Freizeit in München:Pause für den Kocherlball

Kocherlball in München

Ohne Corona würden sich an diesem Sonntag Tausende Menschen frühmorgens am Fuße des Chinaturms drehen.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Bis zu 15 000 Menschen strömen jedes Jahr zur frühmorgendlichen Veranstaltung am Chinesischen Turm, dieses Jahr fällt sie aus. Wie sollen Hunderte Paare beim Zwiefachen Abstand halten? Unvorstellbar, das weiß auch die Tanzmeisterin.

Von Andreas Schubert

Die Stimmung ist immer wieder außergewöhnlich. Kurz bevor im Englischen Garten die Sonne aufgeht, sitzen bereits Hunderte Menschen an den Bierbänken am Chinesischen Turm. Kerzen werfen ein sanftes Licht auf die Kostüme und Trachten jener, die sich alle Jahre wieder schon von 3 Uhr morgens an zum Kocherlball versammeln. In guten Jahren sind es bis zu 15 000 Menschen, die im Biergarten unter Kastanien, mit einer Mass Bier, Weißwürsten oder einer selbst mitgebrachten Brotzeit ihr ganz persönliches Münchner Lebensgefühl zelebrieren.

Viele tragen dabei originalgetreue Kostüme, wie sie bei den "Kocherln", den Bediensteten um 1900, üblich waren. Bevor er 1904 verboten wurde, weil das Treiben den Behörden zu bunt wurde, war der Ball für das Dienstpersonal die einzige Gelegenheit, sich für ein paar Stunden im Morgengrauen zu vergnügen, bevor sie wieder den Dienst für die höheren Herrschaften antreten mussten.

1989 wurde die Tradition des Kocherlballs wiederbelebt, Veranstalter sind die Haberl-Gastronomie und das Kulturreferat. Und die meisten Leute kommen nicht etwa, weil sie es toll finden, sich schon am frühen Morgen mit Bier volllaufen zu lassen. Wenn um 6 Uhr die Musik beginnt, drücken sich Tausende eng an eng auf der Tanzfläche vor dem Turm. Sie tanzen Walzer, Zwiefache oder Polka - und oft geht es so eng zu, dass ein richtiges Tanzen direkt vor der Bühne kaum mehr möglich ist. Kenner weichen deshalb zum Tanzen an den Rand aus, andere wiederum genießen das dichte Getümmel, vielleicht weil da nicht so auffällt, dass ihre Tanzkünste durchaus verbesserungswürdig wären.

In 30 Jahren ist der Ball kein einziges Mal ausgefallen. Nicht mal vergangenes Jahr, als es gleich zu Beginn zu schütten begann und zwischendurch sogar der Strom ausfiel. Die Musikanten und Tänzer hielten tapfer durch. Als der Ball um 10 Uhr endete, hörte es dann auch wieder auf zu regnen. "Das war der abgefahrenste Kocherlball, den ich je erlebt habe", erzählt Katharina Mayer.

Die Tanzmeisterin ist seit 2006 dabei, zunächst an der Seite des 2008 verstorbenen Willy Poneder. Seither tanzt sie mit Magnus Kaindl, ebenfalls Tanzmeister und Volkskultur-Experte im Kulturreferat auf der Bühne die Volkstänze vor. Das 30. Jubiläum des Kocherlballs wird sie, wie sie sagt, so schnell nicht vergessen. Sie klingt nachgerade schwärmerisch, wenn sie davon erzählt, wie die Volkmusik-Gemeinde dem widrigen Wetter trotzte und der Ball nicht abgebrochen wurde.

Dieses Jahr fällt die Gaudi aus, an diesem Sonntagmorgen, 19. Juli, hätte der 31. Kocherlball stattfinden sollen. Aber wegen der Corona-Pandemie war an eine Tanzveranstaltung mit fünfstelliger Besucherzahl nicht zu denken. Und Katharina Mayer sagt, sie sei schon "a bissl traurig". Nicht nur wegen des Kocherlballs, sondern weil im Bereich der Volkskultur gerade alles stillsteht.

"Bis auf Weiteres" seien sämtliche Veranstaltung abgesagt, teilt die Stadt München mit. Und ob zum Beispiel der Kathreintanz im November, eine ebenso beliebte Veranstaltung, stattfinden kann, ist noch offen. Wie den meisten Künstlerinnen und Künstlern bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich dem Schicksal zu fügen. "Es ist wie es ist", sagt Katharina Mayer. Wenigstens verdiene sie als Sportlehrerin in Teilzeit noch Geld. "Das zahlt meine Miete." Immerhin sei die Absage des Balls absehbar gewesen. Schlimmer wäre es, wenn sich alle darauf vorbereiten und darauf freuen würden und er fiele wegen schlechten Wetters flach, was, wie gesagt, noch nie passiert ist.

"Volkskunst lebt ja von der Nähe"

Wer dieser Tage in den Biergarten am Chinesischen Turm geht, den die meisten kurz "Chinaturm" nennen, bekommt die Auswirkungen der Corona-Krise zu spüren. Am Eingang müssen sich die Gäste, wie andernorts auch, registrieren. Der Biergarten ist aufgeteilt in zwei abgezäunte Bereiche, die vom öffentlichen Weg in den Englischen Garten getrennt werden. Auf dem Weg zum Ausschank oder zur Toilette herrscht Maskenpflicht, eine Einschränkung, die aber erträglich ist. Schließlich darf die Vermummung am Tisch selbst fallen. Und weil weder Touristen aus Übersee den Garten dominieren noch - wie oft der Fall - Fußballfans von auswärts schon Mal fürs Spiel vorglühen, ist die Stimmung auch bei vollen Reihen ungewohnt entspannt, fast familiär. Es wird meistens brav Abstand gehalten.

Das ist beim Kocherlball unvorstellbar und auch nicht machbar. "Volkskunst lebt ja von der Nähe", sagt Mayer. Wenn die Tanzmeisterin die Menge zum Mitmachen animiert, bereitet es großen Spaß, sich trotz der wenigen Quadratzentimeter, die man exklusiv für sich und die Tanzpartnerin respektive den Tanzpartner zur Verfügung hat, zur Musik zu bewegen. Seinerzeit holte die Stadt Mayer mit auf die Bühne, damit auch mehr junges Publikum angesprochen wird - mit Erfolg, wie sich bis heute zeigt. Viele ältere Stammgäste überlassen das Drehen und Hüpfen aber den anderen, präsentieren sich lieber in ihren Kostümen, und posieren bereitwillig für Fotografen. Beim Kocherlball geht es abseits der Tanzfläche auch ums Sehen und gesehen Werden.

Ob der Kocherlball nächstes Jahr stattfinden kann, ist momentan nicht absehbar. Vielleicht dürfen die Leute aber wieder ihre aufwendigen Kostüme ausführen. Vielleicht dürfen sich dann wieder Volksmusikfreunde zu Tanzkursen treffen, um die wichtigsten Schritte zu erlernen. Anderthalb Stunden Kurs reichen laut Katharina Mayer aus, um einen Kocherlball auch als Tänzer erfolgreich hinter sich zu bringen. Und vielleicht werden vor dem Chinaturm wieder Tausende Paare begeistert den Kommandos der Tanzmeisterin wie "auseinand, wieder zsamm" folgen. Der Kocherlball ist stets eine schöne, frühe Einstimmung auf die Wiesn, die bekanntlich heuer auch ausfällt. Darüber dürften so einige ebenfalls "a bissl traurig" sein.

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