Süddeutsche Zeitung

Krankenhäuser in München:"Die Pflege kann nicht mehr"

Die Betriebsratschefin der München Klinik warnt vor dem Kollaps des Systems. Wegen des akuten Personalnotstands sei es schwierig, alle Betten durchgängig zu betreiben. Pfleger leisteten "Schwerstarbeit" - und dann träfen sie noch auf ungeimpfte Corona-Kranke.

Von Heiner Effern

Gesperrte Betten, weil das Personal fehlt. Kolleginnen und Kollegen, die am Ende ihrer Kräfte und dazu frustriert sind. Patienten, die nur mehr nach den Mindest-Standards versorgt werden können. Die Situation in den Krankenhäusern ist mehr als angespannt, bevor die erwartete nächste Corona-Welle voll durchschlägt. Und bevor möglicherweise wegen der zunehmend fallenden Maskenpflicht auch noch Grippekranke im Winter dazukommen.

So erlebt es Ingrid Greif, Vorsitzende des Betriebsrats der städtischen München Klinik. "Wir haben die große Sorge, dass das System jetzt kippt. Es steht vor dem Kollaps", sagt sie. Das betreffe nicht nur die städtischen Krankenhäuser, sondern praktisch alle Kliniken, die eine medizinische Vollversorgung anböten. "Die Pflege kann nicht mehr."

Dass in einer Klinik nicht alle Betten, die laut Landeskrankenhausplan zugedacht sind, auch in Betrieb sind, gilt in Zeiten des Pflegenotstands als normal. In der München Klinik sollen es gerade viele sein, doch diese äußert sich dazu nicht konkret. "Insgesamt sind aktuell etwas weniger Betten verfügbar als vor der Pandemie", heißt es nur allgemein. In den jeweiligen Spitzenzeiten der Pandemie seien "deutlich mehr Betten gesperrt" gewesen. Gründe dafür seien neben Covid 19 "der Fachkräftemangel sowie Umbau- und Sanierungsmaßnahmen im Bestand", erklärte eine Sprecherin.

Auch für das LMU-Klinikum sei es "aufgrund des akuten Pflegekräftemangels" schwierig, alle im Landeskrankenhausplan ausgewiesenen Betten durchgängig zu betreiben, erklärte eine Sprecherin. Die Pandemie habe die Situation noch einmal verschärft, besonders bei der Kapazität an Intensivbetten für Non-Covid-Patienten gebe es deshalb "Situationen, in denen - in Einzelfällen - die Aufnahme weiterer Patienten schwierig ist".

Eine Krise in der Versorgung, die in diesem Winter nicht mehr zu stemmen sein könnte, sieht Axel Fischer, Geschäftsführer der München Klinik, dennoch nicht auf die Stadt zukommen. Er setzt darauf, dass bei Bedarf die Krankenhäuser kooperieren. "Wir haben schon einmal koordiniert zusammengearbeitet hier in München, als wir die große Welle erwartet haben. Das hat gut geklappt." Im Zweifel müsse der Betrieb in anderen Stationen wieder heruntergefahren werden. Das bedeutet für medizinische Vollversorger wie die München Klinik, dass automatisch auch weniger Geld hereinkommt.

"Seit eineinhalb Jahren Schwerstarbeit"

Auch wenn Fischer nichts davon hält, "Panik" wegen medizinischer Engpässe zu erzeugen, Sorgen besonders für das kommende Jahr macht er sich aber auch. Denn in diesem Jahr gleicht der Staat noch Corona-Verluste in den Krankenhäusern aus, für 2022 ist dergleichen bisher nicht vorgesehen. Den hohen Druck auf das Personal und gleichzeitig den Zwang, eine breite Versorgung anzubieten, ohne dafür entsprechend Mittel zu erhalten, empfindet Fischer als gefährlich. "Ein System wird das nicht auf ewig so aushalten."

Seine Betriebsratschefin Ingrid Greif findet, dass deshalb sofort etwas passieren muss. Hoch belastete Teams in der Covid 19-Versorgung könne man zur Erholung nicht rotieren oder aussetzen lassen, weil es schlicht niemand gebe, der dann einspringen würde. Die Kolleginnen und Kollegen leisteten "seit eineinhalb Jahren Schwerstarbeit". Beim jetzigen Besetzungsstand dürfe "niemand krank werden". Eingeführte Personaluntergrenzen seien "Augenwischerei", weil Durchschnittswerte herangezogen würden.

Und zumindest in einem Punkt ist sie mit der Geschäftsführung einer Meinung: Die Impfquote müsse dringend steigen. Wenn die Mitarbeiter in der Pflege alles gäben, um Patienten zu kurieren, sei es für deren Moral enorm schädlich, wenn sie ständig auf Kranke träfen, die eine Impfung für unzumutbar hielten.

Probleme erkannt, aber die Stadt als Eigentümer der München Klinik kann nichts tun? Das sieht Stefan Jagel, Stadtrat der Linken und Pflege-Experte seiner Fraktion, ganz anders. Er will genaue Zahlen über gesperrte Betten, hat Anfragen dazu gestellt. Noch dieses Jahr will er im Stadtrat diskutieren, wie die München Klinik trotz des Pflegenotstands Personal aufbauen könne.

Dazu sieht er offenbar Luft nach oben im internen Umgang. "Wir müssen die Verbesserung der Unternehmenskultur bei Führungskräften angehen", sagt Jagel. Und dass weiterhin die Hälfte der Auszubildenden danach das Unternehmen verlässt, auch das will er ändern. Zudem könne die Stadt als Eigentümerin durchaus etwas für die dringend nötige bessere Bezahlung tun, findet er. Dafür müsse man mit den Krankenkassen ein höheres Personalbudget aushandeln.

Dahinter steht auch Betriebsratschefin Greif. Das öffentliche "Bohei" nach der ersten Welle sei schnell vorüber gewesen, ein zentraler Teil von Anerkennung sei mehr Lohn für die Arbeit. Nicht eine Einmalprämie als Almosen, sondern dauerhaft.

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SZ vom 05.10.2021/kafe
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