Alteingesessene Münchner Familien, so heißt es, sollen ihrem Nachwuchs eine spezielle Adresse dringlich eingeschärft haben, falls dieser einmal bei einem Streich erwischt und nach dem Wohnsitz befragt werden sollte. Es ist eine dieser modernen Legenden, bei denen sich nicht mehr so leicht nachvollziehen lässt, wer sie ursprünglich in die Welt gesetzt hat. Bei der Adresse jedenfalls handelte es sich nicht um ein Wohnhaus - sondern um eine öffentliche Toilette.
Egal, ob diese Legende stimmt oder nicht, belegbar ist, dass München eine weitreichende Klo-Geschichte hat. Das älteste datierbare Holzbauwerk der Stadt ist ein Klo, errichtet im Jahr 1261. Gefunden worden ist die Latrine während der Grabarbeiten für die zweite Stammstrecke am Marienhof. Wie an vielen anderen ehemaligen Bedürfnisanstalten, kann dort schon länger keiner mehr sein dringendes Geschäft verrichten. Doch was ist aus den einstigen Bedürfnisanstalten der Stadt geworden? Ein Streifzug zu Münchens Aborten, von den einige mittlerweile In-Orte sind.
Klo-Kleinod am Gasteig
Wer als Radler in den Münchner Osten unterwegs ist, weiß: Irgendwann geht's irgendeinen Berg hinauf. Wer sich für die Strecke am Gasteig vorbei entscheidet, kennt vermutlich das dunkelgrüne Blechhäuschen an der Abzweigung zur Kellerstraße. Fast könnte man es mit einer Garage für Müllcontainer verwechseln, dabei ist das Bauwerk - ein Klo - richtig alt. Und steht sogar unter Denkmalschutz.

Das "Straßenpissoir" stammt aus der Zeit der Industrialisierung. In die Liste des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege (BLfD) ist es als paraventartige Gusseisenkonstruktion mit Beschlagwerkornament eingetragen. Vor einem Jahr hatte es im örtlichen Bezirksausschuss Au-Haidhausen den Vorstoß gegeben, die seit mehr als zehn Jahren stillgelegte Toilette wieder in Betrieb zu nehmen. Kurzzeitig hatte dort ein Künstlerkollektiv den Kulturort "Locus" installiert. Eine Fortführung des Programms scheiterte allerdings nach Aussage der Künstlerinnen und Künstler an den bürokratischen Hürden. Nun wollen Lokalpolitiker sich des stillen Örtchens annehmen.
Kunst an der Wand
Ein besonderer Ort ist auch eine alte Toilette am Holzplatz im Glockenbachviertel. "The Pissoir" heißt der Gedenkort an einem denkmalgeschützten, gusseisernen Oktogon von 1900, der mithilfe von Street-Art-Künstlern gestaltet worden ist. Ursprünglich war die Bedürfnisanstalt am Stachus errichtet worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist sie von dort an die Pestalozzistraße verlegt worden, um dann als sogenannte "Klappe" zur beliebten Anlaufstelle für schwule Männer zu werden. Zwischenzeitlich war das Häusl versperrt, bis es 2020 von Stadtführer Martin Arz und Holzplatz-Wirt Thomas Zufall wiederbelebt wurde. Heute ist "The Pissoir" zwar noch immer nicht begehbar, aber zu einer kleinen Gedenkstätte für die einstigen Wahl-Glockenbachviertler Freddie Mercury, Rainer Werner Fassbinder und Albert Einstein geworden. Um die Wände des Denkmals durch die Kunst nicht zu beschädigen, sind die Promi-Köpfe auf abnehmbaren Platten angebracht worden. Pläne, die Wände als Galerie zu nutzen, sind verworfen worden.

Wechselnde Ausstellungen an Klofassaden zu verwirklichen, solche Pläne sind in München in der Vergangenheit häufig an den Auflagen durch den Denkmalschutz gescheitert. Gut, dass Anja Uhligs stiller Ort am Rand der Großmarkthalle zwar vor mehr als 100 Jahren entstanden, allerdings im Innern schon oft umgebaut worden ist. Die Künstlerin hatte die versperrte Toilettenanlage in Sendling bei Streifzügen durchs Viertel entdeckt. 2008 überlegte sie, dort ein Atelier einzurichten. Das Herrenpissoir von 1912 war - wie so viele - in den Neunzigerjahren zugesperrt worden. Auch dieses Klohäusl diente einst Männern als Treff für anonymen Sex. Acht Quadratmeter ist es groß, Sichtschutzwände, Glasbausteine. Und: sechs geschwungene Urinale, die heute oft in Kunstinstallationen eingebunden werden. Das "Klohäuschen" an der Thalkirchener Straße 81 ist einer der wenigen Off-Spaces der Münchner Kunstszene. Alle zwei Jahre gibt es dort eine Biennale, dazwischen beleben Künstlerinnen und Kulturschaffende, Wissenschaftlerinnen und Musiker oder Philosophen die alte Toilette.

Tassilo:"Der Preis hat lange nachgewirkt"
Der Tassilo, sagt Anja Uhlig, habe das Klohäuschen bei Leuten salonfähig gemacht, die bisher eher die Nase rümpften
Vom Klo zum Kiosk
Eigentlich hatte Riffraff-Wirt Florian Falterer schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass aus seiner Klo-Idee einmal Wirklichkeit werden würde. Jahre verstrichen, die alte Toilette am Aufgang vom Nockherberg zum Kronepark blieb versperrt. Und dann wurde es doch noch was. Seit Juni 2018 ist das "Café Crönlein" an der Schwelle von Obergiesing zur Au in Betrieb. In der früheren öffentlichen Toilette aus dem Jahr 1904 kann man bei schönem Wetter auf einer kleinen Dachterrasse seinen Apéro genießen, abends lockt zuweilen DJ-Programm ins Innere.

Unweit der Eisbachwelle gibt es einen weiteren Ort, der sich heute nicht mehr wirklich als Klo identifizieren lässt. In einem alten, denkmalgeschützten Klohaus an der Lerchenfeldstraße haben Sandra und Henning Dürr vor etwas mehr als zehn Jahren mit dem "Fräulein Grüneis" einen Kiosk eingerichtet. Auch diese Toilette stammt aus dem Jahr 1904, allerdings ist sie größer als die anderen ihrer Art. Zusätzlich zu den Klos hatte es dort einst ein Warteräumchen gegeben. Das Gebäude war 1992 geschlossen worden, weil sich dort Menschen trafen, um Drogen zu konsumieren. Heute gibt's dort vor allem Eis, Brotzeit und guten Kaffee.

Dass aus einem Klo auch mehr als Kuchen kommen kann, zeigt das ehemalige Buswartehäusl am östlichen Isarhochufer in Bogenhausen. Da der Herkomerplatz in den 1950er-Jahren zum Bus- und Trambahnknotenpunkt geworden war, wurde das Häusl mitsamt Toilettenanlage zwischen Oberföhringer Straße und Montgelasstraße errichtet. 2011 war es so heruntergekommen, dass die Idee entstand, zusätzlich zur Renovierung des Gebäudes dort ein Café einzurichten. 2015 eröffnete das erste Bistro in dem renovierten Busklo. Nach mehreren Betreiberwechseln wird dort mittlerweile Sushi serviert.
Wo einst vor allem Wasser floss

Am Bavariaring 5 gibt es ein neues Münchner Wirtshaus, das manchem Wiesngänger noch als Gepäckablage bekannt ist. "Das Bad" ist 2018 nach einer umfassenden Sanierung als Gastronomiebetrieb wiedereröffnet worden. Gebaut worden ist das neoklassizistische Gebäude nach Plänen des Münchner Architekten Hans Grässel im Jahr 1894 als Tröpferlbad, eine öffentliche Wasch- und Toilettenanstalt. Wie die anderen Brausebäder aus jener Zeit diente es den Bewohnern der Schwanthalerhöhe als Badezimmer. In den Arbeitervorstädten waren die Wohnungen in den großen Mietshäuser nur selten mit eigenen Waschgelegenheiten ausgestattet. Das öffentliche Bad war zugleich Treffpunkt und Ort, um den katastrophalen Hygienebedingungen in den Wohnhäusern zu entfliehen. Den Namen Tröpferlbad erhielten die Volksbäder, weil das Wasser dort oft nur spärlich aus den Brausen floss, wenn zu viele Menschen den Hahn aufdrehten. Bevor das Bauwerk unweit der Theresienwiese zum Lokal wurde, diente es Schaffnern der Trambahn als Aufenthaltsraum. Während der Wiesn wurde es als öffentliche Toilette und zur Gepäckaufbewahrung genutzt.
Bürgersprechstunde und Lernort

Ebenfalls in der Nähe der Theresienwiese liegt die Carl-von-Linde-Realschule. Sie ist 1905 eröffnet worden, ebenso wie ein altes Herren-Pissoir, das heute auf ihrem Gelände steht, früher aber öffentlich zugänglich war. Das runde denkmalgeschützte Häusl mit dem markanten Kegeldach stand 25 Jahre lang leer, bis es auf Initiative der Schule 2008 wiederbelebt wurde. Heute dient es mal als Ausstellungsraum, mal wird dort Biologie gelehrt.

An der Ecke zwischen Türken- und Schellingstraße wird zuweilen auch doziert, allerdings selten dienstlich. An der zentralen Kreuzung in der Maxvorstadt steht ein eingeschossiges Häusl, das im Jahr 1901 nach den Plänen von Adolf Schwiening und Hartwig Eggers erbaut worden ist. Der pavillonartige Bau in neobarockem Stil diente lange Zeit als "öffentliche Bedürfnisanstalt". 1950 ist das Gebäude nach Osten um ein Ladengeschäft erweitertet worden. Anfang der 1990er-Jahre sollte das Klo geschlossen werden. Der damalige Vorsitzende des örtlichen Bezirksausschuss (BA) Maxvorstadt, Klaus Bäumler (CSU), setzte sich allerdings für eine alternative Nutzung der Anlage ein. Kurze Zeit später wurde aus dem Klo ein Stadtteilbüro. Seither können die Maxvorstädter dienstags von 18 bis 19 Uhr zur Sprechstunde in die Schellingstraße 28a kommen.