Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl:Wie Münchner Parteien um die Macht im Rathaus kämpfen

  • Die Kommunalwahl am 15. März entscheidet, wer die München bis 2026 regiert.
  • SPD, CSU und Grüne setzen dabei auf sehr unterschiedliche Strategien.
  • Von sechs Jahren Rot-Schwarz profitieren offenbar nur die Sozialdemokraten, die CSU muss angreifen wie aus der Opposition.
  • Die Grünen setzen derweil auf eine bekannte Strategie.

Von Heiner Effern und Dominik Hutter

Als sich die kleine Gruppe von Sozialdemokraten das erste Mal trifft, ist gerade das Jahr 2018 angebrochen. Es steht eine existenzielle Wahl bevor, eine Überlebens-Wahl für die Münchner SPD. Soweit sind sich die Mitglieder einig. Es gilt jedes Detail zu beachten, es darf nichts schiefgehen. Allerdings macht sich der strategische Kreis keine Gedanken über die im Herbst 2018 anstehende Landtagswahl. Und auch nicht über die im Sommer 2019 angesetzte Europawahl. Die muss man über sich ergehen lassen, nicht ahnend, dass beide so schlimm für die Sozialdemokraten auch in München ausgehen. Um so wichtiger, dass die Gruppe um den Münchner Vize-Parteichef Roland Fischer alles versucht, dass das nächste Mal nichts schief geht: bei der Kommunalwahl am 15. März 2020.

Wenn Roland Fischer nun zurückdenkt an diese zwei Jahre, hat er das Gefühl, dass der frühe Start ein großes Glück war. Denn schon allein die Analyse der Ausgangslage war ernüchternd. Die Stimmung, die von Bund und Land geprägt wird: eine Vollkatastrophe. Dazu hatte die Münchner SPD bei der letzten Kommunalwahl 2014 zwar ihren neuen Kandidaten Dieter Reiter als Oberbürgermeister durchsetzen können, aber bei der Stadtratswahl fast neun Prozentpunkte verloren. Auf der Habenseite gingen die Beliebtheitswerte von Reiter als OB mehr durch die Decke als es auch die größten Optimisten unter den Sozialdemokraten vermutet hätten. Ein Pfund, mit dem man wuchern kann. Das Alleinstellungsmerkmal. Regierungspartei und OB.

Die CSU hat mitregiert, hat aber kaum einen Amtsbonus. Sie muss angreifen wie aus der Opposition, weil gemeinsame Erfolge oft dem Mann an der Spitze zugeschrieben werden. Die Grünen wiederum müsse nichts gut finden an den vergangenen sechs Jahren, bei allen langwierigen Problemen wie beim Verkehr und den Mieten müssen sie allerdings als Opposition Versäumnisse angehen, die sie vor 2014 in der Stadtregierung mitverantwortet haben.

Die CSU, die im aktuellen Kristina-Frank-Wahlkampf dieselbe Agentur beauftragt hat wie 2014 bei Josef Schmid, setzt auf ein mehrstufiges Verfahren und schließt in dieser Woche Phase eins ab. Die Kennenlernphase sozusagen, bei der die Partei mit ihrem Slogan ins Gespräch kommen will. Wieder München werden: Der oft belächelte Spruch hat in den Augen von OB-Kandidatin Frank genau das bewirkt, was er sollte. Er ist sperrig und provoziert, die Leute reden darüber - positiv wie negativ. Dahinter steckt ein klassisches Wahlkampfprinzip: Nichts ist schlimmer, als nicht beachtet zu werden. Frank berichtet, dass sie immer wieder gefragt wird, was die CSU eigentlich meint mit dem Slogan, im Fachjargon "Claim". Und das sie gerne zurückfragt, ob dem gegenüber denn die "Claims" des politischen Gegners ein begriff sind. Was, wie sie erzählt, erfreulich selten der Fall sei.

"Am Sonntag zünden wir Stufe zwei", berichtet Frank. Die thematische Phase, in der unter der Überschrift "Schluss mit ..." erst angeprangert wird, was man ändern müsse. "Zeit für ... " kennzeichnet dann den Lösungsvorschlag. Phase drei kurz vor der Wahl dient dem Bekanntmachen der Spitzenkandidatin, dann werden vor allem Porträts plakatiert. Nebenher läuft die Kampagne zum Thema Mobilität, die auch ganz bewusst auf Provokation setzt. Dass vor allem Radfahrer mit politischem Sendungsbewusstsein stinksauer sind über den angeblichen "rot-grünen Radl-Irrsinn", der auf Plakaten prangt, ist durchaus beabsichtigt. Hauptsache, es wird darüber gesprochen.

Auch der "Wieder München werden"-Spruch dient erklärtermaßen diesem Zweck. Die CSU vermisst eine Art Positionierung der Münchner: Wie soll München in Zukunft eigentlich sein und aussehen? Natürlich kann die Antwort vieler Mitdiskutanten ganz anders ausfallen, als es sich die CSU vielleicht wünscht. Aber: Die Debatte wurde angestoßen, die Grundsatzfrage ist gestellt. Es sei klar gewesen, dass das Widerspruch provozieren würde, ist aus CSU-Kreisen zu hören. Aber darum gehe es ja auch.

Die Grünen zum Beispiel gehören zu denen, die irritiert bis belustigt sticheln: Welches München wolle denn die CSU, die gerade sechs Jahre regiert habe, denn zurück? Das rot-grüne aus den 24 Jahren zuvor? Dass die CSU zudem mit ihren Attacken auf die grüne Rad- und Verkehrspolitik das eigene Thema am Laufen hält, stört auch niemanden. Die Grünen gehen in den Kommunalwahl mit der Taktik und der Agentur aus der Landtagswahl. Eigene Themen setzen, sich nicht an anderen abarbeiten wie es die CSU gerade macht, positives Lebensgefühl ausstrahlen. Dazu hält der politische Rückenwind an, Umwelt- und Klimaschutzpolitik dominieren die Politik. Der Vorwurf, sich nur als Wohlfühlpartei zu positionieren, sei absurd, sagt der Münchner Stadtchef Dominik Krause. Man setze auf Themen, zeige klare Haltung für Demokratie und gegen Rechtsextremismus, man müsse dabei aber nicht immer griesgrämig schauen. Für den OB-Wahlkampf von Katrin Habenschaden und ihrer Partei gibt es nur diese eine, gemeinsame Strategie.

Die Bildsprache auf den Plakaten soll sich mit ihrer Anlehnung an die Pop-Art-Kunst abheben von der Konkurrenz. Dazu wollen die Grünen wieder mehr Klingeln putzen als alle anderen. Habenschaden kündigte den größten Haustürwahlkampf an, den München je gesehen hat.

Auch die SPD wird an den Haustüren läuten. Die Leute sollen wissen, dass die SPD in München noch lebt nach den letzten schlechten Wahlergebnissen. Auch dafür analysierte die SPD alle Daten, die sie über München zusammentragen konnte, und erstellte ein detailliertes Profil der Stadt. Straßenzüge, in denen viele Eltern mit Betreuungsproblem wohnen. Gelber Kreis drum. Eine Region, in der viele bedürftige ältere Menschen wohnen. Lila Kreis. Gut für den Wahlkampf, gut auch fürs Weiterregieren, wenn das Ergebnis passt.

Präsenz bei den Menschen zeigen, Kümmerer sein, lautet die Strategie. Dazu passend erfolgte eine Neuausrichtung der Politik in den vergangenen eineinhalb Jahren: Die SPD entdeckte die Umwelt, die München-Zulage für die städtischen Angestellten wurde verdoppelt, das Essen für Senioren in den Service-Zentren gratis, die Kita-Gebühren fielen. Der Kampf gegen die hohen Mieten wurde fortgeführt. "Wir kaufen uns die Stadt zurück", gab Reiter als Devise aus. Dazu soll die Kampagne OB Reiter und seine Partei eng verknüpfen, damit die Münchner verstehen, dass sie Reiter nicht nur wählen, sondern auch eine starke Fraktion an die Seite stellen sollten. Mut machen, Präsenz zeigen, und endlich mal Geschlossenheit, wie es die CSU noch vor jeder Wahl geschafft hat, egal wie sich ihre Protagonisten vorher gefetzt hatten. Und die bescheidenen Trends aus Bund- und Land abschütteln.

Akribisch wurde am Programm gearbeitet, als Regierungspartei soll es realistisch ausfallen. Eine Agentur wurde angeheuert, die das alles auf die Straße bringen sollte, doch der OB war nicht glücklich mit ihren Vorschlägen. Er wollte wechseln, die Partei zog mit. Im September 2019 wurde in einer Gewaltaktion ein halbes Jahr vor der Wahl eine neue Agentur engagiert. Es darf keine Trennlinie zwischen Reiter und der Partei geben. Der OB suchte dann auch den Hauptslogan für die Wahl aus, und wurde bei der in München nicht sehr beliebten Bundestagsfraktion fündig, die ihre Bilanz von 2013 bis 2017 so getitelt hatte: "Gesagt. Getan. Gerecht." Diese drei Worte sollen den Münchnern klar machen, warum sie nach gut zwei Jahren Wahlkampf der SPD ihre Stimme geben sollen.

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Quelle:
SZ vom 31.01.2020/sim
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