Kommunalwahl 2020:Warum Wahlkampf viel mehr ist als Gratis-Gummibärchen

Kommunalwahl in München 2020

Wahlen bieten immer die Gelegenheit, direkt mit Politikern in den Dialog zu kommen.

(Foto: Catherina Hess)

Schon das Wort entlockt vielen Menschen nur ein müdes Gähnen. Dabei sind Wahlkämpfe unverzichtbare Kulminationspunkte einer Demokratie. Das lässt sich in den nächsten Wochen besonders intensiv beobachten.

Von Dominik Hutter

Sein Ruf, das ist unübersehbar, ist nicht der beste. Wahlkampf gilt als abgedroschen. Als vorhersehbares Polit-Gehaue und gnadenlose Selbstdarstellung eitler Phrasendrescher. Wobei das Prinzip Selbstdarstellung doch ziemlich genau dem Sinn eines Wahlkampfes entspricht: Politiker und ihre Ziele bekannt machen, damit jeder weiß, wen er wählen soll. Interessanterweise verwenden aber selbst Stadträte "Wahlkampf" als Negativbegriff. Kurz vor Weihnachten, in einer überspitzt giftigen Debatte im Rathaus, warfen sich Münchens Kommunalpolitiker gegenseitig vor, ihre Redebeiträge dienten nur diesem einen Zweck: Wahlkampf zu machen. Gerade so, als wäre das ehrenrührig, ja eigentlich schon eine Unverschämtheit.

Natürlich, nervige Auswüchse gibt es sehr wohl im politischen Geschäft, das seinen Akteuren ja lediglich Zeitverträge zugesteht - mit der sehr realen Gefahr, nach der Wahl ohne Verlängerung dazustehen. Oft wird debattiert aus reiner Lust an der Kontroverse, über Dinge, die schon zigfach an gleicher Stelle durchgekaut wurden. Die Medien sind daran nicht ganz unschuldig, denn sie sind es ja, die bevorzugt die besonders zugespitzten, manchmal schon fast aggressiven Wortbeiträge weitertransportieren. Weil die erfahrungsgemäß viel lieber gelesen werden als das Abwägende, Kompromiss-Suchende.

Kommunalwahl 2020: Manchen Wählerinnen und Wählern wird erst durch die vielen Plakate in der Stadt bewusst, dass eine wichtige politische Entscheidung ansteht.

Manchen Wählerinnen und Wählern wird erst durch die vielen Plakate in der Stadt bewusst, dass eine wichtige politische Entscheidung ansteht.

(Foto: Catherina Hess)

München steht am Beginn der heißen Wahlkampfphase. Am Dreikönigstag finden die traditionellen politischen Treffen von SPD und CSU statt. Die einen tagen im Hofbräukeller am Wiener Platz mit Oberbürgermeister Dieter Reiter als Hauptredner. Die anderen im Augustiner in der Fußgängerzone, sie haben Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sowie OB-Kandidatin Kristina Frank auf dem Programm. Diese Termine gelten als Auftakt.

Einen Tag später starten auch die Grünen offiziell - mit einer Stadtversammlung und dem Beginn des Haustürwahlkampfes. Danach bleiben noch zehn Wochen bis zur Wahl am 15. März. Falls dann keiner der Kandidaten fürs Oberbürgermeisteramt eine absolute Mehrheit errungen hat, folgt eine zweiwöchige Verlängerung bis zur Stichwahl.

Kommunalwahl 2020: An der Kommunalwahl 2014 haben in München nur 42 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen.

An der Kommunalwahl 2014 haben in München nur 42 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen.

(Foto: Catherina Hess)

Zeit für eine Ehrenrettung also, eine Ehrenrettung des Prinzips Wahlkampf. Denn Wahlkämpfe sind unverzichtbare Kulminationspunkte der Demokratie. Zu keinem anderen Zeitpunkt bekommt man mehr Politiker zu Gesicht. Sei es am Infostand irgendwo auf der Straße, bei Veranstaltungen oder virtuell im Internet. Manchmal auch vor der eigenen Haustür, viele Kandidaten ziehen klingelnd durch die Wohnblöcke. Die Münchner können dann ihre Stadträte und die, die es werden wollen, direkt darauf hinweisen, wo es drückt. Oder nachfragen, warum dies und jenes so beschlossen wurde, wie es beschlossen wurde. Das ist nämlich manchmal etwas komplizierter und detailreicher als es die Empörungsmaschinerie der sozialen Medien vorgaukelt. Dort werden gerne Politiker an den Pranger gestellt, die missliebig abgestimmt haben - und sollte überhaupt eine Begründung für deren Verhalten mitgeliefert werden, ist sie so eingefärbt, dass sie die Haltung des Autors bestätigt.

Manchmal ist es auch interessant, den Oberbürgermeister oder diejenigen, die ihm sein Amt abjagen wollen, einfach in Natura zu Gesicht zu bekommen. Das Ganze setzt voraus, dass Politiker wie Passanten rede- und diskussionsbereit sind - was selbst an Infoständen nicht grundsätzlich vorausgesetzt werden kann. Manchmal sind auch Wahlkämpfer froh, wenn es kurz, schmerzlos und unpersönlich abläuft. Wenn sich der Bürger mit der Mitnahme der Broschüren begnügt. Immerhin: Vielleicht gibt es Gratis-Gummibärchen, Schokolade oder einen Kugelschreiber abzustauben. Besonders wichtig ist diese Form der Selbstdarstellung für kleinere Gruppierungen, die im Stadtrats-Alltag oft ein wenig untergehen. Das liegt daran, dass sie - vor allem wenn sie in der Oppositionsrolle sind - oft nur wenig bewirken können. Und dass sie in der Medienberichterstattung schlicht unten durchfallen. Aktuell sind zwölf politische Farben im Rathaus vertreten. Will man wirklich immer wissen, was jede einzelne davon zu jedem Thema zu sagen hat?

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Regelmäßig ploppen im Wahlkampf auch Themen auf, die sonst in den vom Korsett der Tagesordnungen geprägten Stadtratssitzungen nicht oder nur selten vorkommen. 2014 etwa, bei der letzten Kommunalwahl, startete die CSU eine Kampagne zu Münchner Schultoiletten, in der es letztlich ganz allgemein um den baulichen Zustand der Schulhäuser ging. Dieser Missstand hatte in den Jahren zuvor nur eine untergeordnete Rolle spielt - nach der Wahl startete das neue rot-schwarze Bündnis ein milliardenteures Schulbauprogramm.

Oder das Kohlekraftwerk im Münchner Norden: Jahrelang hatten allenfalls Eingeweihte auf dem Schirm, dass die zu 100 Prozent kommunalen Stadtwerke in Unterföhring Steinkohle verbrennen, um Strom und Fernwärme zu erzeugen. Für die ÖDP war das Thema im Wahlkampf 2014 so wichtig, dass sie daran das rechnerisch mögliche Regierungsbündnis mit SPD und Grünen scheitern ließ. Im Kielwasser der bundesweiten Kohleausstiegsdebatte folgte ein Bürgerentscheid, der dank der letztlich konstruktiven Mithilfe der Rathausmehrheit dazu führte, dass das Kraftwerk so früh wie möglich abgeschaltet wird und bis dahin mit gedrosselter Leistung läuft.

Kommunalwahl 2020: Wahlplakate werden oft als nervig empfunden, sie dienen aber als Info-Quelle darüber was die jeweiligen Parteien mit der Stadt vorhaben.

Wahlplakate werden oft als nervig empfunden, sie dienen aber als Info-Quelle darüber was die jeweiligen Parteien mit der Stadt vorhaben.

(Foto: Catherina Hess)

Wahlkampf zwingt die Parteien dazu, sich mit sich selbst und den eigenen politischen Zielen auseinanderzusetzen. Und das möglichst breit aufgestellt und kreativ. Zu "normalen" Zeiten können die Fraktionen und Gruppierungen ihre politischen Ideen vor allem mit Anträgen ausleben. Die gehen allerdings oft in der Masse unter - oder verebben, weil es meist recht lange dauert, bis sie auf der Tagesordnung einer Stadtratssitzung auftauchen. Vor Wahlen fühlen sich alle gezwungen, ein Programm auszuarbeiten, das ein möglichst breites Spektrum abdeckt. Das ist nicht nur für die Wähler interessant und erhellend. Sondern auch für die Politiker, die Lösungsansätze auch für Themen ausarbeiten müssen, die sonst eher im Schatten stehen.

Zu den Spezialitäten des Wahlkampfes zählen auch Diskussionsveranstaltungen. Wann sonst haben die Münchner so viele Gelegenheiten, an Live-Debatten über strittige kommunalpolitische Themen teilzuhaben und dabei Argumente zur Meinungsbildung mit nach Hause zu nehmen? Zugegeben: Oft sind die Podien nicht sehr ausgewogen besetzt, weil der Veranstalter ja vor allem Kompetenz und Engagement der eigenen Partei präsentieren will. Aber im günstigen Fall gewinnt man ein paar neue Kenntnisse. Und sei es nur, dass diese oder jene Partei in keinem Fall wählbar ist.

Kommunalwahl 2020: Wahlkampf zwingt die Parteien dazu, sich mit sich selbst und den eigenen politischen Zielen auseinanderzusetzen.

Wahlkampf zwingt die Parteien dazu, sich mit sich selbst und den eigenen politischen Zielen auseinanderzusetzen.

(Foto: Catherina Hess)

Als Info-Quelle dienen auch die oft als nervig empfundenen Plakate, die Politiker-Konterfeis und aktuelle Themen in die eigene Wohnstraße bringen. Gut möglich, dass viele Münchner nur so eine Vorstellung erhalten, wer sie da im Rathaus am Marienplatz vertritt und was zum Beispiel die FDP zum Thema Radverkehr zu sagen hat.

Mancher erfährt überhaupt erst durch die Flut an Plakaten, dass eine Wahl ansteht. Man darf keineswegs unterschätzen, wie viele Leute in ihrem Alltag keinerlei Interesse an großer und "kleiner" Politik zeigen. An der Kommunalwahl 2014 haben in München nur 42 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen. Da kann es kein Fehler sein, ein bisschen Wahlwerbung in die Öffentlichkeit zu tragen.

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