Kiel, Köln, das Land Berlin und nun auch München. Die Liste der Orte, die sich zu Klimakrisengebieten erklären, wächst. Mehr als 65 Einträge sind inzwischen zusammengekommen, seit der Gemeinderat von Konstanz am 2. Mai den Anfang machte und einstimmig beschloss, all seine Entscheidungen künftig unter Klimavorbehalt zu stellen. Dass dies sinnvoll ist, darüber herrscht weitgehend Einigkeit. Meistens kreist die Debatte um die Frage der Wortwahl: Ist der Begriff "Notstand" angemessen, wie einige Städte meinen? Dieser suggeriert einen Ausnahmezustand, der drastische Aktionen nahelegt. Genau die brauche es ja auch, argumentieren die Befürworter. Die Kritiker halten dagegen, das sei Alarmismus.
Tatsächlich ist der Begriff problematisch. Zum einen, weil er Grenzen aufweicht, die eigentlich hart zu ziehen wären. Australiens bevölkerungsreichster Bundesstaat, New South Wales, hat am Donnerstag einen echten Notstand ausgerufen, der seine Wurzeln in der Klimakrise hat: Verheerende Buschbrände toben, hochhaushohe Flammen lodern, die mehr als fünf Millionen Bewohner von Sydney müssen schon seit Wochen immer wieder Rauchschwaden einatmen. Dass München sich just jetzt auch zum Notstandsgebiet erklärt, kann man zynisch finden.
Stadtrat:München ruft "Klimanotstand" aus
SPD, Grüne, Linke und ÖDP setzen sich in der Vollversammlung des Stadtrats durch. Bis 2030 sollen die Verwaltung und alle stadteigenen Betriebe klimaneutral arbeiten.
Problematisch ist der Begriff auch, weil in den 1960er-Jahren heftig um Notstandsgesetze gerungen wurde und in der Weimarer Republik demokratische Rechte mit Notverordnungen ausgehebelt wurden. Der Berliner Senat hat sich deshalb bewusst für den Begriff "Klimanotlage" entschieden, was zeigt, dass das Bewusstsein für historische Bezüge mancherorts deutlich ausgeprägter ist als an der Isar.
Auch im Münchner Stadtrat ging es bei der Debatte am Mittwoch um die Begrifflichkeit. Am Ende setzten sich SPD, Grüne, Linke und ÖDP gegen CSU, FDP und Bayernpartei durch. Noch wichtiger als das Etikett, das sie durchdrückten - und das gerät schnell aus dem Blick -, sind aber die inhaltlichen Vorgaben, die beschlossen wurden: Bayerns Landeshauptstadt soll nicht erst bis 2050 klimaneutral werden, wie vor zwei Jahren beschlossen, sondern bereits 2035.
Die Stadt drückt in der Frage also aufs Tempo. Das ist begrüßenswert, auch wenn die Maßnahmen, mit denen die Beschleunigung glücken kann, erst noch zu bestimmen sind. Dass eine Stadt mit mehr als 1,5 Millionen Einwohnern sich ein so ambitioniertes Ziel setzt, ist ein hoffnungsvolles Zeichen: Gerade den Metropolen, da sind sich viele Experten einig, kommt beim Kampf gegen die weitere Klimaerwärmung eine Schlüsselrolle zu.
Die Entscheidung muss auch vor einem sehr lokalen Hintergrund gesehen werden. Im März 2020 sind Kommunalwahlen. SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter möchte sein Amt verteidigen, Katrin Habenschaden von den Grünen und die CSU-Politikerin Kristina Frank wollen es ihm abjagen. Nicht zuletzt die eine Frage wird die Wahl entscheiden: Wie hältst du es mit dem Klima? Deshalb war die Abstimmung am Mittwoch auch eine Profilierungsschlacht. Auf den ersten Blick haben SPD und Grüne diese gewonnen.
Die Ausrufung des Klimanotstands lässt sich aber auch ganz anders lesen: als Bankrotterklärung. Seit 1984 stellt die SPD in München durchgehend den Oberbürgermeister. 20 Jahre lang waren die Grünen Koalitionspartner im Rathaus. In all den Jahren wurde offenbar viel zu wenig für das Klima getan.