Amtsgericht München:"Ich hatte Angst, dass mein Bruder stirbt"

Ein Angeklagter soll die Söhne seiner neuen Lebensgefährtin geschlagen und gewürgt - und einem von ihnen noch das Knie auf den Brustkorb gedrückt haben. Der Auslöser des Streits war offenbar ein lauter Fernseher.

Von Susi Wimmer

Eine Patchwork-Familie zu installieren, dürfte kein einfaches Unterfangen sein. Besonders dann nicht, wenn eine Mutter mit zwei pubertierenden Söhnen einen neuen Mann mit nach Hause bringt - der dann auch noch gewalttätig ist. Für eine 46-jährige Münchnerin endete die Geschichte damit, dass ihre Kinder jetzt nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen - und ihr "Neuer" nun vom Amtsgericht wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt wurde. Richterin Cornelia Wölk sah es als erwiesen an, dass Markus M. die Söhne der Frau geschlagen und gewürgt hatte.

Es waren emotionale Momente vor dem Amtsgericht, als die Söhne, heute 14 und 15 Jahre alt, ihr leiblicher Vater und auch die Mutter in den Zeugenstand gerufen wurden. Ein Sohn sagte unter Schluchzen und Tränen aus, der andere wirkte verstört, der Vater empört. Die Mutter hingegen gab sich zuweilen genervt, ebenso wie der Angeklagte, der in bissigem Tonfall Fragen an die Kinder stellte.

Was war in der Juni-Nacht des vergangenen Jahres passiert? Oder muss man schon früher ansetzen? Im Frühjahr hatte die Mutter den neuen Mann den Kindern vorgestellt. "Als er kam, ist alles anders geworden", berichtet der ältere Sohn. Die Mutter habe sich kaum noch um sie gekümmert, die Söhne hätten die Wochenenden lieber beim Vater verbracht. Die Mutter sei nach der Arbeit nicht gleich nach Hause gekommen, erst viel später, dann gab es Fertiggerichte.

"Ich hatte Angst, dass mein Bruder stirbt."

Auch an jenem Abend habe es Streit gegeben, weil die Mutter das Internet gesperrt habe. Sein Bruder und er seien ins Bett geschickt worden, aber er habe nicht schlafen können, weil sie und Markus M. den Fernseher so laut aufgedreht hätten. Er sei ein paar mal aus dem Zimmer gekommen, schließlich habe M. ihm gesagt: "Wenn du weiter störst, werfe ich euch raus. Ihr habt hier kein Wohnrecht." Worauf er geantwortet habe, M. sei nicht sein Vater und habe nicht über ihn zu bestimmen.

Dann sei M. handgreiflich geworden. Er habe ihn gepackt und gegen die Wand gedrückt. Der jüngere Bruder sei dazugekommen und auf M. losgegangen. Daraufhin habe der Mann den 13-Jährigen gewürgt. Der Streit verlagerte sich ins Kinderzimmer. Dort habe Markus M. den Bruder aufs Bett gestoßen, sich auf ihn gesetzt, ein Knie auf seinen Brustkorb gedrückt und ihm Watschn verabreicht. Mit einer Hand habe er sich dann abgestützt, mit der anderen den Bruder erneut gewürgt, bis er rot angelaufen sei. "Ich hatte Angst, dass mein Bruder stirbt", sagt der Ältere und weint.

Er habe versucht, den Bruder zu befreien. Als die Mutter ins Zimmer kam, habe sie gesagt: "Lass es, er hat es verdient." Der große Bruder verständigte den leiblichen Vater, der holte die Kinder sofort ab. "Ich habe sie noch sie so weinen gesehen", sagt der Vater über jene Nacht aus. "Er hat uns geschlagen", hätten beide erzählt. Am Hals des 13-Jährigen wurden Male und Kratzer dokumentiert. Der Mutter wurde das Sorgerecht entzogen. Die Söhne wollen mit ihr nichts mehr zu tun haben. "Das Knie auf dem Brustkorb und am Hals gewürgt: In den USA sterben bei sowas Menschen", schimpft der Vater.

Der Angeklagte behauptet, er habe aus Notwehr gehandelt

Der Angeklagte schildert das Ganze als Notwehr-Situation, die Buben hätten ihn angegriffen. Und die Mutter will ein Würgen nicht gesehen haben. Markus M. habe die Hände ihres Sohnes fixiert, deshalb habe sie gesagt, er brauche das jetzt, dass er festgehalten werde. Sie führt auch weiterhin eine Beziehung mit Markus M. Verteidiger Joachim Schwarzenau beantragt Freispruch für seinen Mandanten.

Doch Richterin Cornelia Wölk hält die Aussagen der Kinder für "sehr glaubwürdig". Sie hält dem Angeklagten sein "massives Vorgehen" vor, ebenso die Tatsache, dass er die Kinder "in einem geschützten Raum, in ihrem Kinderzimmer", angegriffen habe. Wölk verurteilte den Ingenieur zu einer Geldstrafe von 5000 Euro.

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