Süddeutsche Zeitung

Verkündung im Aufsichtsrat:Die München Klinik sucht einen neuen Chef

Pandemie, Pflegenotstand, Probleme am Bau - die städtischen Krankenhäuser stecken seit Jahren in einer Dauerkrise. Nun kündigt Geschäftsführer Axel Fischer überraschend seinen Rückzug an.

Von Heiner Effern und Nicole Graner

Irgendwann im Dauerkrisenmodus kam der Punkt, an dem Axel Fischer, Chef der München Klinik, der Gedanke kam: Vielleicht muss es einmal ein anderer versuchen, ,,mit neuen Ideen und neuer Kraft". Nach der ersten Corona-Welle tauchte die Frage schon mal auf, so erzählt er es am Telefon. Doch dann kam schon die zweite, die dritte, der Krieg in der Ukraine. Keine Zeit zum Aufhören, auch wenn der Wunsch größer wurde, statt der Bürowände öfter die Familie zu sehen. Im Laufe dieses Jahres fiel dann der Entschluss, den er nun am Freitag im Aufsichtsrat verkündet hat: Spätestens im März 2024 ist Schluss, dann endet sein Vertrag. Wahrscheinlich geht er schon im kommenden Sommer.

Der Mann, der 2014 nach dem Hygieneskandal und der großen Klinikkrise als Sanierer an die München Klinik (MÜK) kam, wirkt an diesem Freitag emotional, ja gerührt, wenn er von seinem Job spricht. "Eines ist klar: In meiner Heimatstadt gibt es für mich keine sinnstiftendere Beschäftigung als in diesem Unternehmen", sagt er. Dass es damit bald vorbei sein wird - "irre", entfährt es ihm, aber es ist auch Erleichterung zu spüren nach "dem Druck und dem Stress all die Jahre". Fischer hat zwei Töchter, zehn und 13 Jahre alt, und das Gefühl, in den vergangenen neun Jahren viel verpasst zu haben in der Familie. Zu viel. "Jetzt möchte ich dafür wieder mehr Zeit finden."

Während Fischer nun sein Privatleben planen kann, muss die München Klinik mit ihren fünf Krankenhäusern in Schwabing, Neuperlach, Bogenhausen, Harlaching und an der Thalkirchner Straße schleunigst für ihre Zukunft vorsorgen. Gesucht wird ab sofort nicht nur ein neues medizinisches Konzept, das die Klinik überlebensfähig macht. Gesucht wird wohl auch eine komplett neue Konzernspitze. Denn im Herbst wurde mit Dietmar Pawlik bereits der kaufmännische Geschäftsführer in den Ruhestand verabschiedet. Dass die einzige Verbleibende aus dem Führungstrio, Susanne Diefenthal, die Neuordnung übersteht, glauben viele nicht. Geeinigt hat sich der Aufsichtsrat am Freitag immerhin auf eine Nachfolge für Pawlik: Der schon im Haus tätige Tim Guderjahn wird nach Informationen der SZ kaufmännischer Geschäftsführer der München Klinik.

Auch er hat wohl erst in der Aufsichtsratssitzung von Fischers Rückzugplänen erfahren. Von Schockstarre in der Runde berichten Teilnehmer danach, von konsternierter Stimmung. Vorab sollen nur Aufsichtsratschef und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek (SPD) eingeweiht gewesen sein. Reiter bedauert nach der Sitzung in einer Mitteilung den Abschied Fischers. Dieser habe ihn über die "gesamte Amtszeit, in der wir stets äußerst vertrauensvoll und konstruktiv zusammengearbeitet haben, begleitet". Die Transformation der München Klinik ist "eines der größten Zukunftsprojekte im deutschen Gesundheitswesen". Fischer habe nicht nur daran enormen Anteil, sondern auch an der eindrucksvollen Leistung der München Klinik bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie.

Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek (SPD) muss nach Worten suchen um zu erklären, wie sie die Entscheidung Fischers aufgenommen hat. "Betroffen" sei sie gewesen, sagt Zurek, weil sie Fischer sehr geschätzt, weil er so viel "Herzblut" in seine Aufgabe gesteckt und immer "gute Ideen" gehabt habe. "Aber", sagt sie, "ich bin jemand, der es wichtig und richtig findet, dass die Menschen selbst entscheiden dürfen, wie es in ihrem Leben weitergeht."

Ein selbst gewählter Rückzug sei das, sagt sie, niemand habe Fischer nahegelegt zu gehen. Das stimmt nicht ganz. Der Fraktionschef der Linken im Stadtrat, Stefan Jagel, bezeichnete die Entscheidung als "längst überfällig". Auch die Geschäftsführerin Diefenthal solle "nicht länger im Amt bleiben". Jagel kommt beruflich nicht nur selbst aus der Pflege, er ist als sogenannter Korreferent auch das offizielle Bindeglied des Gesundheitsreferats zum Stadtrat.

Der Rückzug des Geschäftsführers fällt in eine Zeit, in der die München Klinik wie viele andere Krankenhäuser schwer gebeutelt wird. Niemand in Deutschland hat mehr Corona-Infizierte behandelt als die MÜK, das Personal ist am Anschlag. Das liegt zu einem großen Teil auch am Pflegenotstand, der tendenziell in den kommenden Jahren nicht geringer werden dürfte. Viele Betten müssen daher in den städtischen Krankenhäusern leer bleiben, gleichzeitig steigen die Energiekosten. Für das Jahr 2022 sagte die Klinikleitung dem Stadtrat einen Verlust von 36 Millionen Euro voraus. Vom Personal kommt Kritik an der Führungskultur im Haus, angeblich soll die Gesprächsatmosphäre zwischen Konzernspitze und Betriebsrat sehr kühl sein. Wenn überhaupt konstruktiv miteinander gesprochen wird.

Der scheidende Geschäftsführer kennt die Probleme und auch die Kritik, doch das gehört für ihn zur Jobbeschreibung des Klinikchefs. Ausschlaggebend sei das für ihn nicht gewesen. "Ich laufe vor nichts davon." Fischer habe noch einiges an Arbeit vor sich, bevor er sich zurückziehen kann, betont Gesundheitsreferentin Zurek. Er habe jetzt den Auftrag, den Übergang zu gestalten und seine Expertisen einzubringen.

So sieht es auch Gesundheits-Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD), für die eines entscheidend ist: "Die Gesundheitsversorgung in München muss gewährleistet sein." Untrennbar verbunden ist für sie damit wie für zumindest den Großteil der Stadtpolitik, dass die MÜK trotz aller Verluste in kommunaler Hand bleibt. Das Bekenntnis der Stadt zu ihren Krankenhäusern lässt sich auch an Zahlen ablesen: Die Klinik verbaut gerade eine Milliarde Euro, um in modernen Gebäuden moderne Medizin anbieten zu können.

Im Jahr 2014 war Fischer angetreten, um die Krankenhäuser aus einer existenziellen wirtschaftlichen Krise zu führen. Dafür wurde ein neues Medizinkonzept erarbeitet, das Aufgaben und Stationen bündelte und in der Bevölkerung auch Widerstand hervorgerufen hatte. Nun wirkt es so, als stünde die München Klinik nach neun Jahren wieder auf Start. Pandemie, Pflegenotstand, Probleme am Bau, finanzielle Rahmenbedingungen des Bundes machen im Grundsatz ein neues Sanierungskonzept nötig, das sich wenigstens auf nach und nach neue Gebäude stützen kann. Der Betriebsrat erinnert zudem immer wieder daran, dass auch hausgemachte Probleme und Fehler wie die mangelnde Digitalisierung zur schwierigen Situation beigetragen hätten. Dieser Berg an Aufgaben dürfte Fischer die Entscheidung nicht schwerer gemacht haben, die nächste Sanierung jemand anderem zu überlassen.

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