker!"

Obwohl das mit dem Mozart dem Wecker wohl schon gefallen hätte. Sein erstes Album von 1973 hieß "Die sadopoetischen Gesänge des Konstantin Amadeus Wecker". Kein großer Erfolg, zumal in den Ausläufern der Schüler- und Studentenrevolten. Da war Wecker zwar dabei, "aber das hatte bei mir mehr Spaßcharakter. Ich war nicht besonders politisiert. Ich sah mich als Dichter, also mehr Rimbaud als Dutschke." Zum politischen Liedermacher wurde Wecker eher durch Zufall. "Meine Sachen kamen in den Kleinkunstbühnen wie dem Song Parnaß nicht so gut an. Aber in der Schwulenbar der Chansonnette Micaela. Die habe ich begleitet, und sie hat mich intensiv zu Brecht und Hollaender geführt."

Der "Willy" war Segen und Fluch zugleich

Bald darauf ist ihm dann "Der Willy" passiert. Das Lied über den totgeschlagenen Widerständler, gleichzeitig ein Abgesang auf das, was aus der 68er-Bewegung wurde, ist bis heute sein berühmtestes. Entstanden während einer Probe mit seinem "Team Musikon" in einem Nebenraum an einem alten Klavier, binnen einer Viertelstunde. "Meine Musiker haben mich dann gezwungen, das eigentlich private, für mich atypische Lied mit auf die Platte zu nehmen." Fortan war Wecker auch ein politischer Sänger. Und der "Willy" Segen und Fluch zugleich: "Manchmal haben sie schon während 'Wenn der Sommer nicht mehr weit ist' reingerufen und den Willy verlangt." Lange hat ihn Wecker deshalb nicht mehr gespielt. Inzwischen gibt er ihn wieder, aber mit einem neuen, aktualisierten Text.

Die von Drogen-Prozess und Beinahe-Bankrott nur kurz bedrohte Tatkraft hat Wecker nie verlassen, im Gegenteil. Neben seinen Tourneen bloggt Wecker, er schreibt Bücher (mehr als 30 sind es inzwischen), nach früheren Lehraufträgen ist er seit 2018 Gastprofessor an der Universität Koblenz-Landau. Erst vor zwei Wochen ist sein neues Album "Utopia" erschienen, eine Doppel-CD seines letzten, "für mich wichtigsten Bühnenprogramms" als Live-Mitschnitt. Und dann ist da auch noch sein 2013 gegründetes Label "Sturm & Drang", das zur Plattform für gleichgesinnte jungen Liedermacher und Songwriterinnen wie Tamara Banez, Arjon Capel, Shekib Mosadeq, Miriam Hanika, Josef Hien, Roger Stein, Sarah Straub, Vivid Curls und gerade auch noch Lucy van Kuhl geworden ist.

Mit vielen von ihnen hätte es im Juni einen Label-Festival-Abend geben sollen. Das fiel dann aber ebenso aus wie etliche Termine seiner Geburtstagstour. Wegen der Corona-Auflagen und -Folgen, weil ihn der Virus dann selbst erwischte, und weil selbst an einem Berserker wie ihm das Alter nicht spurlos vorüber geht. Im positiven Sinne, wenn er konstatiert, dass ihm sein Ego heute nicht mehr so wichtig ist wie früher, aber auch im negativen: Beim Termin in Schwabing plagten ihn starke Rückenschmerzen, auch deswegen gab es Absagen. Jetzt freilich ist er wieder unterwegs, und für die drei Konzerte im angestammten Circus Krone mit bewährten Weggefährten wie dem Pianisten Jo Barnikel oder der Cellistin Fany Kammerlander würde er wohl sogar die nächtlichen Konzertnachbereitungen opfern und sich Cortison spritzen lassen. Auf der Bühne sind alle Malaisen dann sowieso wie weggeblasen. Wegen des Adrenalins. Und wegen dieses unstillbaren Drangs, der sich im Titel seiner Geburtstagstournee ausdrückt: "Ich singe, weil ich ein Lied hab".

Konstantin Wecker, Fr. bis So., 28. bis 30. Okt., 20 Uhr, Circus Krone, Marsstraße 43, Telefon 089/21837300

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