Gesundheit in München:„Das neue Medizinkonzept bedroht die Notfallversorgung im Münchner Norden und Osten“

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Das Klinikum Neuperlach soll etwa deutlich verkleinert werden. (Foto: Lorenz Mehrlich)

Nicht mehr vier, sondern nur noch zwei Häuser der München Klinik sollen künftig eine medizinische Vollversorgung bieten. „Ich stehe voll und ganz hinter dieser notwendigen Neuausrichtung“, sagt OB Reiter. Aber es gibt auch kritische Stimmen.

Von Heiner Effern, Ekaterina Kel

Die München Klinik (Mük) will sich neu aufstellen – und aus der finanziellen Krise herauskommen. Künftig soll es deswegen nicht mehr vier große Häuser mit einer medizinischen Vollversorgung geben, sondern nur noch zwei, eines in Bogenhausen und eines in Harlaching. Die beiden anderen Häuser des kommunalen Krankenhausunternehmens in Schwabing und Neuperlach sollen deutlich verkleinert werden. Dafür werden Abteilungen zusammengelegt und Betten, die bisher mangels Personal ohnehin nicht genutzt werden konnten, endgültig abgebaut. Dies sieht das neue Medizinkonzept vor, das am Dienstag vom Aufsichtsrat des Unternehmens beschlossen wurde.

Ist das Konzept eine sinnvolle Neuausrichtung oder eine gut verpackte, aber rigorose Sparmaßnahme? Schließlich befinden sich die städtischen Häuser mit ihrem jährlichen Defizit nahe der 100-Millionen-Euro-Grenze. Mük-Geschäftsführer Götz Brodermann beteuert, dass das Konzept „nicht von der Ökonomie, sondern von der Medizin“ her gedacht sei. Die bundesweite Krankenhausreform des Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) sowie der Personalmangel in der Pflege machten Umstrukturierungen einfach notwendig. „Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher“, sagt Brodermann. Eine „schwarze Null“ sei das langfristige Ziel. Einen konkreten Zeitplan dafür gibt es bisher jedoch offenbar nicht.

Im Aufsichtsrat gab es großen Gesprächsbedarf zu den geplanten Änderungen. Etwa fünf Stunden soll die nicht immer einvernehmliche, aber nach Aussagen von Teilnehmern konstruktive Debatte gedauert haben. „Ich stehe voll und ganz hinter dieser notwendigen Neuausrichtung, die zum einen die veränderten Realitäten in der Gesundheitsversorgung aufgreift, wie beispielsweise die steigende Ambulantisierung, zum anderen natürlich auch den neuen Rahmenbedingungen der Bundesregierung zur Krankenhausstrukturreform Rechnung trägt“, sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der auch Chef des Aufsichtsrats ist.

Das habe nicht nur er so gesehen, zwei Drittel des Aufsichtsrats hätten zugestimmt. „Mein Ziel und das aller, die am neuen Medizinkonzept der städtischen München Klinik mitgewirkt haben, ist es, die bestmögliche Gesundheitsversorgung für die Münchnerinnen und Münchner sicherzustellen“, sagte Reiter am Tag nach der öffentlichen Vorstellung des Konzepts. Der OB hatte dabei am Dienstag gefehlt. Eine Sprecherin begründete das mit einer kurzfristigen Änderung des Präsentationstermins, die zu einer nicht auflösbaren Kollision im Kalender des Oberbürgermeisters geführt habe.

Einer der größeren Kritikpunkte am neuen Medizinkonzept ist die zukünftige Notfallversorgung. Werden die Münchner auch in Zukunft auf eine zeitkritische Behandlung bauen können, gerade in dringenden Fällen? Hans Theiss, Vize der CSU-Fraktion im Stadtrat und Kardiologe am LMU-Klinikum, der ebenfalls im Aufsichtsrat der Mük sitzt, formuliert harsche Kritik: „Das neue Medizinkonzept bedroht die Notfallversorgung im Münchner Norden und Osten, vor allem bei der Versorgung von Herzinfarkten.“ Er fordert, dass die Herzinfarktversorgung auch weiterhin in den Krankenhäusern Schwabing und Neuperlach möglich bleiben soll.

Außerdem übt Theiss Kritik an der geplanten Verkleinerung der Standorte in Schwabing und Neuperlach. Diese sollen weiterhin „als echte Krankenhäuser“ erhalten werden, fordert er. Das Medizinkonzept bedeute „de facto mittelfristig die Schließung des Krankenhauses Neuperlach und eine große Schwächung des Klinikums Schwabing“.

Tatsächlich gibt es die perspektivische Überlegung für Neuperlach, dort die Notfallversorgung nur noch ambulant anzubieten und weitere ambulante Strukturen, etwa ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) oder einen ärztlichen Bereitschaftsdienst in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung zu etablieren. Das sei jedoch „ein Konzept für die weite Zukunft“, sagt Brodermann. Ohnehin müsse jetzt erstmal eine „intensive Diskussion mit dem Rettungszweckverband“ folgen. Erst einmal sei in Neuperlach weiterhin eine Notfallversorgung auf Stufe eins geplant, mit jeweils einer Abteilung für innere Medizin, Chirurgie und Intensivmedizin.

Das Krankenhausgebäude in Neuperlach ist stark sanierungsbedürftig

Zurzeit behandle die Mük insgesamt etwa 40 Prozent der Notfallpatienten der Stadt, sagt Christoph Dodt. Er ist Chefarzt des Notfallzentrums in Bogenhausen. Man sei sich der Rolle als großer Versorger bewusst. Zugleich gebe es einen „großen Konsens“ unter den Chefs aller Notfallzentren, dass es sinnvoll sei, die Versorgung auf zwei große Zentren zu bündeln. An allen vier Standorten soll es zunächst weiterhin eine Notfallversorgung geben, betont er, bloß eben ausdifferenzierter. Wenn es sich um Patienten mit geringem Risiko handele, habe man künftig auch in Schwabing und Neuperlach eine ausreichende Versorgung.

Eine Rolle bei den Überlegungen dürfte auch die Tatsache gespielt haben, dass das Krankenhausgebäude in Neuperlach stark sanierungsbedürftig ist. Eigentlich stünde „in fünf bis zehn Jahren“ ein Ersatzneubau an, sagte Brodermann. Diese Investition versucht die Mük womöglich zu umgehen.

Man müsse die kommunalen Krankenhäuser wirtschaftlich wieder „auf stabilere Füße“ stellen, unterstreicht Beatrix Zurek, Gesundheitsreferentin der Stadt. Was die Notfallversorgung in München angeht, müsse man alle Akteure im Gesamtzusammenhang sehen, denn auch andere Krankenhäuser, etwa die beiden Universitätskliniken oder das Klinikum Dritter Orden, behandelten viele Notfallpatienten. Die perspektivische Verkleinerung in Neuperlach auf ambulante Strukturen will man allerdings „eng beobachten“, denn vorher müssten ausreichend ambulante Strukturen neu geschaffen werden.

Auch Angelika Pilz-Strasser, Stadträtin für die Fraktion der Grünen/Rosa Liste und niedergelassene Allgemeinärztin, schätzt die Pläne für die ambulanten Strukturen in Neuperlach als „sehr ambitioniert“ ein. Da habe sie die größten Bedenken, denn da setze man auf die Kooperationsbereitschaft der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns. Bisher jedoch habe sie diese „als nicht sehr gesprächsbereit“ erlebt. Das Medizinkonzept sei ohnehin erst der Startpunkt, eine Art „große Vision“, wie Pilz-Strasser sagt. Da werde noch viel im Detail zu besprechen sein.

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