Inzidenz-Chaos in München:Vorausschauende Planung? Nicht beim Gesundheitsreferat

Die seit Wochen zu niedrigen Inzidenz-Zahlen in München tragen zur Verunsicherung bei und lassen die Menschen unvorsichtig werden. Das darf nach fast zwei Jahren Pandemie nicht passieren.

Kommentar von Anna Hoben

Ja, die Sieben-Tage-Inzidenz hat heute eine andere Bedeutung als noch vor einem Jahr. Sie ist nicht mehr das Maß aller Dinge, dank der Impfungen. Trotzdem ist die Inzidenz noch immer ein wichtiger Wert, der zeigt, wie sich das aktuelle Infektionsgeschehen darstellt. Viele Menschen orientieren sich in ihrem alltäglichen Verhalten auch an ihm. In einer Zeit, da sich die vierte Welle der Corona-Pandemie bedrohlich auftürmt, ist es deshalb fatal, wenn die Stadt über Wochen hinweg Zahlen meldet, die offensichtlich stark von der Realität abweichen.

Diese Zahlen vermitteln ein falsches Bild. Ist München eine Insel, auf der die Pandemiebewältigung besonders gut gelingt? Das kann man sich fragen, wenn man zurzeit auf die vermeintlich rückläufigen Zahlen schaut. So ist es aber nicht. Die Wurzel des Problems liegt in der Berechnungsmethode des Robert-Koch-Instituts, sie "belohnt" besonders langsame Wege durch die Behörden mit einer niedrigeren Inzidenz. Wenn eine Meldung aber mehr als eine Woche bis nach Berlin braucht, fällt sie komplett aus der Inzidenz heraus. Zurzeit sind die aktuellen Werte überall in Deutschland zu niedrig. In München ist die Abweichung aber extrem groß. Und sie ist im Lauf des Oktobers deutlich gewachsen. Zu viele Fälle, zu wenig Personal, sagt das Gesundheitsreferat.

Nach fast zwei Jahren Pandemie darf das nicht passieren, nicht in diesem Ausmaß und nicht über einen so langen Zeitraum. Das ist auch aus den Äußerungen von Oberbürgermeister Dieter Reiter herauszulesen. Schon vor Wochen habe er die Verwaltung aufgefordert, alles zu tun, um auch bei den extrem hohen Infektionszahlen eine zeitnahe Kontaktnachverfolgung sicherzustellen. Es sei nicht akzeptabel, dass es derzeit nicht zuverlässig gelinge, das Infektionsgeschehen darzustellen. Seit Montag sind nun wieder Bundeswehrkräfte zur Unterstützung im Einsatz. Doch was war denn in der Zwischenzeit passiert? Nach vorausschauender Planung sieht das eher nicht aus.

Ja, die Aufgaben des Gesundheitsreferats sind enorm in einer großen Stadt wie München. Aber das Infektionsgeschehen hat sich nicht erst von gestern auf heute zugespitzt. Und eben auch nicht zum ersten Mal. Daten und Zahlen helfen, die Pandemie besser zu verstehen, sie helfen, entsprechend zu handeln. Wenn die Zahlen aber wochenlang völlig danebenliegen, trägt das zur Verunsicherung unter den Bürgerinnen und Bürgern bei. Im schlechtesten Fall führt es dazu, dass die Menschen sich unvorsichtiger verhalten als sie es angesichts der echten Inzidenz tun würden. Und das kann im Hinblick auf die sich zuspitzende Situation in den Kliniken niemand wollen.

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