Süddeutsche Zeitung

Medizin in München:Liebesschwüre aus der Baugrube

Im Klinikum Bogenhausen legen diverse Politiker nicht nur den Grundstein für einen Erweiterungsbau. Sie nutzen den Akt auch, um die Bedeutung kommunaler Krankenhäuser zu untermauern.

Von Heiner Effern

Der Ministerpräsident war in die riesige Baugrube in Bogenhausen nicht nur gekommen, um den Grundstein für die Erweiterung eines großen kommunalen Krankenhauses zu legen. Markus Söder (CSU) wollte "ein Bekenntnis" ablegen, und zwar für kommunale, für öffentliche Krankenhäuser. "Denn wir haben doch eines erlebt gerade bei Covid: Wir müssen für Notfälle gerüstet sein." Auch OB Dieter Reiter (SPD) wollte in der Grube eine größere Botschaft loswerden als alleine die Freude über die lange verzögerte Grundsteinlegung. Die Corona-Pandemie habe nicht nur deutlich gemacht, wie unbedingt nötig kommunale Krankenhäuser für die Versorgung seien, sondern auch in welcher Schieflage sich deren Finanzierung befinde, sagte er. Der Bund müsse reagieren und "für eine gerechte Verteilung" des Geldes sorgen.

Kommunale Krankenhäuser sind auch bei Politikern gerade beliebt wie schon lange nicht mehr. Während so manche Privatklinik nach der Corona-Pandemie erstaunliche Gewinne verkündete, bildeten die öffentlichen Häuser das Rückgrat in der Bewältigung der Krise. Die städtische München-Klinik behandelte die ersten Betroffenen in Deutschland. Mit ihrer Infektiologie erntete sie ungeahnte Aufmerksamkeit. Plötzlich standen nicht mehr die Millionen Euro im Vordergrund, die sie fast jedes Jahr verliert. Sondern wieder die Leben, die sie rettet. Jetzt würden viele beim Blick auf die München Klinik wieder merken, "was sie in der Lage ist, zu leisten", sagte Geschäftsführer Axel Fischer. Vor Corona verbanden viele Münchner, vor allem die Gesunden, die Wörter Krise und Krankenhaus nicht mit einem Virus, sondern mit den Finanzen.

Das hatte Gründe, wie Aufsichtsratschef Reiter und Geschäftsführer Fischer wissen. Wie viele kommunale Krankenhäuser kämpft die München Klinik seit vielen Jahren darum, aus den roten Zahlen zu kommen. Oft vergeblich. 2019, also in der Vor-Corona-Zeit, machte sie operativ zuletzt ein Minus von 8,2 Millionen Euro. Auch am Ende dieses Jahres wird Geld fehlen. Doch die finanziellen Horrorszenarien aus den ersten Wochen und Monaten der Pandemie sind wohl abgewendet. Damals war noch von einem möglichen Loch von 100 Millionen Euro in der Klinikkasse die Rede. So wie die Verantwortlichen derzeit rechnen, wird wegen Corona nach dem Ausgleich der Zusatzkosten durch die öffentliche Hand ein hoher einstelliger Millionenbetrag als Ausfall bleiben. Dazu wird noch der schon erwartete Verlust ohne die Pandemie kommen, auch das werden noch einige Millionen Euro sein.

Das sind Zahlen, die Klinik-Geschäftsführer Fischer schlaflose Nächte bereiten könnten. Doch die hatte er wohl eher, als er im Frühjahr seinen Mitarbeitern nicht garantieren konnte, ob am nächsten und übernächsten Tag genügend Masken, Handschuhe oder andere Schutzartikel zur Verfügung stünden. Zudem ist Fischer den Umgang mit schwierigen Zahlen gewöhnt, schließlich stecken die Münchner Krankenhäuser seit zehn Jahren in der Krise und seit fünf Jahren in einem zähen Sanierungsprozess. Dazu haben die damals Verantwortlichen der städtischen Krankenhäuser vor allem 2010 beigetragen. Damals sorgte ein Hygiene-Skandal dafür, dass das Operieren teilweise eingestellt werden musste. Und dass die Politik genauer in die Bücher der Krankenhäuser blickte als vorher. Dort zeigten sich massive Löcher, Geschäftsführer wurden geschasst, Sanierungskonzepte entworfen. Zwischendurch drohte sogar die Pleite. Ein Sinnbild der Krise: Die Verantwortung für die städtischen Krankenhäuser wanderte vom Gesundheitsreferat in die Kämmerei.

Im Jahr 2015 begann die Sanierung, der ein gestrafftes medizinisches Konzept zugrunde gelegt wurde. Fischer wurde engagiert, um diese zum Erfolg zu bringen. Doch die geplante Konzentration von Abteilungen auf einen Standort, ein weniger breites Angebot an den einzelnen Häusern, stößt bis heute auf heftige Gegenwehr. Und die Neubauten an vier verschiedenen Standorten, die die Wege kürzer, den Komfort für Beschäftigte und Patienten höher und die Zahlen schwärzer machen sollten, erwiesen sich als Geduldsprobe, die auch einen Zenmeister hätte erschüttern können. Dabei gelten sie als Fundament einer finanziell stabilen Zukunft. Der Grundstein in Bogenhausen wurde nun zu einem Zeitpunkt gelegt, für den zum Start der Sanierung 2015 die Eröffnung geplant war.

Die Zeiträume anfangs erwiesen sich als deutlich zu ambitioniert, Probleme am Bau sorgten für Verzögerungen wie in Schwabing, als sich die von der Fachfirma festgelegten Rohr- und Leitungsverbindungen in der Praxis als undurchführbar erwiesen. Doch nun laufen die Bauarbeiten an vier Standorten. In Schwabing soll der erste Bauabschnitt im Mai 2022, der nun folgende zweite im November 2024 in Betrieb gehen. Die nun mit einem Grundstein versehene Erweiterung in Bogenhausen soll im Dezember 2023 fertig sein, die im bestehenden Gebäude nötige schrittweise Sanierung wird länger dauern. Der erste Abschnitt soll im Dezember 2025 abgeschlossen sein.

In Harlaching sind die Kinderhäuser bereits abgerissen, der Neubau soll von November 2024 an nutzbar sein. Und schließlich wird das Laborgebäude in Neuperlach aktuell ausgebaut und soll zum zweiten Quartal 2021 zur Verfügung stehen. Nimmt man all diese Neubauten und Sanierungen und alle Bauarbeiten dazu, die im laufenden Betrieb sonst abfallen, kommt man auf eine Investitionssumme von einer Milliarde Euro. Etwa sechzig Prozent bezahlt der Freistaat. Trotz der teuren Verzögerungen beim Bau lägen die Kosten derzeit noch im Rahmen, heißt es aus der Kämmerei. Chef Christoph Frey hält es aber für möglich, dass die Stadt bei neuen Komplikationen nochmals Geld zuschießen muss.

Doch wie die Stimmung derzeit ist, würde auch das nicht auf größere Widerstände treffen. Die dramatischen Folgen der Krise legten offen, wie wichtig die öffentlichen Häuser mit ihrer schlecht finanzierten Grundversorgung sind. Oder wie es OB Reiter ausdrückt. Die Münchner "stehen unglaublich darauf, dass es eigene kommunale Krankenhäuser gibt".

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SZ vom 09.10.2020/syn
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