Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Die Schickeria ist für alle da

In Syrien sind die Schickimicki-Leute Söhne und Töchter von Politikern und Staatsbeamten. Hier in München kann jeder so werden - was diese Leute erträglicher macht.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Münchner Hofgarten, eine Dame mit Kinderwagen neben mir auf einer Bank. Hochwertige Kleidung, perfekt lackierte Nägel, die Frisur sitzt, die Halskette auch. Sie beugt sich in den Kinderwagen. "Mikey, hast du Hunger? Pauline, musst du Pipi machen?" Dann zieht sie die Haube weg und ich sehe die sorgsam von einem Haarband umwickelten Haare. Dann schaue ich ein zweites Mal hin: im Kinderwagen sind keine Kinder, sondern zwei kleine Hunde.

Mikey und Pauline starren von ihrem Kinderwagen fast schon neidisch auf die anderen Hunde, die in der Wiese spielen und herumspringen, ein seltsamer Anblick. Oder, wie Kenner einzuordnen wissen: Eine Schickimicki-Frau in Begleitung ihrer frisierten Haustiere. Meist geldige Leute, denen man es ansieht. Oder manchmal auch gar nicht mal so geldige Leute, die allerdings wollen, dass man es ihnen trotzdem ansieht.

Welches Image möchte man durch Kleidung und Auftreten verkörpern? Möchte man überhaupt etwas darstellen? Die Szene im Hofgarten bringt mich zu einem Klavierkonzert, auf das ich eingeladen war, ebenfalls in München. Ich hatte mich zu diesem Anlass fesch gemacht und ein Foto auf Facebook gestellt. Mein Posting löste Reaktionen aus. "Du bist jetzt also auch unter die Schickimicki-Leute gegangen", antwortete einer! Ich reagierte sauer. Spinnen die?

In Syrien gibt es einen ähnlichen Begriff für Leute, die aussehen wie aus dem Luxuskatalog eingekleidet. Wir nennen sie "Hei-Lei", Leute der feinen Gesellschaft. Sie ziehen die beste Kleidung an, essen das teuerste Essen und treffen sich mit den Berühmtheiten des Landes. Syriens Schickimicki-Leute sind meistens die Söhne und Töchter von Politikern und Staatsbeamten. Dem Volksmund nach verschwenden sie die Steuergelder, die dem Volk gestohlen wurden, fahren teure Autos, haben große Villen, tragen Schmuck und besuchen die teuersten Restaurants. Kurzum: Die Mixtur aus Korruption und Dekadenz. Zur gleichen Zeit leidet mittlerweile ein großer Teil der Bevölkerung Hunger. Man darf dem Volksmund hier durchaus trauen.

In München ist der Schickimicki-Kult ein Teil des alltäglichen Lebens, negativ wie positiv. Ein syrisches Sprichwort sagt: Wir alle sind Kinder Adams und zu Staub kehren wir zurück.

Verlässt man die Innenstadt Münchens in Richtung Berge, sieht man die Ausläufer der Münchner Schickimicki-Gesellschaft in Starnberg und am Tegernsee. Schlimm, schlimm, aber dafür très chic. Allerdings: Es ist oft nur das Äußere. Jeder kann so aussehen - und das eröffnet auch mir ganz neue Perspektiven.

Ich ertappe mich zunehmend dabei, wie ich manche Fotos von mir in den sozialen Medien teile. Mal mit schicker Tracht, mal mit Fliegerbrille. Ich bekomme viele Likes und fühle mich gut dabei. Im Nachhinein sind es Momente des Schickimickis gewesen. Nicht anders ist es auf dem Oktoberfest: Was wäre die bayerische Tracht samt Lederhose, Hut, Gamsbart und Landhausjacke, wenn man damit nicht Komplimente einheimsen würde. Ich finde den bayerischen Schickimicki immer schicklicher. Zumindest solange Pauline und Mikey nicht in einem Kinderwagen gefangen sind.

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