Die Handball-Eltern des TSV Forstenried müssen aufpassen, dass kein Mädchen oder Bub verloren geht. Der Verein trainiert mit seinen Mannschaften gerade in fünf verschiedenen Hallen, und es gibt Familien, die drei Kinder in verschiedenen Mannschaften haben. Den Überblick zu behalten, wer gerade wo hinmüsse und wer wo abzuholen sei, sei nicht ganz einfach, sagt Abteilungsleiter Manfred Wöhrl. Dazu kommt der logistische Aufwand. "Wir sind gut am Fahren."
Hallen-Kapazitäten sind in München überall knapp, und der TSV Forstenried ist ein engagierter Verein in einer Extremsituation, weil die eigene Halle saniert wird. Doch gerade deshalb wird an seinem Beispiel besonders deutlich, was für die Handballer in der Stadt und für viele andere Sportler gilt: "Der Flächendruck ist ständig zu spüren", sagt Abteilungsleiter Wöhrl.
Zwei Interessensgruppen ringen um die knappen Hallenplätze in der Stadt: Breitensportler und Leistungssportler. Profiklubs oder deren ausgelagerte Abteilungen sind gewissermaßen außen vor - Kimmich und Kollegen finden auch ohne kommunale Hilfe ein Plätzchen zum Üben.
Die Stadt sieht ihre Kernkompetenz vor allem darin, ihren Bürgern - unabhängig von deren Fähigkeiten - sportliche Aktivitäten auf vielfältige Weise zu ermöglichen. Das reicht von der Koronargruppe über den auch unter sozialen Gesichtspunkten bedeutsamen Bereich Jugendsport bis hin zu den Fechtern des MTV München. Laut Statistik treiben derzeit 597 085 Menschen organisiert in 700 Vereinen Sport, wie die Stadt mitteilt.
Trotz aller Bemühungen bleibt so manche Begehrlichkeit unberücksichtigt - auf dieses Problem stößt man schnell, wenn man mit Vereinsvertretern spricht. Die Forstenrieder Handballer träumen zum Beispiel davon, dass ihre Halle diesen Sommer endlich fertig wird. Und ebenso davon, dass sie dann in allen Altersklassen der Jugend zwei Mannschaften anbieten können. Der erste Traum könnte in Erfüllung gehen, der zweite eher nicht, so schätzt es Abteilungsleiter Wöhrl ein. Genügend interessierte Kinder gäbe es, da ist er sicher. Aber auch mit der dann frisch sanierten Vereinshalle "werden die Kapazitäten nicht reichen". Der Verein muss dann erst mal das Puzzle lösen, wer wann in die Halle darf: die Volleyballer, die Handballer, die Basketballer. Wer muss hier seine Punktspiele austragen, weil die Verbandsvorschriften unabänderliche Vorgaben machen? Wer kann ausweichen?
Aktuell gibt es laut Stadt 383 Sporthallen mit insgesamt 477 sogenannten Halleneinheiten. Diese verteilen sich auf 33 Dreifachturnhallen, 28 Doppelsporthallen, 93 Kleinsporthallen und 229 Einfachhallen. Trotz der Reduzierung der in die Jahre gekommenen kleinen Turnhallen, die sich zudem für viele Sportarten nicht eignen, plant München, das Kontingent an Halleneinheiten zu erhöhen. Die Anzahl an Einfachhallen wird auf 205 schrumpfen, die der Kleinsporthallen auf 84. Dafür wird das Kontingent der Doppelsporthallen auf 74 fast verdreifacht, das der Dreifachhallen auf 61 nahezu verdoppelt. Es wird also weniger Hallen geben, aber 156 Einheiten mehr als jetzt - insgesamt werden es dann 633 Einheiten sein. Die Baumaßnahmen erfolgen weitgehend im Zuge der bislang drei städtischen Schulbauprogramme, die etwa 2030 abgeschlossen sein sollen.
Die Aktiven müssen also Geduld aufbringen. Besonders von 17 Uhr (Ende des Schulunterrichts) bis 21.30 Uhr sind die Hallen stark ausgelastet. Freie Kapazitäten gibt es meist erst im letzten Zeitfenster von 21.30 bis 23 Uhr - für Kinder und Jugendliche kaum attraktiv. Verschärft wird die Lage, wenn Schulturnhallen anderweitig belegt sind oder wegen Sanierung nicht zur Verfügung stehen.
Dennoch sei "die Gesamtsituation zufriedenstellend", heißt es aus dem Referat für Bildung und Sport: Allen Vereinen könne "ein angemessener Spiel- und Trainingsbetrieb ermöglicht werden". Diese Meinung teilen nicht alle Klubs. Besonders im Jugendbereich wird viel improvisiert.
Gerade wenn Großereignisse stattfinden, steigen die Mitgliederzahlen. Derzeit versucht die Handballnationalmannschaft bei der EM die seit Längerem angepeilte Medaille einzufahren. Schon die Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr hatte in München positive Effekte. Obwohl das deutsche Team nicht einmal in der Olympiahalle spielte, war diese mehrmals ausverkauft, was das allgemeine Interesse an der Sportart bewies und gleichzeitig Indiz für eine große Handballgemeinde in München war. Die Vereine jedenfalls spürten durchaus einen Schub.
Dominik Klein, 2007 Weltmeister mit Deutschland und mittlerweile für Marketing und Talentförderung beim Bayerischen Handballverband (BHV) zuständig und als ARD-Experte aktiv, weiß um diese Effekte: "Da haben wir Geschichte geschrieben. Es gab teilweise Vereine, die keine Kinder mehr aufnehmen konnten. Das ist natürlich eine Katastrophe für einen Sport." Der TSV Forstenried schaffte es sogar, seine Mitgliederzahl zu erhöhen, obwohl die Halle im Gymnasium Fürstenried-West seit rund zwei Jahren saniert und der Betrieb auf so viele Hallen verteilt werden musste.
"Alternative Konzepte" der Hallennutzung
30 Vereine bieten in München Handball an, etwa 5000 Aktive gibt es. Besonders der TSV Allach macht derzeit auf sich aufmerksam, dessen A-Junioren als erste bayerische Mannschaft in die Endrunde um die deutsche Meisterschaft eingezogen sind. Zwei Hallen hat der Stadtbezirk Allach-Untermenzing zu bieten, beide sind zu 90 Prozent ausgelastet, teilt das Sportreferat mit, wobei die Dreifachhalle an der Eversbuschstraße weitgehend von den Allacher Handballern genutzt werde. Angesichts der gewachsenen Ansprüche der A-Jugendlichen, die viermal pro Woche trainieren, stößt der Klub an Grenzen.
Der TSV-Vorsitzende Rudolf Kreitmair will aber nicht zu sehr "auf hohem Niveau jammern, vielen Vereinen geht es schlechter als uns". Gleichwohl will er seine Jugend auf diesem Leistungsniveau etablieren. Dafür würde er weitere Kapazitäten begrüßen. Vielleicht müsse man "über alternative Konzepte nachdenken", sagt Kreitmair, etwa nicht-städtische Hallen. Schulsport gehe vor, aber solche Sportstätten würden mehr Möglichkeiten eröffnen. Zumal im Handball weniger Sportler eine ganze Halle benötigen als etwa im Turnen. "Da bringt man mehr Sportler unter", sagt Kreitmair.
Dominik Klein sieht die Stadt in der Pflicht: "Wenn sich die Stadt zum Handball bekennt, auch dem höherklassigen, dann benötigt man mehr Hallenzeiten und Kapazitäten." Dazu zählt auch eine große Halle für etwa 2500 Zuschauer, die eventuell anstelle des alten Eissportzentrums im Olympiazentrum entstehen könnte.