Null Acht Neun:In Zuckerwatte gepackt

Etwas Besseres als Wiesngeschichten gibt es kaum, um durch den Winter zu kommen.

Etwas Besseres als Wiesngeschichten gibt es kaum, um durch den Winter zu kommen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der Übergang in die kalte Jahreszeit kann in München auf ganz besondere Weise gelingen.

Kolumne von Laura Kaufmann

München, das Millionendorf, die Weltstadt mit Herz, ist wohl die Stadt, die ihren Bewohnern den Übergang der warmen Monate hin zum grauen, kalten Herbst am leichtesten macht. In ihrer Mitte errichtet sie eine blinkende Spielstadt für Erwachsene, packt die Besucher in Zuckerwatte, schleudert sie hoch in die Luft und bringt sie in Loopings wieder zurück zu Boden, wo eine Auswahl von Zeltburgen darauf wartet, sie mit Hendl und Bier in rauen Mengen zu verköstigen.

Ein paar Mal durch diesen euphorischen Rausch geschubst, will der Münchner ohnehin nichts anderes mehr, als sich abends unter Decken zu verkriechen, vielleicht mit einem Buch. Mehr Reize braucht es dann nicht mehr. Sonnenlicht erst recht nicht.

Andere Städte, andere Taktiken: In Frankfurt veranstalten sie eine Buchmesse zum Herbstauftakt. Denn was gibt es, siehe Decke und Buch, für eine bessere Jahreszeit, als sich in fremden Welten zu verlieren. Im Vergleich mit der Wiesn ist so eine Messe natürlich etwas arg Nüchternes. Noch dazu problembehaftet, wo sich der Buchmarkt doch in einer Krise befindet; die Leute lesen immer weniger, besonders auf Papier, Netflix-Serien sind die neuen Romane.

Eigentlich stimmt das aber nicht. Die Leute lesen wohl. Nur nichts, womit sie groß hausieren gingen. Aber Groschenromane, diese Trivialliteratur der Aschenputtel ehelichenden Adeligen, die erfreuen sich nach wie vor reißenden Absatzes. Und wie viel Stoff München hergeben würde für klischeehafte Geschichten, die ans Herz gehen! Wie wäre es zum Beispiel mit der jungen Barkeeperin, die wegen Eigenbedarfskündigung ihre Existenz bedroht sieht. Eines Tages heult sich ein später Gast bei ihr aus, schwer angetrunken. Sein Hochzeitstag wäre heute, aber seine Frau ist vor Jahren verstorben.

Sie hört ihm zu und hilft ihm in ein Taxi, er tut ihr leid. Am nächsten Tag besucht er sie, um sich für seinen Rausch zu entschuldigen. Die beiden verlieben sich, schließlich stellt sich heraus: Er ist Wiesnwirt! Nach Irrungen und Wirrungen heiraten sie auf dem Oktoberfest. Sie wird Wiesnwirtin, und alles ist in Zuckerwatte gehüllt.

Was sollte einem die kalte Jahreszeit da noch anhaben können.

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