Oberärztinnen in Bogenhausen:"Ja, es gibt eine verdeckte Diskriminierung"

Neue Corona-Teststation für Menschen in systemrelevanten Berufen in München, 2020

Ob Frauen zum Beispiel eine Stelle als Oberärztin annehmen, hängt stark vom familiären Umfeld ab, sagt Chefarzt Patrick Friederich.

(Foto: Florian Peljak)

Chefarzt Patrick Friederich hat sich bei der München Klinik für ein Jobsharing-Modell für zwei Oberärztinnen in Bogenhausen eingesetzt. Ein Gespräch über Potenziale, Selbstzweifel und das Rückgrat von Vorgesetzen.

Interview von Nicole Graner

Seit dem ersten Dezember teilen sich zwei Anästhesiologinnen eine Stelle als Oberärztinnen - jeweils zu 60 Prozent in der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie in Bogenhausen. Chefarzt Patrick Friederich, 56, hat das Jobsharing-Modell unterstützt und gefördert.

SZ: Was hat Sie bewogen, dieses 60-60-Modell zu befürworten und zu ermöglichen? Diese Form des Jobsharings für Frauen ist ja an Kliniken nicht sehr verbreitet.

Patrick Friederich: Das ist richtig. Aber ich würde die Frage gerne umdrehen: Warum sollte ich es nicht machen? Es gibt überhaupt keinen Grund, das nicht zu tun. Die Zahlen über die Karriereverläufe von Ärztinnen sind eindeutig. Warum sollte ich also so viel Potenzial komplett ignorieren?

Das sehen nicht alle so.

Ja, das stimmt.

Welche Voraussetzungen sind bei der Auswahl wichtig gewesen?

Da sind natürlich mehrere Aspekte. Aber zuerst muss es sich, ganz neutral gesehen, um Personen handeln, die überhaupt in der Lage sind, solche Positionen auszufüllen. Dann ist das vor allem auch ein Ergebnis von Entwicklungsarbeit, was heißt, ich begleite meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lange Zeit. Ich kenne auch beide Ärztinnen sehr lang und habe ihr Potenzial gesehen. So habe ich sie gefragt, ob sie sich in so eine Position hineinentwickeln wollen. Beide haben diese Entwicklungsmöglichkeiten für sich erkannt und angenommen. Wir haben über die Stunden verhandelt. 40 Prozent wären mir zum Beispiel zu wenig gewesen, das klappt organisatorisch einfach nicht in unserem Beruf. Schließlich geht es hier in der Klinik nicht zuerst um Frauenförderung, sondern - in aller Deutlichkeit - um die Versorgung unserer Patientinnen und Patienten. Beide Ärztinnen haben mir dann 60 Prozent angeboten. Und da habe ich gesagt: Nehme ich. Ich hätte auch 80 Prozent genommen (lacht).

Sie sind Chefarzt und können die Weichen stellen. Der Arbeitgeber muss solchen Modellen aber auch zustimmen.

Deshalb bin ich zum Arbeitgeber hingegangen und habe dafür geworben, dass es geht. Aber die Frage ist doch nicht, kann man das hinbekommen? Der Ansatz muss lauten: Selbstverständlich kann man das. Aber dafür muss man etwas tun, da ist man als Vorgesetzter gefordert. Da braucht es Rückgrat. Selbst die München Klinik nützt noch nicht ausreichend ihr eigenes Potenzial.

"Die Scheren, die da immer noch in den Köpfen unterwegs sind, würde ich nicht unterschätzen."

Beide Oberärztinnen haben Kinder. Sind Familienplanung und Kinder nicht ein Grund, warum viele Ärztinnen keine Führungspositionen übernehmen?

Sicher sind das Gründe. Aber es gibt auch viele Frauen ohne Kinder. Die Realität ist eher, dass für Frauen in ihrer Entscheidung, ob sie zum Beispiel eine Stelle als Oberärztin annehmen, das familiäre Umfeld eine gewichtige Rolle spielt. Tradierte Vorstellungen, oder ganz pragmatisch gesagt, die fehlende Organisationsfähigkeit innerhalb des familiären Umfelds sind, so ist meine Erfahrung als Vorgesetzter, die größte Hürde.

Könnten mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten eine Lösung sein?

Ja, denn diese sind in Deutschland nicht so gut wie in anderen Ländern. Die Arbeitgeber müssten da kompensieren und mehr Betriebskindergärten ermöglichen. Das ist nicht der Fall, das ist ein Manko. Aber das ändert nichts an der tradierten Betrachtung der Mutter an sich. Als Frau müssen sie ihrem Umfeld unter anderem vermitteln, warum sie es richtig finden, ihr Kind in eine Kinderbetreuung zu geben. Das sind Verhandlungen, die werden im privaten Umfeld geführt, nicht im beruflichen. Die Scheren, die da immer noch in den Köpfen unterwegs sind, würde ich nicht unterschätzen.

Stimmt es, dass sich qualifizierte Ärztinnen schwer tun, ihren Wunsch nach einem Karrieresprung zu äußern?

Das ist wirklich ein relevantes Thema. Es ist nicht selbstverständlich, dass Frauen ihr eigenes Potenzial erkennen und es vor allem artikulieren.

Vielleicht weil ihnen eben bei Bewerbungen oft diskriminierende Fragen gestellt werden?

Ja, es gibt eine verdeckte Diskriminierung, die sich oft hinter einem Pseudo-Protektionismus versteckt. Zum Beispiel mit Fragen: Ist das auch nicht zu anstrengend für Sie? Das würde man einen Mann nie fragen. Ich kenne konkrete Beispiele, bis hin zur offenen Diskriminierung aus meinem Umfeld. Das ist skandalös und ganz, ganz schlimm. Das muss sich ändern. Denn genau das fördert die Selbstzweifel bei Frauen.

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