Energiewende:Gutachter zweifeln an Klimaneutralität bis 2035

Geothermieanlage München Riem

"Geothermischer Schatz im Untergrund": Das Heizwerk in Riem versorgt die Messestadt seit 2004 mit Fernwärme.

(Foto: Thomas Einberger/Argum/SWM)

München will als erste deutsche Großstadt von fossilen Brennstoffen wie Kohle oder Gas vollständig auf erneuerbare Energien umsteigen. Trotzdem könnte sie ihr selbst gestecktes Klimaziel verfehlen.

Von Thomas Anlauf und Jakob Wetzel

München will im Kampf gegen die Klimakrise die erste Großstadt Deutschlands werden, die fossile Brennstoffe wie Gas, Kohle und Heizöl flächendeckend durch erneuerbare Energien ersetzt. Das ambitionierte Ziel soll ein wesentlicher Baustein dazu sein, dass München möglichst bis 2035 klimaneutral wird. Am Freitag stellten mehrere Institute das Fachgutachten "Klimaneutrales München 2035" und eine Studie zu einer klimaneutralen Wärmeversorgung der Stadt vor.

"Wir planen nichts weniger als eine Revolution bei der Wärme- und Energieversorgung unserer Stadt", sagte Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) bei der Präsentation des Pakets. Ob dies gelingt, liegt allerdings nicht allein in den Händen des Stadtrats, der im Dezember einen Grundsatzbeschluss dazu fassen soll. Maßgeblich wird auch sein, ob die künftige Bundesregierung entsprechende Weichen stellt, um die Wärmewende zu fördern. Und an dieser Wende müssten auch die Münchnerinnen und Münchner mitarbeiten, sonst könnte das Projekt scheitern.

Es geht um nichts Geringeres als die Herausforderung, in den kommenden Jahren Schritt für Schritt Erdgas und Heizöl "aus der Wärmeversorgung zu verbannen und komplett auf klimaneutrale Energien umzusteigen", sagt Klima- und Umweltschutzreferentin Christine Kugler. Die von der Stadt beauftragten Experten von Öko-Institut, Hamburg Institut, Intraplan und die Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft haben mehrere Ansatzpunkte entwickelt, wie dieses Ziel gelingen kann.

Es geht zunächst darum, den Wärmebedarf in München zu verringern. Schließlich entfallen nach Angaben von Christof Timpe vom Öko-Institut ein Drittel der CO₂-Emissionen Münchens auf den Wärmeverbrauch. Deshalb müssten nun jährlich 2,5 Prozent sämtlicher Gebäude der Stadt so saniert werden, dass sie möglichst dem Standard von einem "Effizienzhaus 55" haben, also nur 55 Prozent des Energie benötigen wie ein Gebäude nach dem Gebäudeenergiegesetz GEG.

Die Stadtpolitik muss auf die Bundesregierung hoffen

Außerdem braucht es laut Gutachten so schnell wie möglich klimaneutrale Fernwärme, denn diese soll in den kommenden Jahren und Jahrzehnten massiv ausgebaut werden. Allerdings muss München da auf die Bundesregierung hoffen, damit die Fernwärme und von 2035 an womöglich auch Wasserstoff als Speichermedium in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. Das Ziel ist laut Gutachten, den Marktanteil klimaneutraler Fernwärme auf etwa 70 Prozent im Jahr 2050 zu erhöhen. Photovoltaik soll zwischen den Jahren 2025 und 2030 um jährlich 50 Megawatt ausgebaut werden, dazu müsste der Stadtrat allerdings erst noch eine Satzung erlassen, wonach zumindest bei Neubauten Photovoltaikanlagen vorgeschrieben werden.

Schließlich - und das ist mehr Wunschdenken - soll die Münchner Wirtschaft dazu gebracht werden, ihre Emissionen bis 2035 um drei Viertel ihres Ausstoßes im Vergleich zu 2018 zu reduzieren. Eine große Rolle soll auch der Umbau des Verkehrs spielen: Öffentlicher Personennahverkehr müsste vor allem auf der Schiene stark ausgebaut werden, Gleiches gilt nach Ansicht der Verkehrsexperten von Intraplan für den Rad- und Fußverkehr. Der Pkw-Verkehr müsse "reduziert und weitgehend emissionsfrei werden".

Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Wärme- und Energiewende sei "mit dem geothermischen Schatz im Untergrund" und etwa 1700 Sonnenstunden im Jahr, die für Photovoltaik genutzt werden könnten, "hervorragend", wie die Gutachter und Bürgermeisterin Habenschaden gleichermaßen betonen. Für die Umsetzung ist allerdings viel Geld nötig. Um Photovoltaik auf die Dächer zu bekommen und Hauseigentümer dazu zu bringen, in erneuerbare Energien zu investieren, braucht es Fördermittel, die allein von der Stadt nicht zu stemmen sind. Zwar soll München laut Klimareferentin Kugler nun eine "aufsuchende und proaktive Energieberatung" etabliert werden und in den kommenden drei Jahren etwa 130 Millionen Euro für Beratung und Förderung investiert werden.

"Auch bei erheblichen Anstrengungen könnte die Klimaneutralität bis 2035 nur rechnerisch erreicht werden"

Doch den Großteil der Unterstützung erhofft sich die Stadt vom Bund und der EU. "Der Umbau wird eine enorme finanzielle und operative Herausforderung", sagt Florian Bieberbach, Chef der Stadtwerke München. "Wir werden die Stadt in allen Schritten zur Klimaneutralität unterstützen und uns gemeinsam für die zwingend erforderlichen Rahmenbedingungen in Berlin und Brüssel einsetzen." Er räumt allerdings auch ein, dass es schwierig werden dürfte, die Klimaneutralität Münchens bis 2035 zu erreichen. Es sei "wichtig, dass die Münchner Bürgerinnen und Bürger da mitziehen".

Selbst die Gutachter der Studie bezweifeln, dass das von München selbst gesteckte Ziel, bis 2035 klimaneutral zu sein - die Stadtverwaltung soll das sogar bereits bis 2030 schaffen -, überhaupt zu machen ist. Britta Kleinertz von der Forschungsstelle für Energiewirtschaft betont: "Auch bei erheblichen Anstrengungen könnte die Klimaneutralität bis 2035 nur rechnerisch erreicht werden." Das bedeutet, die Stadt müsste Ausgleichszahlungen leisten oder anderweitig in erneuerbare Energien investieren.

Aus dem Rathaus sind deshalb schon erste Stimmen zu hören, die sich vom Ergebnis des Gutachtens und der Studie mehr erwartet hatten. So heißt es, dass die Finanzierung der Wärme- und Energiewende noch längst nicht geklärt ist. Die CSU-Fraktion im Stadtrat wird da noch deutlicher: Der am Freitag vorgestellte Plan für ein klimaneutrales München "steht auf tönernen Füßen", sagt der CSU-Fraktionsvorsitzende Manuel Pretzl. "Zum einen müssen auf Bundesebene noch zahlreiche Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht werden. Zum anderen ist die Finanzierung unklar und der Haushalt der Landeshauptstadt ist nach wie vor angespannt." Die Wärmestudie und das Gutachten seien wie zwei Elefanten angekündigt worden, "aber was geboren wurde, ist eine Maus".

Ob mickrig oder mächtig - darüber muss nun der Stadtrat befinden. Am 7. Dezember diskutieren die Politiker über einen Grundsatzbeschluss mit einem Maßnahmenpaket, in der letzten Sitzung der Vollversammlung vor der Weihnachtspause am 15. Dezember soll der Weg frei sein für einen weiteren Schritt in Richtung klimaneutrale Stadt. "Es gibt jetzt ein Momentum für einen klimaneutralen Umbau unserer Gesellschaft", sagt Bürgermeisterin Habenschaden mit Blick auf die mögliche neue Bundesregierung. "München wird seinen Beitrag leisten, damit dies gelingt."

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