Umwelt:Der "Klimanotstand" - ein weiterer Weckruf

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  • München hat den "Klimanotstand" ausgerufen und will bis 2035 klimaneutral werden.
  • Stephanie Jacobs, die Umweltreferentin der Stadt, ist skeptisch. Sie hält das Ziel für unrealistisch.
  • Konkret ändere sich durch den "Klimanotstand" nichts, sagt Jacobs.

Von Jakob Wetzel, München

Das Ziel ist ehrgeizig. Bis zum Jahr 2035 will die Stadt München klimaneutral sein, so hat es der Stadtrat am Mittwoch entschieden - und damit einen zuvor schon ambitionierten Plan noch ambitionierter gemacht. Bisher wollte die Stadt erst ab 2050 keine zusätzlichen Treibhausgase mehr freisetzen. Jetzt soll es statt in 30 Jahren in 15 gehen. Obendrein hat der Stadtrat den "Klimanotstand" ausgerufen, was keine rechtlich verbindlichen Konsequenzen hat, aber hohe Symbolkraft. Doch ob die Stadt ihr neu gestecktes Ziel auch erreichen kann, ist fraglich - und es entscheidet sich nicht nur in München.

Die Umweltreferentin ist skeptisch. Die Treibhausgas-Emissionen bis 2035 bis zur Klimaneutralität zu senken, sei unrealistisch, sagt Stephanie Jacobs. Dass nun offiziell der "Klimanotstand" herrsche, ändere daran auch nichts. Er sei womöglich ein weiterer Weckruf, außerdem werde künftig jede Stadtratsentscheidung auf ihre Folgen fürs Klima hin untersucht. Doch diese obligatorische Klimaschutzprüfung hatte die Umweltreferentin ohnehin vorgeschlagen, unabhängig vom "Klimanotstand".

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Konkret ändere sich durch diesen nichts, sagt Jacobs. Als Ziel, den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken, peile sie weiterhin das Jahr 2050 an. 2035 werde es eine Restmenge an Emissionen geben. Um als klimaneutral zu gelten, müsse man diese dann kompensieren, also der Atmosphäre gezielt Kohlenstoffdioxid entziehen, etwa indem Bäume gepflanzt oder Moore renaturiert werden. Und das werde viel Geld kosten, sagt Jacobs: Für 2035 rechnet sie mit einem Ausstoß von 2,2 Tonnen Kohlendioxid pro Einwohner. Bei voraussichtlich 1,9 Millionen Münchnerinnen und Münchnern und einem CO₂-Preis von 55 Euro pro Tonne würde sich das pro Jahr auf 230 Millionen Euro summieren. Dieses Geld könne die Stadt besser ausgeben, etwa für Gebäudesanierungen, um Energie zu sparen, oder für den öffentlichen Nahverkehr. "Das können wir als Kommune aktiv steuern, und das sollten wir auch tun."

Dazu, wie ganz München klimaneutral werden kann, hat die Stadt zuletzt durch das Öko-Institut ein Gutachten erarbeiten lassen. Die Wissenschaftler schlagen hier 33 Maßnahmen vor; demnach soll es zum Beispiel mehr Fördergeld für Sanierungen geben, es könnten in Modellprojekten klimafreundliche Gewerbegebiete ausgewiesen werden, Bürger und Unternehmen sollen mehr Beratung erhalten, und die Stadtverwaltung solle mit gutem Beispiel vorangehen und selbst bis 2040 klimaneutral arbeiten. Insgesamt, heißt es im Gutachten aus dem Jahr 2017, sei das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, "überaus ambitioniert und nur mit allergrößten Anstrengungen erreichbar".

Im Verkehr müsse jedes heute fahrende Auto ausgewechselt werden

Jacobs' Referat hat auf dieser Grundlage eigene, zum Teil auch noch ehrgeizigere Pläne ausgearbeitet. Die Stadtverwaltung etwa soll nun schon 2030 klimaneutral sein. "Wir setzen uns bessere Ziele, weil wir das in diesem Fall können", sagt Jacobs. Hier habe die Stadt alles selbst in der Hand. Sie zählt Stellschrauben auf: mehr Geothermie, mehr Solarenergie, mehr öffentlicher Nahverkehr, und die Stadt wolle in ihrem eigenen Einflussbereich stärker auf regionale Produkte setzen, damit zum Beispiel Äpfel nicht mehr aus Neuseeland eingeflogen werden. Die Emissionen in der übrigen Stadt könne sie aber nur zu 40 Prozent beeinflussen. Für 60 Prozent seien Bund, Länder und Europäische Union verantwortlich. Ihr Ziel sei es, die 40 Prozent, die die Stadt beeinflussen könne, zu 100 Prozent auszuschöpfen, sagt Jacobs.

Bereits 2035 klimaneutral zu sein, sei aus technischer Sicht sicher machbar, sagt hingegen Tilman Hesse vom Öko-Institut, einer der federführenden Autoren des Gutachtens. Doch der Plan sei sehr, sehr ehrgeizig. Alleine im Verkehr müsse im Grunde jedes heute fahrende Auto ausgewechselt und durch zum Beispiel ein Elektrofahrzeug ersetzt werden. Nicht nur dafür müsse die Stadt Unmengen an Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen.

Die Stadt müsse darüber hinaus zum Beispiel an eine City-Maut denken, um die Emissionen zu senken. Doch es sei fraglich, ob es überhaupt genügend Fachkräfte gebe, um alle Gebäude rechtzeitig zu sanieren. Und auch der Bund und die Europäische Union müssten mitziehen. Dazu brauche es einen Preis für Kohlendioxid, der tatsächlich alle Folgekosten der Emissionen berücksichtigt, sagt Hesse. Und die Bundesregierung müsse aufhören, Wind- und Sonnenkraft auszubremsen.

Anders als der Bund könne die Stadt beim Verkehr kaum Verbote erlassen

Eine City-Maut einführen? Auch dafür brauche die Stadt den Bund, sagt Jacobs. Die Stadt alleine könne das nicht, es fehle die Rechtsgrundlage. Wenn alle mitziehen würden, wäre das anders. Wenn sich Jacobs eine ideale Welt vorstellen würde, gäbe es schon jetzt nur noch Elektro- oder Wasserstoff-Fahrzeuge - oder überhaupt weniger motorisierten Individualverkehr. "Aber wir müssen doch auf der Grundlage dessen arbeiten, was gerade besteht." Und anders als der Bund könne die Stadt zum Beispiel beim Verkehr kaum Verbote erlassen, sondern hauptsächlich fördern.

Damit auch die Bürgerinnen und Bürger wissen, was sie tun können, hat das Umweltreferat zum Beispiel im September 2018 die Kampagne "München Cool City" ins Leben gerufen. Dort finden sich Tipps für Klimaschutz im Alltag: Wechsel auf Ökostrom, Nahrungsmittel aus der Region, den Fernseher wirklich ausschalten statt nur auf Standby. Auf der Internetseite des Umweltbundesamtes könne jeder ausrechnen, wie viele Treibhausgas-Emissionen er verursache.

Verbraucher sollten den Klimaschutz "durch ihr Konsumverhalten unterstützen", sagte am Donnerstag auch Franz Xaver Peteranderl, Präsident der Handwerkskammer. München bis 2035 klimaneutral zu machen, sei ambitioniert. "Nicht für jeden ist es eine realistische Alternative, das Auto stehen zu lassen". Handwerksbetriebe etwa benötigten Fahrzeuge.

Ob das Ziel der Klimaneutralität erreicht wird, sei am Ende eine Rechenaufgabe für die Stadt, sagt Jacobs - ein bundesweites Siegel gibt es nicht. "Aber es wäre gut, wenn es dazu Vorgaben gäbe - oder jemanden, der von außen zusieht, dass jede Stadt ihre Hausaufgaben macht." Der Bund müsse das besser steuern. Und er müsse den Städten Geld geben. "Alleine schaffen das viele nicht."

© SZ vom 20.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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