Polarexperte Børge Ousland in München„Klimawandel ist auch persönliche Verantwortung“

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Eigentlich sind Eisbären maritime Tiere – sie müssen mit sehr starken Veränderungen umgehen, wenn sich das Eis durch den Klimawandel über mehrere hundert Kilometer zurückzieht. „Eine traurige Geschichte“, sagt Børge Ousland dazu.
Eigentlich sind Eisbären maritime Tiere – sie müssen mit sehr starken Veränderungen umgehen, wenn sich das Eis durch den Klimawandel über mehrere hundert Kilometer zurückzieht. „Eine traurige Geschichte“, sagt Børge Ousland dazu. (Foto: Hinrich Bäsemann/picture-alliance/ dpa)

20 Mal ist der Norweger Børge Ousland mittlerweile am Nordpol gewesen, nun war der 63-Jährige in München. Dort sprach er über Klimaaktivismus, Expeditionen, Eisbären – und über seine ungewöhnliche Hochzeit.

Interview von Thomas Becker

Wohl niemand war öfter am Nord- und Südpol als Børge Ousland, 63, aus dem norwegischen Oslo. Zehn Jahre war er als Tiefseetaucher Mitglied der „Elite Naval Special Forces“, wollte als junger Mann durch die Weltmeere segeln – bis er mit 24 nach einer Grönland-Durchquerung mit Freunden der Faszination der Eisfelder verfiel. Eine Faszination, die vom Dahinschmelzen bedroht ist. Darüber spricht der Polarexperte im Norrøna-Store in der Sendlingerstraße am Donnerstag mit Vincent Colliard, mit dem er im Rahmen ihres „Ice-Legacy-Projekts“ die 20 größten Eisflächen der Welt durchqueren will, um auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen. Wer ihn hören will, muss die Ohren spitzen, denn Ousland redet leise und maximal unaufgeregt. Am Rande der Veranstaltung spricht er mit der SZ über seine Arbeit.

SZ: Herr Ousland, bevor wir über dünnes Eis sprechen, müssen wir über Ihre Hochzeit reden …

Børge Ousland: Oh ja, das war nicht besonders klimafreundlich.

Sie haben am Nordpol geheiratet. Wie kam’s?

Ich habe meiner Frau einen Antrag gemacht und zum Glück ein Ja bekommen – die erste Hürde. Dann habe ich gefragt, ob sie sich vorstellen könne, am Nordpol zu heiraten, falls ich die Logistik hinkriege. Ich glaube, sie hat nicht damit gerechnet, dass ich das schaffe ... Nun, dann sind wir mit ihrem und meinem besten Freund und einem Priester hingeflogen und haben am 12. April 2012 da geheiratet. Wir haben sogar die Hochzeitsurkunde am Pol verankert.

Polarforscher Børge Ousland bei der Veranstaltung im Norrøna-Store, wo er mit seinem Kollegen Vincent Colliard über ihr „Ice-Legacy-Projekt“ spricht.
Polarforscher Børge Ousland bei der Veranstaltung im Norrøna-Store, wo er mit seinem Kollegen Vincent Colliard über ihr „Ice-Legacy-Projekt“ spricht. (Foto: Stephan Rumpf)

Wie kalt war es?

Kalt, aber nicht schlimm, vielleicht minus 28 Grad.

Sie waren also zu fünft dort?

Und die russischen Hubschrauberpiloten, mit Kalaschnikows, wegen der Eisbären.

Wie oft waren Sie am Nordpol?

20 Mal, seit 1990, mal kürzere, geführte Touren, mal große Expeditionen, meist auf Skiern und mit Schlitten, ohne Versorgung. 1994 war ich erstmals solo dort. Da hat noch niemand über den Klimawandel gesprochen. Das fing erst im Jahr 2000 an. Aber man dachte, das passiert irgendwann in der Zukunft. Das Eis war noch so, wie es immer gewesen war – bis 2007. Da habe ich erstmals die Veränderungen im arktischen Ozean realisiert und bin zum Klima-Aktivisten geworden.

Wie verändert sich die Lage Ihrer Wahrnehmung nach?

Mit jedem Jahr wird es schlimmer. Ich sehe das mit eigenen Augen, anders als die Menschen, die in der Stadt leben. Für die macht es keinen Unterschied, ob es 18 oder 19 Grad hat. Wenn es aber in der Arktis statt minus eins plus ein Grad hat, dann schmilzt alles. Deshalb erzähle ich überall, was gerade mit den kalten Plätzen der Erde passiert und was das für das Leben auf unserem Planeten bedeutet. Diese Plätze sind wie ein Kühlschrank: Sie halten die Erde kühl. Ohne sie wird es in manchen Regionen unmöglich sein, zu leben.

Wie steuern Sie dagegen?

Über Emotionen. Sie sind unser Antrieb. Wenn wir es mit ihrer Hilfe schaffen, die Dringlichkeit zu verdeutlichen, dann hoffe ich, dass die Leute verstehen, was da draußen passiert. Ich hoffe und glaube, dass auch scheinbar kleine Maßnahmen einen Unterschied machen können. Die Geschichte hat bewiesen: Wenn genügend Menschen an etwas glauben, können sie sehr große Veränderungen bewirken. Das ist meine Mission. Klimawandel ist auch persönliche Verantwortung.

Wie optimistisch sind Sie, dass die Menschheit endlich aufwacht?

Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Weil ich einfach weiter mache mit dem, woran ich glaube. Und weil ich hoffe, dass es eine Wirkung haben wird. Wenn ich in den Spiegel schaue, kann ich sagen: Ich habe Verantwortung übernommen und darüber gesprochen.

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SZ PlusText und Fotos von Franziska Dürmeier

Viele der Routen, die Sie am Nord- und Südpol bewältigt haben, sind wegen des schmelzenden Eises heute gar nicht mehr möglich, oder?

Speziell auf den Gletschern. In den südlichen Eisfeldern von Patagonien habe ich 2003 eine Tour gemacht und zehn Jahre später dieselbe nochmal: eine völlig andere Landschaft, die auch viel gefährlicher geworden ist.

Sie bieten viele Expeditionen an. Welche Leute sind das, die in die Polarregionen wollen?

Es scheint in der Gesellschaft ein Bedürfnis zu geben, sich Lebenszeit zurückzuholen. Die Teilnehmer sind in dieser Zeit viel präsenter in ihrem Leben als sie das daheim sind. Auf den Expeditionen halten Sie die Welt an, konzentrieren sich auf das, was um Sie herum ist, sind zurückgeworfen auf ihr inneres Selbst, die eigenen Gedanken. Man gewinnt wieder die Kontrolle über sich. Obwohl man draußen in der Natur nicht das Sagen hat. Das tut jemand anderes. Die Natur ist so stark, man muss einen Weg finden mit ihr umzugehen.

2003 waren Sie fast auf dem Mount Everest. Ist dieser Gipfel-Tourismus nicht exakt das Gegenteil Ihrer Philosophie?

Ich bin froh, dass ich es nicht geschafft habe. Meine Expeditionen waren und sind immer ohne Unterstützung, man muss selbst schauen, wie man von A nach B kommt. Klar ist es großartig, dass der Sherpa an mir gut verdient, aber ich bin froh, dass wir hundert Meter unter dem Gipfel umkehren mussten. Ein schöner Berg, aber da muss ich nicht nochmal hin.

Zurück zum Nordpol: Das für Mitteleuropäer präsenteste Bild in Sachen Klimawandel ist der auf einer Mini-Eisscholle treibende Eisbär. Wie ist es um diese Tiere wirklich bestellt?

Nicht gut. Es sind eigentlich maritime Tiere, aber wenn sich das Eis über mehrere hundert Kilometer zurückzieht, ist das eine krasse Veränderung für sie. Sie müssen lange Distanzen schwimmen, wobei viele junge Bären ertrinken. Sie essen Vögel, Eier und den Müll der Menschen, weil sie kein Futter mehr finden und verhungern. Und sie werden sehr aggressiv. Eine traurige Geschichte.

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