Kampf um Vielfalt:Wie München gegen das Artensterben vorgehen will

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Klimawandel, Luftverschmutzung, Flächenfraß: Auch in München schwindet die Vielfalt der Natur. Die Stadt hat das inzwischen erkannt, pflanzt Blumenwiesen und begrünt Dächer.

Von Thomas Anlauf

Die Tiere verschwinden aus der Stadt. Jede dritte Art ist in den vergangenen Jahrzehnten München verloren gegangen - sie kommt hier nicht mehr vor. Die Gelbbauchunke wurde zuletzt 1993 in der Aubinger Lohe gesichtet. Die Kegelbiene gibt es schon seit langer Zeit nicht mehr. Von den Kiebitzen fliegen - die letzten ihrer Art - nur noch einige in Feldmoching, von den früher weit verbreiteten Kammmolchen leben nur noch ein paar Dutzend in der Aubinger Lohe. "Diesen Verlust haben wir bei allen Tierarten", sagt Rudolf Nützel vom Bund Naturschutz.

Der Schwund an Vielfalt in der Natur hat längst auch die Stadt erfasst. Die Gründe sind vielfältig: Klimawandel, Pestizide, Flächenversiegelung und Luftverschmutzung. Seit dem erfolgreichen Volksbegehren zur Artenvielfalt bemühen sich der Münchner Stadtrat und die Stadtverwaltung, möglichst öffentlichkeitswirksam die Liebe zur Natur hervorzukehren. Das begann mit der Bepflanzung der Rathausbalkone, die in diesem Jahr erstmals nicht mit bienenuntauglichen Geranien, sondern mit Buntnesseln, Wolfsmilch, Prachtkerzen, Löwenmäulchen, Mehlsalbei, Basilikum und Zinnien bestückt wurden. Das Planungsreferat jubelte vor einigen Tagen, dass es die sogenannten Krautgärten mit von Münchnern gepflanzten Blumen, Kräutern, Salat und Gemüse nun seit 20 Jahren gibt. Und dann präsentierte noch Kommunalreferentin Kristina Frank dem Stadtrat, wie naturverträglich ihre Behörde schon lange sei. Ist das nun einfach Aktionismus - oder echtes Bemühen im Kampf gegen das Artensterben?

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Der Ministerpräsident will die Staatsforsten ökologischer ausrichten. Zudem sollen Mittel in die Erforschung neuer Technologien fließen. Die Schuldentilgung wird verlangsamt - "höchste Priorität" habe der Klimaschutz.

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"Da geht vieles schon in die richtige Richtung", sagt Nützel. Der Geschäftsführer des Bund Naturschutz in München beobachtet seit mehr als 20 Jahren, dass die Stadt insbesondere im Umgang mit den eigenen Wäldern "vorbildlich" agiert. Die Wälder werden seit zwei Jahrzehnten mit Umweltzertifizierungen von Naturland und FSC bewirtschaftet. Die Forstverwaltung baut seit Jahrzehnten die 5000 stadteigenen Waldflächen zu Mischwäldern um. Auch die Jagd ist laut Kommunalreferat nach ökologischen Gesichtspunkten organisiert. In jüngster Zeit wurde die Moosschwaige im Westen renaturiert, eines der wenigen ursprünglichen Moore rund um München. Nun soll auch in Gut Streiflach ein neues sogenanntes Ökokonto, also eine Ausgleichsfläche, erstellt werden. Auch die Auerfilze bei Gut Nantesbuch im Raum Bad Tölz sollen renaturiert werden, so Kommunalreferentin Kristina Frank.

Nützel begrüßt es zwar, dass die Stadt wertvolle Moorflächen renaturiert, allerdings fände er es sinnvoller, dies auf städtischen Flächen in München zu tun anstatt im fernen Nantesbuch. "Wichtig wäre so ein Ökokonto etwa in Johanneskirchen oder Feldmoching. Auch in Daglfing hat die Stadt viele Grundstücke", sagt der Münchner Umweltschützer.

Federführend beim Thema Artenschutz ist in München das Referat für Gesundheit und Umwelt und nicht das Kommunalreferat. Erst vor einem guten halben Jahr beschloss der Stadtrat auf Initiative der Umweltreferentin Stephanie Jacobs eine Biodiversitätsstrategie. Damit wolle die Stadt "weiteren Verlusten an biologischer Vielfalt entgegenwirken", wie das Umweltreferat mitteilt. In öffentlichen Grünanlagen werden auf Anregung des Referats mehr Blumenwiesen geschaffen. Tatsächlich ist nun in Riem inmitten der Bebauung eine große Wildblumenwiese entstanden. Dafür gibt es in der Gartenbauabteilung des Baureferats sogar ein paar qualifizierte Mitarbeiter. Doch nach Ansicht von Rudolf Nützel müssten es viel mehr Beschäftigte sein, die genügend Kenntnisse von Pflanzenarten haben, um stadtweit Wiesen ökologisch zu entwickeln und zu pflegen. Es gebe viele gute Ansätze, was für die Artenvielfalt getan werden könnte. "Aber man muss es auch umsetzen", so Nützel. Gemeinsam mit dem Landesbund für Vogelschutz fordert der Bund Naturschutz, dass Naturschutzgebiete und Grünflächen dauerhaft geschützt werden. "Das müssen Tabuflächen sein", so Nützel. Neubauten müssten so gestaltet sein, dass sie keine Hindernisse für Wildtiere bieten. Bäume müssten wirksamer geschützt werden und das Gartenbaureferat mit genügend finanziellen und personellen Mitteln ausgestattet werden, um flächendeckend Blühwiesen zu pflanzen.

Die Grünen-Fraktion im Stadtrat geht sogar noch einen Schritt weiter und fordert nun in einem Antrag, dass auf Spielplätzen statt vieler Spielgeräte größere Bereiche naturnah gestaltet werden. So könnten dort vor allem Obstbäume und -sträucher gepflanzt werden, damit Stadtkinder mehr mit der Natur in Berührung kommen können. Die Fraktion von FDP und Hut wiederum hat am Donnerstag den Antrag gestellt, dass die Stadt eine eigene Stiftung für Biodiversität gründen soll, damit könnten Münchner Geld für neue Projekte zur Verbesserung der Artenvielfalt spenden.

Doch bereits jetzt achten die Referate oftmals auf Artenvielfalt. So werden Imker auf städtischen Flächen aufgerufen, an geeigneten Standorten Bienenstöcke aufzustellen. Auf städtischen Gebäuden sollen, wo es möglich ist, Dächer begrünt werden. Konkret prüft das Kommunalreferat nun, ob die Grünflächen auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes an der Friedenstraße ausgeweitet werden können. Bei der Umgestaltung der festen Lebensmittelmärkte - wie zum Beispiel auf dem Viktualienmarkt - könnte es künftig auch begrünte Dächer der Stände geben. Ob dort auch Obst und Gemüse angepflanzt und geerntet werden kann, ist aber eher unwahrscheinlich.

© SZ vom 12.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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